Stellen Sie sich vor, Sie sollen in kürzester Zeit ein Haus bauen. Der Einzugstermin ist fix – doch das Baumaterial wurde neu erfunden, und es gibt keine erprobten Einsatztechniken. Vor einer ähnlichen doppelten Herausforderung stehen wir bei der Gestaltung eines zukunftsfähigen Strommarktdesigns: Die hohe Komplexität eines dekarbonisierten Energiesystems trifft auf einen straffen Zeitplan. Aus Sicht der Wind- und Solarenergie gibt es im Strommarktpapier der Bundesregierung nur eine praktikable Option.
Effizienter Kapazitäteneinsatz, Investitionssicherheit sowie räumlicher und zeitlicher Ausgleich – das sind die vier Zielkoordinaten des zukünftigen Strommarktdesigns. Sie erinnern an das berühmte magische Viereck aus der Volkswirtschaftslehre. Eine weitere Gemeinsamkeit: die schwierige Balance zwischen Zielen, die in der Praxis selten gleichzeitig erreicht werden können. Die richtigen Prioritäten zur richtigen Zeit sind daher erfolgskritisch für einen fortlaufenden Ausbau der erneuerbaren Energien. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welche Vor- und Nachteile bringen die vier Optionen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz aus Sicht der Wind- und Solarwirtschaft? Eine kurze Einordnung.
Welche Vor- und Nachteile bringen die Optionen des Bundeswirtschaftsministeriums?
Option 1: Weiterentwickelte „gleitende Marktprämie“
Dieses Modell bietet Anlagenbetreibern eine variable Vergütung basierend auf der Differenz zwischen einem festgelegten Zielwert und dem Marktpreis. Ein Refinanzierungsbeitrag wird fällig, wenn der Marktpreis einen festgelegten Höchstwert überschreitet. Die Marktprämie basiert auf bestehenden Prinzipien, das reduziert das Risiko eines Systembruchs. Für Marktteilnehmer bringt dies Sicherheit und Kontinuität. Besonders hervorzuheben ist der Marktwertkorridor. Dieser stellt sicher, dass Betreiber in Zeiten hoher Marktpreise nicht übermäßig profitieren, während sie bei niedrigen Preisen vor Einnahmeverlusten geschützt sind.
Zudem ist dieses Modell vergleichsweise einfach und schnell umsetzbar – ein wesentlicher Vorteil, da die Zeit bis 2027 knapp ist. Es fördert auch die Marktintegration, da Betreiber durch ihre Reaktion auf Marktpreise Anreize erhalten, ihre Anlagen effizient zu nutzen und systemdienlich auszulegen.
Option 2: Produktionsabhängiger zweiseitiger Differenzvertrag
Kern des Modells: Betreiber erhalten eine Vergütung auf Basis eines festen Referenzpreises, unabhängig von den tatsächlichen Marktpreisschwankungen. Im Gegensatz zur gleitenden Marktprämie gibt es keinen Marktwertkorridor. Betreiber profitieren also stärker von einem festen Preis, unabhängig von den Marktentwicklungen – besonders bei unvorhersehbaren Preisspitzen. Diese Option könnte Anreize zur Effizienzsteigerung und stärkere Kostenkontrolle bieten, da die Vergütung direkt an die Produktion gekoppelt ist. Gleichzeitig besteht für Betreiber das Risiko höherer Kapitalkosten bei stärkeren Preisschwankungen und Investitionsunsicherheiten.
Option 3: Produktionsunabhängiger zweiseitiger Differenzvertrag
Bei dieser Option wird die Vergütung vollständig von der tatsächlichen Produktion entkoppelt und orientiert sich stattdessen am theoretischen Produktionspotenzial der Anlagen. Dies würde den Betreiber:innen von Wind- und Solarparks eine stabile Einnahmequelle selbst in Zeiten niedriger Stromproduktion bieten. Der Nachteil dieser Option liegt in ihrer Komplexität. Die Berechnung des theoretischen Produktionspotenzials ist technisch anspruchsvoll und könnte zu erhöhtem Verwaltungsaufwand führen. Auch die Unsicherheiten bezüglich der tatsächlichen Erträge könnten Investoren abschrecken und so den Erneuerbaren-Ausbau bremsen.
Option 4: Kapazitätszahlung mit produktionsunabhängiger Refinanzierung
Dieses Modell sieht vor, dass Betreiber eine feste Vergütung für die installierte Kapazität erhalten, unabhängig von der tatsächlichen Stromproduktion. Ergänzt wird dies durch einen produktionsunabhängigen Refinanzierungsbeitrag, der ähnlich wie bei einem Differenzvertrag funktioniert. Obwohl das Modell langfristige Stabilität bietet, ist es ebenfalls mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden. Die Komplexität und Unsicherheiten bei der Finanzierung könnten insbesondere kleinere Marktteilnehmer belasten, während größere Unternehmen davon profitieren könnten. Zudem erscheint die Einführung dieses Modells bis 2027 wegen des hohen Test- und Anpassungsbedarfs als unpraktikabel.
Die Reform des Strommarktdesigns ist für den Ausbau der erneuerbaren Energien unerlässlich. Die Bundesregierung muss dabei sicherstellen, dass das neue Marktdesign rechtzeitig in Kraft tritt und gleichzeitig einen Mechanismus bietet, der sowohl Investitionssicherheit als auch technologischen Fortschritt fördert. Der produktionsabhängige zweiseitige Differenzvertrag (Option 2) bietet Planungssicherheit und Effizienzförderung, allerdings auch begrenzte Marktanreize sowie weniger Flexibilität und potenziell höhere Kosten für den Staat. Die Optionen 3 und 4 sind wegen ihrer geringen Marktverzerrungen und wegen der Anreize zum Kapazitätsausbau theoretisch attraktiv. Doch die komplexen Verwaltungsprozesse und das hohe Finanzierungsrisiko könnten den Fortschritt der Energiewende gefährden.
Folglich ist die schrittweise Weiterentwicklung der gleitenden Marktprämie mit Marktwertkorridor (Option 1) zielführend, da sie den Konflikt aus Komplexität und Zeitdruck am besten auflösen kann. Sie knüpft an das bestehende Förderregime an, ist mit der EU-Strommarktreform konform, reizt systemdienliche Anlagen an und kann zügig implementiert werden. Um im Eingangsbild zu bleiben: Mit verfeinertem Grundriss auf stabilem Fundament können wir auf der Baustelle Tempo machen.