Kläranlage von Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) mit eigener Photovoltaikanlage zur Direktversorgung des eigenen Strombedarfs.
Die Wasserwirtschaft von Emschergenossenschaft und Lippeverband nutzt Synergien und erzeugt bald viel Erneuerbare-Energien-Strom.
Klimawandel, Energiekrise und neue Anforderungen – der Wasserwirtschaft begegnen viele Herausforderungen. Mit der neuen Kommunalabwasserrichtlinie der Europäischen Union von 2024 kommt die Verpflichtung zur bundesweiten Einführung einer vierten Reinigungsstufe zum Abbau von Spurenstoffen auf größeren und großen Kläranlagen, zur Einhaltung verschärfter Ablaufwerte für Phosphor und Stickstoff sowie zur Energieneutralität der Abwasserbehandlung.Dies führt zu deutlich mehr Stromverbrauch in einem schon heute energieintensiven Sektor. Auch der Klimawandel, merkbar insbesondere durch vermehrte Starkregen, oder die Sorge vor regionalen und überregionalen Stromausfällen machen eine stärkere Resilienz der Branche notwendig. Gleichzeitig bieten ihre Strukturen durchaus Potenziale, gemeinsam mit dem Energiesektor Synergien für eine nachhaltige Zukunft zu heben.
Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) betreiben 59 Kläranlagen, über 500 Pumpwerke sowie viele weitere Anlagen im Bereich der Abwasserbehandlung und des Hochwasserschutzes. Das Gebiet des Lippeverbandes umfasst eine Fläche von 3.280 Quadratkilometern mit 1,4 Millionen Einwohnern. Das Gebiet der Emschergenossenschaft umfasst 865 Quadratkilometer und ist mit 2,2 Millionen Einwohnern dicht besiedelt. Der Betrieb der wasserwirtschaftlichen Anlagen braucht etwa 220 Gigawattstunden (GWh) Strom im Jahr – bei steigender Tendenz durch höhere Niederschlagssummen in den letzten Jahren.
Besonders die künftige vierte Reinigungsstufe wird den Energiebedarf stufenweise weiter erhöhen. Und die Dimensionen sind enorm: Alleine schon die bestehenden Anlagen haben – den Verbrauch der angesiedelten Industrieunternehmen eingerechnet – eine Ausbaukapazität von 6,65 Millionen Einwohnerwerten und entsorgen jährlich rund 750 Millionen Kubikmeter Abwasser.
Die hohe Abhängigkeit der Wasserwirtschaft von regenbedingten Schwankungen macht die Energieversorgung komplex. Während der Verbrauch von Kläranlagen gut prognostizierbar ist, ist der der großen Polderpumpwerke stark wetterabhängig. (Diese dienen dem Entwässern von großflächigen Bodensenkungen infolge des früheren Bergbaus der Region, Anmerkung der Redaktion.)
Die Optimierung der Energieversorgung durch ein intelligentes modernes Konzept zur Nutzung erneuerbarer Energien ist daher von zentraler Bedeutung. Das Konzept muss die ebenfalls wetterbedingte Erzeugung der Grünstromanlagen gut in den Eigenverbrauch integrieren lassen.
200 Gigawattstunden ist das ambitionierte Ziel, mit dem die Verbände im Wasserwirtschaftsunternehmen EGLV mit Sitz in Essen ihre Eigenenergieerzeugung vorantreiben, um durch einen eigenen Bilanzkreis ihre Energieautarkie zu maximieren.
Zielgerichtet zur Eigenenergieerzeugung
Der Ansatz der EGLV ist der Ausbau der Eigenenergieerzeugung. Der Fokus liegt hier auf dem Ausbau von Photovoltaik (PV), Windkraft und des Repoweringbestehender Blockheizkraftwerke (BHKW). Auf diese Weise kann ein Teil des Stromverbrauchs vor Ort gedeckt werden, und es reduziert sich die Abhängigkeit von externen Energiequellen. Je besser EGLV deren Erzeugung in ihre elektrische Eigenversorgung integrieren können, umso mehr nimmt die Resilienz des Systems gegenüber den unvorhersehbaren Schwankungen zum Beispiel im Stromverbrauch der Pumpwerke zu. Mit einer gut integrierten Erneuerbaren-Eigenversorgung wird der Zukauf von gegebenenfalls teurer Ausgleichsenergie minimiert.
