Es gibt sie wirklich, die schönen Momente beim Radfahren durch Berlin: Bei Sonnenaufgang läuft ein Fuchs ein Weilchen neben der Autorin dieses Textes her, während sie am Park entlang radelt. Und später fährt sie im Herzen der Stadt durch eine grün gekennzeichnete Fahrradstraße, vor sich nur einen Elektro-Lkw von einem Postzustellungsdienst. Für wenige Minuten könnte man glauben, die Verkehrswende habe die Hauptstadt erreicht. Doch das ist nicht der Fall.
Vorzeige-Kommunen und Best-Practice-Beispiele gibt es reichlich, wenn es um die Energiewende geht. Sie sind wichtig, weil sie Mut machen und Ideen geben, wie die Transformation gelingen kann. Manchmal kommt man gleichwohl nicht umhin, auch negative Beispiele aufzuzeigen. Politikversagen. Hier lautet dann die Botschaft: Bitte nicht nachmachen.
Beim ADFC in der Yorkstraße sitzt Karl Grünberg am Küchentisch und rauft sich die Haare: „In diesem Jahr investiert der Senat noch 6,5 Millionen Euro in die Verbesserung des Radverkehrs. Ab 2026 sollen es nur noch 500.000 Euro sein“, stöhnt der Pressesprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Verbands. „Eine Farce. Bei diesem Haushaltsposten geht es vor allem um die Sanierung und nicht einmal um den Neubau von Radwegen. Dabei hat der amtierende Bürgermeister Wegner gesagt, er wolle auf jeden Fall Radwege sanieren.“ Ein neuerlicher Schock. Seit der rot-rot-grüne Berliner Senat im April 2023 durch Schwarz-Rot ersetzt wurde, dienen Bagger und Bulldozer scheinbar nur noch dem Zweck, die ökologische Transformation des Berliner Verkehrs niederzureißen und mit einer Schicht Asphalt zu überdecken.
„2018 hatte Rot-Rot-Grün ein Mobilitätsgesetz auf den Weg gebracht, in dem nicht Autos im Fokus stehen, sondern der Umweltverbund und damit neben dem ÖPNV vor allem die schwachen Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer“, erklärt Grünberg. „Der Autoverkehr sollte schrittweise zurückgenommen werden.“ Die darauf basierende Entwicklung eines Radverkehrsplans mit Vorrangnetz und Ergänzungsnetz habe eine Weile gedauert. In den Bezirken sei die Umsetzung wegen fehlender Mitarbeiter im Planungsbereich ebenfalls nur langsam vorangekommen. „Die Idee war, dass eine Lawine ins Rollen kommt. 2.376 Kilometer an neuen und geschützten Radwegen und Fahrradstraßen sollten bis 2030 entstehen.“ Doch bevor es richtig losgehen konnte, hat der neue Berliner Senat die Entwicklung ausgebremst.
„Der Radwegeausbau ist von der jetzigen Regierung nicht gewollt.“ Zuvor hätten bereits Unions-geführte Bezirke nicht mitgezogen. Spandau sei dafür exemplarisch, sagt der ADFC-Sprecher: „2021 bis 2023 hat der Verkehrsstadtrat sich den Ausbauplänen für Radwege quasi verweigert und hierfür zur Verfügung stehende Gelder kaum angerührt.“ In den Grün regierten Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg oder Mitte habe es derweil schnelle Fortschritte beim Ausbau von Radwegen gegeben. Auch in Pankow wächst der Radverkehr: Rund 22 Prozent der Mobilität findet dort per Fahrrad statt. „Und jeder Weg, der nicht mit dem Verbrenner zurückgelegt wird, spart letztlich CO2 ein“, ergänzt Grünberg. Dabei habe die Hauptstadt eine Verpflichtung, was die Reduktion von CO2 anbelangt, fügt er an.
Der Radwegeausbau ist von der jetzigen Regierung nicht gewollt.
