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Städte im Wärmewandel

Katharina Wolf

Autoabgase, Industrieemissionen, fossile Heizungen: Städte sind laut Wissensplattform Erde und Umwelt für rund 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und mehr als 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Gleichzeitig leiden sie besonders unter den Folgen des Klimawandels. Die vielfach versiegelten Flächen fördern Überschwemmungen nach Starkregen oder Hitzestau. Das gilt insbesondere für Industriestädte, deren Energieverbrauch, Emissionen und Flächenversiegelung besonders hoch sind.

So landete Ludwigshafen, mit 175.000 Einwohnern drittgrößte Stadt der Pfalz, 2024 bei einem Ranking der Deutschen Umwelthilfe mit einem Versiegelungsgrad von fast 58 Prozent auf dem ersten Platz. „Bei diesem Ranking wurde allerdings die gesamte Industriefläche eingerechnet“, betont Ellen Schlomka, Leiterin der Stabsstelle Klimaschutz. Allein das Gelände des BASF-Werkes umfasse zehn Quadratkilometer. „Der Versiegelungsgrad ist hier besonders hoch, um Wasser und Boden zu schützen, in den Wohnsiedlungsbereichen hingegen ist er nicht wesentlich anders als in anderen Städten.“

Gleichzeitig sieht man in Ludwigshafen die große Industrieanlage als Chance und wichtigen Baustein für die Wärmewende und den Umbau des städtischen Energiesystems. Ebenso die Lage im Rheingraben mit den Potenzialen für Geothermie. „Wir haben hier eine besonders günstige Situation“, sagt Thomas Mösl, Technischer Vorstand des Energieversorgers Technische Werke Ludwigshafen AG (TWL). Eine technische Potenzialanalyse im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung der Stadt Ludwigshafen ergab eine mögliche Ressource von fast 470 Gigawattstunden (GWh) Wärme aus Geothermie pro Jahr. Während BASF bei der Geothermie den Fokus auf die Nutzung der Wärme für den Prozessdampf legt, möchte das Unternehmen Vulcan Energy Lithium gewinnen. Die geschlossene Absichtserklärung sieht auch Wärmegewinnung für die Städte Ludwigshafen und Frankenthal vor.

Riesenpotenzial an Abwasserwärme

Die Analyse ermittelte zudem ein Potenzial von mehr als 430 GWh aus Abwasserwärme. Ein großer Teil des Wärmebedarfs der Stadt von derzeit knapp 1.200 GWh könnte aus diesen beiden Quellen gedeckt werden, zumal Sanierung und Effizienzmaßnahmen ihn bis 2045 auf 970 GWh drücken sollen. Eine zentrale Rolle spielt das BASF-Klärwerk, eines der größten in Europa. „Wir haben dort einen Durchfluss von 300.000 Litern pro Tag und eine Ausgangstemperatur von 23 Grad“, erklärt Mösl. Großwärmepumpen sollen diese Wärme für das Fernwärmenetz nutzbar machen. Hinzu kommt die Abwärme aus der Verbrennung des getrockneten Klärschlamms, die bereits heute ein eigenes Wärmenetz im Norden von Ludwigshafen versorgt. Eine geplante Transportleitung vom Norden in die Stadtmitte soll einen Fernwärmeanteil von 50 Prozent plus X ermöglichen und ihn damit verdoppeln. Fernziel für die 2030er-Jahre sei es, so Mösl, einen kompletten Verbund in der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar gemeinsam mit der MVV zu entwickeln.

Gleichzeitig biete der Ausbau der Fernwärme eine weitere Chance, sagte Ellen Schlomka. Die Stadt werde in Kürze drei wichtige Planwerke fertigstellen: den kommunalen Wärmeplan, das Klimaanpassungskonzept und das Starkregen- und Hochwasservorsorgekonzept. „Legen wir sie übereinander, erkennen wir Planungs- und Baubedarf, der neue Gestaltungsmöglichkeiten bietet.“ So könnten beim Verlegen der neuen Fernwärmeleitungen nicht mehr benötigte Leitungen entfernt und Platz für die Wurzeln neuer Bäume geschaffen werden – die Begrünung ist ein wichtiger Bestandteil des Klimaanpassungskonzepts. Entsiegelung und Versickerung sind zudem entscheidend für Starkregen- und Hochwasserschutz. „Diese Chance, unsere Straßen und anderen versiegelten Flächen so grundlegend unter diesen drei Gesichtspunkten anzugehen, ist einmalig“, betont Schlomka.

Wir haben eine besonders günstige Situation.

