Die Ampelregierung will den Ausbau der Windenergie massiv vorantreiben. Mehr als 12.000 MW sollen allein im kommenden Jahr ausgeschrieben werden. Doch derzeit stockt der Ausbau ebenso wie die Zahl der neu erteilten Genehmigungen, die ja Voraussetzung sind für künftige Projekte. Laut der jüngsten Auswertung der Fachagentur Windenergie an Land sind bis Ende März dieses Jahres 206 Windenergieanlagen mit rund 1.060 Megawatt (MW) Leistung bewilligt worden.
Doch warum ist es so schwierig, einen Windpark zu bauen? Das liegt an Verfahren, die so ablaufen wie in Altenmedingen. Altenmedingen ist ein kleiner Ort am nordöstlichen Rand der Lüneburger Heide. 1.500 Einwohner verteilen sich auf neun Ortsteile. Wer hierherkommt, kann die St. Mauritius-Kirche oder jungsteinzeitliche Königsgräber besuchen. Doch die Altenmedinger haben noch ein weiteres, eher unbekanntes Baudenkmal: die Mühle in Bostelwiebeck. „Die Hälfte unseres Gemeinderates wusste nicht, dass wir überhaupt diese Mühle haben“, sagt der Altenmedinger Bürgermeister Leon Hýling.
Rückbau Bürgerwindpark?
Mittlerweile aber hat die Mühle sogar überregional einige Bekanntheit erreicht. Denn obwohl sie von Bäumen und Gebüsch weitgehend zugewachsen ist und auch seit Jahrzehnten ihre Flügel fehlen, kann ihretwegen ein Windpark möglicherweise nicht gebaut werden, einem zweiten droht sogar der Abriss.
Doch der Reihe nach: Der Projektentwickler UKA will in Altenmedingen vier Windenergieanlagen vom Typ Vestas V-162 errichten. Dort gibt es bereits Windparks, im Gemeinderat herrscht eine positive Grundstimmung gegenüber der Windenergienutzung.
Der Landkreis Uelzen erteilte die Genehmigung nach acht Jahren Planung im Juli 2020. Etwa zeitgleich wurden sechs Anlagen eines Bürgerwindparks auf einer benachbarten Fläche genehmigt. Die Bürgerwindgesellschaft begann sofort zu bauen, der Windpark ist in Betrieb. In die beginnenden Bauarbeiten von UKA jedoch platzten Eilanträge der Naturschutzinitiative (NI), die das Vorhaben stoppten. Jetzt sind Zuwegung und Kranstellfläche bereits fertig, doch nichts geht mehr. Die NI ist ein bundesweit agierender Naturschutzverein. Der Einspruch gegen die Windenergieanlagen ist nicht der erste, den der Verein durchsetzen konnte: Vor Kurzem war sie im hessischen Alsfeld mit einer Klage gegen drei Windräder erfolgreich.
„Das versteht außer den härtesten Windkraftgegnern niemand hier.“
Das Überraschende ist jedoch der Grund, warum das Bauvorhaben gestoppt wurde. Dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg (OVG) ging es nicht um naturschutzfachliche Themen, sondern um die Frage, ob die geplanten Windenergieanlagen das Baudenkmal Bostelwiebecker Mühle beeinträchtigte. „Das kam für uns alle unerwartet“, sagt Bürgermeister Hýling.
Noch überraschender vielleicht: Das OVG selbst hatte im Verfahren das Denkmalschutzthema ins Spiel gebracht und beim Landesamt für Denkmalschutz in Hannover ein Gutachten beauftragt. Dies kam zu dem Schluss: Aufgrund seiner technikgeschichtlichen Bedeutung und seines herausragenden Einflusses auf das Landschaftbild besteht ein öffentliches Interesse am Erhalt des Baudenkmals. Die Windenergieanlage – das Gutachten bezieht sich nur auf eine – beeinträchtige die Wirkung der Windmühle. Das OVG schloss sich dieser Sichtweise uneingeschränkt an, trotz eines Gutachtens im Auftrag von UKA, das zu einem gegenteiligen Schluss kam, und stoppte vorerst den Weiterbau.
