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Schnelligkeit statt Artenschutz?

Windenergieanlagen sollen noch schneller genehmigt werden können. Deshalb reagierte der deutsche Gesetzgeber prompt, nachdem die Europäische Union mit ihrer Notfallverordnung den Weg freigemacht hatte, und schuf den neuen § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG). Dieser enthält für die Windenergiebranche eine frohe Botschaft: Im so genannten „Windenergiegebiet“ kann künftig auf aufwändige Artenschutzuntersuchungen und die bisher häufig notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet werden. Es ist ein überzeugender Ansatz, weil gerade Artenschutzuntersuchungen die Genehmigungsverfahren bisher in die Länge gezogen haben.

Die Grundidee der Regelung ist dabei simpel, aber effektiv: Dort, wo schon auf Planungsebene (sei es im Regionalplan, Flächennutzungsplan oder Bebauungsplan) eine Umweltprüfung statt­gefunden hat, kann im Genehmigungsverfahren darauf verzichtet werden. Langwierige Doppelprüfungen werden durch einen Rückgriff auf vor­handene Daten und daraus abgeleitete Vermeidungsmaßnahmen oder, wenn aktuelle Daten fehlen, durch Geldzahlung in ein Artenhilfsprogramm vermieden. Anwendbar sind die Erleich­terungen auf alle Verfahren, in denen der Antrag bis 30. Juni 2024 gestellt wird. Alles gut also? ­Leider (noch) nicht ganz.

Behörden verunsichert

Der Teufel steckt – wie so oft bei der Anwendung neuer juristischer Vorschriften – im Detail. Bei den Behörden ist aufgrund der Abkehr von gewohnten Prüfungsroutinen allerorten eine gewisse Verunsicherung festzustellen. Deshalb ist es gut und wichtig, dass die Bundesregierung nun vor einigen Tagen die Endfassung ihrer „Vollzugsempfehlung“ zum neuen § 6 WindBG vorgelegt hat. Wenn diese auch nicht strikt rechtsverbindlich ist, so wird die Praxis daran nicht vorbeikommen, um Zweifelsfragen zu klären.

So enthält die Vollzugsempfehlung einige begrüßenswerte Klarstellungen: Etwa jene, dass es für die Anwendung der Erleichterungen im Genehmigungsverfahren nicht darauf ankommt, wie gut oder wie aktuell eine Umweltprüfung im Flächennutzungsplan oder Regionalplan war. Auch ein älterer Plan kann deshalb Grundlage sein – solange überhaupt eine Umweltprüfung durchgeführt wurde. Klargestellt wurde zudem, dass die Erleichterungen des § 6 WindBG auch im Vorbescheidsverfahren und bei Repoweringvorhaben gelten, solange die zu repowernde Anlage im Windenergiegebiet liegt. Ein Wechsel innerhalb schon laufender Verfahren hin zu § 6 WindBG ist stets möglich.

Die Bundesregierung hatte im Frühjahr den ersten Entwurf der Vollzugshilfe vorgelegt, der sodann in die Verbändeanhörung ging. Im Vergleich zu dieser Entwurfsfassung aus dem Frühjahr hat es noch einmal wichtige Veränderungen gegeben: So sollen nach der nunmehr veröffentlichten Version auch Schutzmaßnahmen für Vögel im Nahbereich um Vogelhorste herum angeordnet werden bisher war man davon ausgegangen, dass in diesem Bereich Schutzmaßnahmen ohnehin nutzlos sind und deshalb direkt die Ausgleichszahlung zu leisten sei. Daran wird nicht festgehalten. Zudem ist es nun zur Vermeidung von Fledermaus-Abschaltzeiten bei neu errichteten Anlagen möglich, auf vorhandene Gondelmonitoring-Daten aus Nachbaranlagen zurückzugreifen. Das ist vor allem für Windparkerweiterungen relevant: Bisher verlangten die Behörden hier häufig neue zweijährige Gondelmonitorings für jede neue Anlage. Das dürfte sich nunmehr erledigt haben.

Kritische Empfehlung zum Rotmilan

Kritisch zu sehen sind dagegen die neuen Empfehlungen, wonach beim Rotmilan allein das Vorliegen eines Dichtezentrums die Anordnung von Schutzmaßnahmen rechtfertigen soll und es auf einen konkreten Vogelhorst vor Ort nicht mehr ankommt. Dies ist mit Blick auf die in der Praxis oft uferlose Konturierung der Dichtezentren nur schwer zu rechtfertigen. Darüber hinaus soll nach der nunmehr geltenden Vollzugshilfe der Vor­habenträger in der Pflicht stehen, fachlich zu prüfen, ob auf Grundlage vorhandener Daten Schutzmaßnahmen sowie Vermeidungsmaßnahmen notwendig sind. Zusätzlich soll er auch insoweit in „Vorleistung“ gehen müssen, als es seine Aufgabe ist, ein entsprechendes Vermeidungskonzept vorzulegen. Damit wird der eigentliche Kern der Vorschrift – keine eigenen Untersuchungs- und Vorlagepflichten auf Seiten der Vorhabenträger – ein Stück weit aufgeweicht. In der Praxis wird § 6 WindBG trotzdem zur Beschleunigung führen. Für viele Vorhabenträger stellen sich nach hiesiger Erfahrung aktuell vor allem Fragen der Priorität bei konkurrierenden Genehmigungsanträgen von Mitbewerbern. Auch hier kann § 6 WindBG Schlagkraft entfalten – indem er etwa den Vorbescheid zu einem attraktiveren Mittel der Rangsicherung macht, jetzt, wo im Vorbescheidsverfahren im Windenergiegebiet keine artenschutzfachlichen Unterlagen mehr eingereicht werden müssen. Dieses Beispiel zeigt: Vorhabenträger sind gut beraten, ihre laufenden und geplanten Vorhaben unter der Maßgabe des § 6 WindBG neu zu prüfen und auf sinnvolle Strategieänderungen planerisch sowie juristisch abzuklopfen.

Bei neuen Anlagen kann auf das Fledermausmonitoring von benachbarten Anlagen zurückgegriffen werden.

Foto: creativenature.nl - stock.adobe.com

Bei neuen Anlagen kann auf das Fledermausmonitoring von benachbarten Anlagen zurückgegriffen werden.
Tobias Roß
Kanzlei DOMBERT Rechtsanwälte. Er berät im Schwerpunkt zu Fragen des Umwelt- und Planungsrechts.

Foto: DOMBERT

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