Typisch für die Wasserwirtschaft ist ihre dezentrale Anlagenstruktur, so dass das Konzept das systematische Prüfen aller Dach- und Freiflächen der EGLV-Betriebsanlagen auf Potenziale zum Bau von PV- und Windkraftanlagen umfasst. Auch Repowering-Maßnahmen bestehender BHKWs der Wasserbetriebe finden bereits statt. (Damit nutzen die EGLV das Faulgas, Anmerkung der Redaktion). Sie und schon bestehende eigene Photovoltaik- und eine Windenergieanlage erzeugen bisher jährlich rund 100 Gigawattstunden (GWh). Diese Eigenversorgung soll nach und nach auf eine Kapazität von 200 GWh ausgebaut werden.
Als Energiemix wird etwa 30 Prozent PV, 30 Prozent Windkraft und 30 Prozent BHKW-Strom angestrebt. Hierbei spielt der Verbrauch vor Ort natürlich eine zentrale Rolle zur Kostenoptimierung, aber auch die Weitergabe von Stromüberschüssen an weitere von EGLV betriebene Anlagen. Der Schlüssel für die interne Weitergabe von Überschüssen ist der Aufbau eines eigenen Bilanzkreises.
Bilanzkreis- und Energiedatenmanagement
Ein Bilanzkreis ist ein virtuelles Energiemengenkonto, das die Energiebilanz zwischen Erzeugung, Verbrauch und Handel des Stroms abbildet. Das Bilanzkreismanagement bei EGLV befindet sich im Aufbau, wobei die Zielsetzung feststeht: Standortübergreifende Verteilung von Stromüberschüssen soll planbare Stromkosten sicherstellen und die Eigenversorgungsquote erhöhen. EGLV setzen auf Einsparen der Stromsteuer bei räumlicher Nähe von weniger als 4,5 Kilometer der Erneuerbaren-Anlagen zu den Abwasserbetriebsanlagen. Außerdem macht ein Bilanzkreis die Integration von PPAs möglich (die Nutzung von Stromlieferverträgen mit Anlagenbetreibern, sogenannter Power Purchase Agreements (PPA), Anmerkung der Redaktion).
Obwohl das Bilanzkreismanagement viele Vorteile bietet, sind Herausforderungen zu bewältigen:
Prognosegüte: Fehler der Prognose können zu hohen Ausgleichskosten führen, die das wirtschaftliche Risiko erhöhen. Die Verbrauchs- und Erzeugungsdaten müssen also mit hoher zeitlicher Auflösung bekannt sein.
Schwankender Energiebedarf: Starkregenereignisse und andere unvorhersehbare Einflüsse erschweren die Planung beziehungsweise Prognose.
Investitionskosten: Steuerungssysteme und die IT-technische Integration dezentraler Stromanlagen erfordern hohe Investitionen und neues Know-how.
Um diesen Risiken zu begegnen, sind vor allem technische Lösungen wie ein digitales Energiemanagement im Aufbau. Effizientes Energiedatenmanagement umfasst Verbrauchsdaten, die stetig durch RLM-Zähler (registrierende Leistungsmessung) erfasst werden, Erzeugungsdaten für alle Arten der Eigenproduktion und sonstige Prognosen zum Energiebedarf wie etwa Standardlastgänge.
Die EGLV decken ein großes Gebiet ab, wo es zeitgleich bewölkte Zonen und Zonen mit Sonneneinstrahlung geben kann. Hier lassen sichPotenziale über intelligente Steuerung optimal nutzen. Das Energiedatenmanagement lässt sich bis hin zur digitalen Energieleitwarte mit zentralen Steuerungsfunktionen erweitern.
Fazit und Ausblick
Die Strukturen der Wasserwirtschaft bieten signifikante Chancen für eine nachhaltige und resiliente Energieversorgung. Der Ausbau der Eigenenergieerzeugung durch PV, Windkraft und BHKW ist ein zentraler Schritt zum optimierten Energieeinkauf und mehr Versorgungssicherheit. Weiterhin können zusätzliche Technologien insbesondere zur Wärmenutzung aus dem Abwasser sowie Maßnahmen zur Energieeffizienz und Speichersysteme die Versorgungssicherheit erhöhen.
Um diese Potenziale optimal auszuschöpfen, sind präzise Datenanalyse, intelligente Steuerung und die enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteur*innen erforderlich. So kann die Wasserwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten.
Autorinnen
Maren van der Meer, Abteilungsleiterin Asset Management und Controlling Betrieb, Emschergenossenschaft/Lippeverband
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