Denkmalstatus unabhängig vom Zustand
Für Bürgermeister Hýling ist diese Entscheidung unverständlich: „Man kann die Mühle von drei Seiten überhaupt nicht sehen, weil sie zugewachsen ist.“ Schon 1967 seien die Flügel entfernt worden. Doch das könne kein Argument sein, sagt Arnd Hüneke vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalschutz. „So lange ein Denkmal nicht unrettbar verloren ist, bleibt es ein Denkmal.“ Auch das Argument, die Mühle sei zugewachsen, könne nicht entscheidend sein – die Vegetation verändere sich im Jahreslauf. Zudem könne das Denkmal freigeschnitten werden.
So sieht es auch das Gericht, das den Ball allerdings an den Landkreis weiterspielt. „Der Landkreis hat sich im Genehmigungsverfahren nicht ausreichend mit der Frage des Denkmalschutzes befasst“, sagt Sprecher Harald Kramer. Deshalb habe das OVG zunächst selbst das Gutachten beauftragt und anschließend den Bau aller vier Windenergieanlagen so lange gestoppt, bis die Behörde diese Frage und auch die des möglichen Freischnitts der Mühle ausreichend abgewogen habe. Beim Landkreis hält man sich bedeckt. Eine Verfahrensdauer könne nicht prognostiziert werden, so ein Sprecher, zumal die Hauptverfahren noch liefen und sich gegebenenfalls ein weiteres Gerichtsverfahren anschließen werde.
„Das ist bizarr“, findet Bürgermeister Hýling. Seit Jahrzehnten sei der Bewuchs um die Mühle nicht zurückgeschnitten worden. Außerdem sei es doch ein Treppenwitz, dass dort, wo Menschen früher schon den Wind genutzt hätten, jetzt nicht wieder Windenergieanlagen errichtet werden dürften. Für den Bürgerwindpark aber könne das im schlimmsten Fall bedeuten, dass die Anlagen zurückgebaut werden müssen. „Das versteht außer den härtesten Windkraftgegnern niemand hier.“ Im August soll es daher eine Bürgerinformationsveranstaltung geben, auf der Landesamt und OVG ihre Sicht der Dinge erläutern.
Enttäuschung herrscht auch beim Projektentwickler UKA: „Wir sind verwundert, dass der Blick auf eine eigentlich kaum sichtbare alte Windmühle ohne Flügel schwerer wiegt als endlich weniger abhängig von Energieimporten zu werden und die Klimakrise zu bekämpfen“, sagt Pressesprecher Benjamin Laubert. Zufrieden hingegen ist die Naturschutzinitiative: „Wir sehen uns in unserer Auffassung bestätigt, dass das öffentliche Interesse an den erneuerbaren Energien nicht den nahezu uneingeschränkten Vorrang vor dem Schutz anderer öffentlichen Belange wie zum Beispiel dem Denkmalschutz haben kann“, sagt der Vorsitzende Harry Neumann. Ob es im Ort Proteste gegen den Windpark gibt oder nicht, ist für den Verein nicht von Belang: „Fehlende Proteste sind für einen anerkannten Naturschutzverband kein Kriterium, sich nicht einzubringen. Sie haben ja gerade die Aufgabe, der Natur eine Stimme zu geben, die selbst keine hat.“
In Altenmedingen will man trotz allem weiter auf Windkraft setzen und weitere Eignungsgebiete ausweisen. „Irgendwo muss die Energie ja schließlich herkommen. Und besser selbst erzeugen als woanders kaufen“, ist Bürgermeister Hýling überzeugt. Vorteilhaft könnte sich für die kleine Gemeinde die poltische Großwetterlage auswirken: Eine veränderte Einschätzung erneuerbarer Energien als von herausragendem öffentlichen Interesse könnte die Abwägung zwischen Denkmalschutz und Wind-
energie anders ausfallen lassen.