Seit dem Herbst vorigen Jahres haben die Betreiber von Anlagen der Windkraft oder Photovoltaik (PV) den Börsenstromhandel schätzen gelernt. Plötzlich erscheint es vielen von ihnen attraktiver, in der gesetzlich vorgeschriebenen Direktvermarktung ihren Strom nach aktuellen schwankenden Marktwerten als ihn gemäß des vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) fixierten Wertes vergüten zu lassen. In einem Online-Seminar von ERNEUERBARE ENERGIEN in Zusammenarbeit mit der Ökostromvermarktungssparte des Lausitzer Energieunternehmens Leag, der Leag Energy Cubes, informierten die Referenten, wie Sie als Anlagenbetreiber in diesem neuen Marktumfeld dennoch klug handeln können und müssen.
Angesichts des erhitzten Strommarktes mit immer neuen Rekordspotmarktpreisen wie zuletzt im August von im Monatsmittel mehr als 46 Cent pro Kilowattstunde (kWh) ist die Entscheidung von Anlagenbetreibern, auf die feste EEG-Vergütung zu verzichten – als Bedingung für vollständiges Mitverdienen am freien Stromhandel – auf den ersten Blick ohne Risiko. Zumal das Krisenumfeld Ukrainekrieg, internationale Handelsstreits, Corona-Pandemiebekämpfung und asiatische Konkurrenz die Strommarktpreise hochhalten dürfte. Die meist in Ausschreibungen ermittelten EEG-Tarife für Grünstrom, im Gesetz anzulegender Wert genannt, kommen mit ihren häufig 4 bis 6 Cent pro kWh an die aktuellen Wind- und Solarstrommarktwerke bei weitem nicht mehr ran.
46,52 Cent pro Kilowattstunde betrug der mittlere Spotmarktpreis an der deutschen Strombörse
im August
Christian Fünfgeld, Projektleiter Innovative Energielösungen bei Leag und bei Leag Energy Cubes Fachexperte der Energievermarktung, sowie Harald Altmann, der Geschäftsführer der Leag Energy Cubes, veranschaulichten mit Grafiken unterfüttert die aktuellen Dynamiken am Strommarkt. Tatsächlich deuten Terminmarktgeschäfte für Stromlieferungen zu den kommenden drei Jahren darauf hin, dass Marktwerte von weniger als 20 Cent pro kWh womöglich erst wieder für 2025 absehbar sind.
Handelsrisiken nehmen zu, Entgelte steigen
Andererseits, so verdeutlichte es Energievermarktungsspezialist Fünfgeld, sind die täglichen Handelsrisiken für die Vermarkter parallel mit den Gewinnchancen mitgewachsen. Die Preise können nämlich stark abweichen – zwischen Day-Ahead-Handel, der um 12 Uhr am Tag vor den Stromlieferungen für einen 24-Stunden-Zeitraum erfolgt und auf Einspeiseprognosen in Stundenabschnitten basiert, und dem Intradayhandel zum Ausgleich der Prognoseabweichungen von der realen Einspeisung. Schon im Juli konnten „Preisdifferenzen von über 120 Euro pro Megawattstunde“ beziehungsweise 12 Cent pro kWh rasch zuungunsten des Direktvermarkters ausschlagen. Im zusätzlichen sogenannten „reBAP“-Handel von Strommengen zum Bilanzkreisausgleich mögen am selben Tag, so zeigt es das Beispiel, sogar 30 Cent Preisabweichung zu Buche schlagen. Zum Bilanzkreisausgleich müssen Direktvermarkter als sogenannte Bilanzkreisverantwortliche für einen Ausgleich zwischen der in ihrer Verantwortung liegenden Stromabnahme und Stromeinspeisung sorgen. „Hierbei kann man schnell die Werte verbrennen, die es zu gewinnen gilt“, benannte Fünfgeld das Risiko für Direktvermarkter. In den Verträgen zwischen Direktvermarkter und Windenergie- und PV-Anlagenbetreiber müssten diese Risiken daher „in ein für beide Seiten faires Preismodell überführt werden“. Ein Ausgleich für steigende Vermarktungskosten sei mit dem Anspruch der Anlagenbetreiber aufs Profitieren an guten Marktwerten zu vereinen.
