Der englische Politiker Sir Edward Coke stellte bereits im 16. Jahrhundert fest: „Eines jeden Haus ist ihm Schloss und Burg, sowohl zu seinem Schutz vor Unrecht und Gewalt als auch für seine Ruhe.“ Verkürzt prangt diese Botschaft „My home is my castle“ heute vor vielen Haustüren. Dass jedoch dieser Grundsatz bei der energetischen Gebäudesanierung nicht uneingeschränkt gilt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 23.06.2022 (Az.: V ZR 23/21) klargestellt.
Ausgangspunkt: Bestandshaus-Dämmung
Ausgangspunkt des Urteils war ein in Großstädten wie Berlin häufig anzutreffender Konflikt: Die Eigentümerin eines Bestandshauses wollte ihr Haus im Interesse größerer Energieeffizienz nachträglich dämmen. Jedoch wurde hierdurch die Grenze zum Nachbargrundstück um 16 Zentimeter überschritten, was auf Widerstand der Nachbarin stieß und die Bauherrin veranlasste, Klage einzureichen. Die Vorinstanzen gaben der Bauherrin Recht. Denn nach § 16a Nachbargesetz Berlin hat ein Grundstückseigentümer den Überbau über seine Grundstücksgrenze zu dulden, wenn sein Nachbar eine bereits bestehende Gebäudewand mit einer Wärmedämmung versehen will. Der BGH sah dies im Ergebnis ebenso und führte für die Duldungspflicht ins Feld, dass die Vorschrift dem Klimaschutz diene und damit einem anerkannten Gemeinwohlbelang, dem über das aus Art. 20a GG abgeleitete Klimaschutzgebot Verfassungsrang zukomme. Damit steht der BGH auf einer Linie mit dem wegweisenden Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.04.2021.
Es ist daher an der Zeit, wie es der Gesetzgeber in der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern schon länger umgesetzt hat, Abstandsflächen für Windenergieanlagen im Außenbereich generell zu streichen.
DOMBERT
Der Grundsatz – Vorrang des Klimaschutzes vor Individualinteressen eines Nachbarn – ist regelmäßig auch bei der Planung von Windenergieanlagen von Bedeutung, zum Beispiel wenn es um bauordnungsrechtliche Abstandsflächen geht. Die Landesbauordnungen – bis auf Mecklenburg-Vorpommern – bestimmen, dass auch Windenergieanlagen Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze freihalten müssen. Aufgrund der Anlagenhöhe gehen deshalb oftmals Flächen verloren. Zwar lassen die Landesbauordnungen in der Abwägung zwischen den öffentlichrechtlich geschützten nachbarlichen Belangen und den öffentlichen Belangen Abweichungen zu, um die Abstandsflächen zu verkürzen. Einige Bundesländer schränken allerdings diese Möglichkeit durch eine restriktive Auslegung der Voraussetzungen wieder ein.
Grundstücksgrenze überbauen
Diese Praxis dürfte sich – auch angesichts der Entscheidung des BGH und der zuletzt verabschiedeten Gesetzespakete zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land – nicht mehr lange durchhalten lassen. Denn Abstandsflächen sollen in erster Linie eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung von Wohnhäusern sichern und dazu beitragen, den sozialen Frieden zwischen den Nachbarn zu wahren. Diesen Zielen kommt im landwirtschaftlich genutzten Außenbereich ohne Wohnbebauung aber regelmäßig nur geringe Bedeutung zu, sodass in der Abwägung der widerstreitenden Belange die Interessen benachbarter Eigentümer landwirtschaftlicher Grundstücke gegenüber der im „überragenden öffentlichen Interesse liegenden“ und der „öffentlichen Sicherheit dienenden Windenergienutzung“ – so nunmehr ausdrücklich § 2 EEG – zurücktreten müssen. Und wenn – wie vom BGH bestätigt – Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung es sogar zulassen, eine Grundstücksgrenze zu überbauen, ist nicht ersichtlich, warum im grundsätzlich unbebauten Außenbereich dringend benötigte Flächen verschenkt werden, weil Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze eingehalten werden müssen. Es ist daher an der Zeit, wie es der Gesetzgeber in der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern schon länger umgesetzt hat, Abstandsflächen für Windenergieanlagen im Außenbereich generell zu streichen.
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