Thomas Mösl, Technischer Vorstand Technisches Werk Ludwigshafen AG, bezüglich eines gewaltigen Geothermie­potenzials

Fast 500 Kilometer weiter östlich beschäftigt sich Carina Kühnel, Amtsleiterin des Umweltamtes in Chemnitz, mit ganz ähnlichen Fragen, aber anderen Bedingungen. Zwar ist auch die 250.000-Einwohner-Stadt von der Industrie geprägt, doch statt eines Großunternehmens sind hier viele eher mittelgroße Betriebe aus dem verarbeitenden Gewerbe ansässig. „Für uns ist bei der Energiewende der Umbau der Wärmeversorgung die größte Herausforderung“, sagt Kühnel. 2.200 bis 2.400 GWh Wärme braucht die aktuelle Europäische Kulturhauptstadt jedes Jahr, bislang stammen erst sieben Prozent aus erneuerbaren Energien, 30 sollen es bis 2030 werden.

Dabei ist Chemnitz, Solarhauptstadt 2022 und regelmäßig durch den European Energy Award zertifiziert, Vorreiterin beim Kohleausstieg: Schon 2018 fiel die Entscheidung, aus der Braunkohle auszusteigen. Im Januar 2024 ging dann das Braunkohleheizkraftwerk endgültig vom Netz, Gasmotorenwerke übernahmen seine Aufgabe und reduzierten den CO2-Ausstoß der Fernwärmeerzeugung von 750 GWh jährlich um rund 60 Prozent.

Mehr erneuerbare Quellen sind indes nötig, um das gut ausgebaute Fernwärmenetz zu füttern und erweitern zu können. „Geothermie ist leider keine Option“, bedauert Kühnel. Der Transformationsplan des Energieversorgers Eins sieht Großwärmepumpen, ein Abfallheizkraftwerk und ein Holzkraftwerk vor, das voraussichtlich zur Heizsaison 2026/27 in Betrieb gehen soll und den Anteil von Erneuerbaren an der Fernwärme auf über zehn Prozent schiebt. Gleichzeitig ist der Energieversorger in Gesprächen mit Hersteller MAN: Deren neue Motorengeneration soll bis zu 100 Prozent Wasserstoff verbrennen können. Theoretisch sei das gesamte Gasnetz aus technischer Sicht bis zum Jahr 2045 auf Wasserstoff transformierbar, heißt es von Eins. Allerdings: Das kürzlich genehmigte Wasserstoffkernnetz sieht keinen Anschluss für Chemnitz vor. Eine Entscheidung, die bei Carina Kühnel auf Unverständnis stößt: „Hier soll eines von vier deutschen Wasserstoff-Technologiezentren entstehen. Und nun werden wir nicht angeschlossen? Das ist doch absurd.“ Stadt und Land Sachsen protestierten allerdings bislang ohne Erfolg.

Doch so vielversprechend und ambitioniert die Pläne für den Umbau in den Städten sind – es fehlt an soliden Rahmenbedingungen und Förderungen. „Wir müssen rund eine Milliarde Euro investieren“, sagt TWL-Vorstand Thomas Mösl. „Dafür brauchen wir langfristige Zusagen und eine zuverlässige Förderkulisse.“ Auch Carina Kühnel aus Chemnitz wünscht sich mehr Klarheit bei der Finanzierung: „Wir können eine solche Transformation nicht nebenbei stemmen und brauchen Verlässlichkeit.“

Weniger Bürokratie steht auf dem Wunschzettel von Ellen Schlomka. „Uns fehlt das Personal, um Fördermöglichkeiten zu recherchieren und komplizierte Anträge zu stellen.“ Ein positives Beispiel sei das Kommunale Investitionsprogramm Klimaschutz und Innovation (KIPKI) des Landes Rheinland-Pfalz: Jede Gemeinde erhält gemessen an der Einwohnerzahl einen Betrag für Investitionen in Klimaschutz und Klimafolgenanpassung – ohne Eigenanteil. „Davon brauchen wir mehr“, betont Schlomka. Und hat noch eine Forderung: Klimaschutz und Klimaanpassung müssten kommunale Pflichtaufgaben werden, um eine fördermittelunabhängige Finanzierung zu sichern. „Jetzt besteht die Gefahr, dass der Klimaschutz als freiwillige Aufgabe hinten runterfällt, wenn das Geld knapp ist.“ W

300 Tausend Liter Wasser mit einer Temperatur von 23 Grad laufen bei BASF täglich durch, ideal für die Abwasser­wärmenutzung.

Foto: KUNZ / Augenklick

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