„Hierbei kann man schnell die Werte verbrennen, die es durch die guten Marktwerte zu gewinnen gilt.“
Leag-Energy-Cubes-Chef Altmann verwies dazu auf die in der Branche deshalb stark steigenden Dienstleistungsentgelte für Direktvermarkter. Inzwischen erreichten diese bei einem Fixpreisentgelt schon ein Niveau von „deutlich über drei Euro pro MWh“ bis zu schon knapp zehn Euro, also mehr als 0,3 bis knapp einem Cent pro kWh. Er empfahl daher die von Leag Energy Cubes angebotenen variablen Dienstleistungsentgelte. Demnach könnten EEG-Anlagenbetreiber mit den Direktvermarktern einen Grenzmarktwert vereinbaren, der ein wenig oberhalb des anzulegenden EEG-Vergütungstarifs liegt. Bei Handelspreisen unterhalb dieser Schwelle wird für die Anlagenbetreiber demnach nur ein niedriger Dienstleistungspreis von beispielsweise 0,3 Cent pro kWh fällig. Übertreffen die Monatsmarktwerte im Stromhandel aber die vereinbarte Handelspreisschwelle, so soll das Direktvermarktungsentgelt zu einem festgelegten Faktor mit dem Handelspreis ansteigen.
Die komplex anmutende Berechnung findet sich dann in einer einfachen und transparenten Formel wieder. So zeigen die Modellrechnungen von Leag Energy Cubes, dass ein variables Dienstleistungsentgelt für die Grünstromerzeuger günstiger ist, weil die Direktvermarkter hierbei weniger Preisrisiken absichern müssen.
Ohnehin kommt den Direktvermarktern seit 2021 eine wichtige Rolle als Risikovermeider zu. Dies erklärte der Leiter des Leag-Energy-Cubes-Geschäftsfeldes Betriebsführung, Philipp Schwerdtner. Denn sowohl die noch einmal verschärfte Regelung einer Null-Cent-Vergütung im EEG-Tarif ab schon vier statt bisher sechs Stunden hintereinander mit Stromüberangebot und negativen Handelspreisen, als auch die neue Anforderung des sogenannten Redispatch 2.0 dürften die meisten Erneuerbaren-Anlagenbetreiber überfordern.
Betriebsführung durch den Stromhändler
Während die Null-Cent-Vergütungen aufgrund der wetterabhängigen Einspeisung durch Windenergie- und PV-Anlagen immer häufiger werden, dürfen die Netzbetreiber beim Redispatch 2.0 künftig auch kleinere Wind- und Solarstromanlagen je nach Lastausgleichsbedarf der Leitungen feinjustieren. Sie dürfen diese abregeln, wenn es volkswirtschaftlich im Vergleich zur Abregelung großer Kraftwerke sinnvoll und für Anlagenbetreiber zumutbar ist. Allerdings müssen die Anlagenbetreiber dafür genauer als bisher Daten über geplante Reparaturen an den Anlagen sowie zu Einspeisestörungen durch Anlagenfehler an die Netzbetreiber liefern. Direktvermarkter nehmen ihnen diese Aufgabe und das Risiko der Negativ-
preise gegen ein weiteres Entgelt ab.
Schwerdtner stellte dazu das Angebot des Direktvermarkters vor, die technische Betriebsführung der Anlagen zu übernehmen. Dann können die Direktvermarkter direkt beeinflussen, dass Wartungszeiten und voraussehbare Anlagenstörungen nicht mit Hochpreisphasen im Handel zusammenfallen. Und dass die Daten immer pünktlich bei den Netzbetreibern sind. Dafür gewährt Leag Energy Cubes auch in Negativpreis-
phasen und unabhängig von deren Dauer eine Vergütung mindestens zum anzulegenden Wert.
Tilman Weber