Die teuerste Autobahn Deutschlands
Mit dem weiteren Ausbau der Stadtautobahn A100 wird das genaue Gegenteil erreicht. Im Januar 2023 beauftragte die Autobahn GmbH des Bundes ein Ingenieurbüro mit der Planung des 17. Bauabschnitts. Nebenbei gilt die A100 auch als teuerste Autobahn Deutschlands mit geschätzten 246.000 Euro pro Meter. Die Gesamtkosten für die Verlängerung der Berliner Stadtautobahn A100 belaufen sich nach einer aktuellen Schätzung des Bundesverkehrsministeriums auf rund 1,8 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die geplante Anschaffung zusätzlicher Blitzautomaten gegen die zunehmende Raserei in der Innenstadt ist aus Kostengründen erst einmal gestrichen worden. Berlin erweist sich einmal mehr als autofreundlich, laut ADAC ist die Metropole sogar die autofreundlichste Stadt Deutschlands.
So bleibt auch die Parkraumbewirtschaftung als Regulierungsinstrument ungenutzt. Ein Anwohnerparkausweis kostete bisher für zwei Jahre 20,40 Euro, in Freiburg sind es 200 Euro jährlich und in Singapur kostet die Parkberechtigung für Anwohner einen fünfstelligen Betrag. So gelingt es, die Verstopfung der Innenstädte durch parkende und fahrende Anwohner-Pkw abzubauen – und mit einem entsprechend guten Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln CO2 im Verkehr einzusparen.
Projekt i2030 für die Schiene
Wie geht es derweil mit dem öffentlichen Nahverkehr in Berlin voran? Hier tut sich tatsächlich etwas, was auch am Bund und am Nachbarn Brandenburg liegt. Denn die Kapazitäten im Nah-, Fern- und Güterverkehr reichen für die Zukunft nicht aus. Deshalb soll in den kommenden Jahren an vielen Stellen in den Aus- und Neubau von Bahnstrecken und Bahnhöfen investiert werden.
Berlin und Brandenburg gehen die Herausforderung zusammen mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) an. Gemeinsam modernisieren und erweitern sie im Projekt i2030 die Schieneninfrastruktur in acht definierten Korridoren und im S-Bahn-Netz. Bis 2030 sollen demnach bis zu 200 Kilometer Strecke reaktiviert, neu- oder ausgebaut werden. „i2030 ist ein in der Art einzigartiges Projekt in Deutschland, in dem zwei Länder, die Infrastrukturbetreiber und ein Verkehrsverbund eng zusammenarbeiten, um die Planungen für den Ausbau im regionalen Schienennetz gemeinsam voranzubringen“, sagt VBB-Geschäftsführer Martin Fuchs. „Mittlerweile arbeiten mehr als 150 Leute über alle Partner hinweg an der Realisierung der Projekte.“ Ein Meilenstein sei dabei Ende 2023 mit der Umsetzungsfinanzierung durch Fördermittel des Bundes für den zweigleisigen Ausbau der Strecke Lübbenau-Cottbus erreicht worden, der eine Inbetriebnahme bis Ende 2027 vorsieht.
Gleichwohl ist die i2030-Umsetzung eine Herkulesaufgabe. „Die Hautstadtregion ist ein Ballungsraum mit zwei Bundesländern, zwischen denen mehrere Hunderttausende Menschen pendeln. Dementsprechend liegt ein Fokus auf dem Ausbau von landesübergreifenden Verbindungen im Regional- und S-Bahnverkehr“, sagt Fuchs. „Schon heute ist der Knoten Berlin an vielen Stellen durch die Verkehre des Fern-, Regional- und Güterverkehrs überlastet. Hier schaffen die i2030-Partner die Planungsgrundlagen, um Engpässe im Netz aufzulösen und Kapazitäten zu erweitern.“ Immerhin, i2030 verströmt Aufbruchstimmung. W
1,8 Milliarden Euro kostet die Verlängerung der Stadtautobahn A100.