Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Große Aufgabe, verzwickte Details

Katharina Wolf

Zumindest die Ministerin ist zufrieden. „Mit den Änderungen am Bundesnaturschutzgesetz ermöglichen wir straffere, schnellere und rechtssichere Verfahren für den Ausbau der Windenergie“, sagte Steffi Lemke, nachdem das Bundeskabinett im Juni eine Formulierungshilfe für Änderungen im Bundesnaturschutzgesetz beschlossen hatte. Nun ist das Gesetz verabschiedet, doch der Haken ist: Mit ihrer Einschätzung steht sie ziemlich allein.

Einigkeit über beschleunigten Ausbau

Dabei herrscht grundsätzliche Einigkeit in Politik und Verbänden: Der Ausbau der Windenergie soll beschleunigt werden, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Dafür braucht es schnelle und rechtssichere Genehmigungsverfahren, denn allein im kommenden Jahr sollen mehr als 12.000 MW ausgeschrieben werden. Dass die länderspezifischen und oft unklaren Regelungen im Artenschutz Genehmigungsverfahren verzögern und für zahlreiche Klagen gegen Projekte sorgen, ist ebenfalls Konsens.

Laut einer aktuellen Branchenumfrage der Fachagentur Wind an Land sind 218 Windenergieanlagen mit insgesamt 808 MW Leistung zwischen 2017 und 2021 wegen Artenschutzfragen nicht genehmigt oder von Projektentwicklern nicht weiterverfolgt worden. Eine Umfrage aus dem Jahr 2019 ergab: 234 Anlagen mit 722 MW Leistung wurden seinerzeit wegen Artenschutzfragen beklagt. Die Aufgabe, die sich die Ampelkoalition schon im Koalitionsvertrag stellte, lautete daher: Windenergie ausbauen, Artenschutz nicht vernachlässigen.

Doch kaum lagen Vorschläge auf dem Tisch, regte sich Kritik. Mit einem Branchenappell wandten sich sechs Energieverbände an Regierungsparteien und Öffentlichkeit. Tenor: Das Ziel der zügigen und rechtssicheren Genehmigung werde nicht erreicht.

„Ich habe noch nie von straßenverkehrssensiblen Arten gehört.“

Jonas Straub, Referent Naturschutz, Abo Wind

Dabei erscheinen die Beschlüsse der Regierung auf den ersten Blick plausibel. Im Bundesnaturschutzgesetz wird jetzt festgeschrieben, dass die Windenergienutzung im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Zudem wird eine verbindliche Liste von 15 windkraftsensiblen Vogelarten aufgenommen. Je nach Art wird in drei unterschiedlichen Radien zum geplanten Anlagenstandort geprüft, ob es Brutplätze gibt. So ist beispielsweise für den Rotmilan ein Nahbereich von 500 Metern, ein Zentraler Prüfbereich von 1.200 Metern und ein Erweiterter Prüfbereich von 2.500 Metern vorgesehen. Die Logik dahinter verläuft wie eine Kaskade: Im Nahbereich ist grundsätzlich von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko auszugehen. im Zentralen Prüfbereich gibt es dafür Anhaltspunkte, es sei denn, eine Analyse des Habitats widerlegt dies. Auch Schutzmaßnahmen wie Abschaltungen können das Risiko drücken, Zumutbarkeitsgrenzen inklusive. Im Erweiterten Prüfbereich gilt die Vermutung, dass kein signifikant erhöhtes Risiko besteht, es sei denn, das Habitat wird besonders stark genutzt und Schutzmaßnahmen können das Tötungsrisiko nicht ausreichend senken. Außerhalb der Prüfbereiche sind keine Schutzmaßnahmen erforderlich.

Gleichzeitig werden Artenhilfsprogramme eingeführt, um die Vogelarten zu unterstützen, die sich auf der Liste der windkraftsensiblen Arten befinden. Für die kommenden vier Jahre steuert der Bund 80 Millionen Euro bei.

„So viele Probleme in den Details, dass die Gesetzes-
änderung nicht den gewünschten Effekt haben wird.“

Bernhard Strohmayer, Leiter Erneuerbare Energien, BNE

Repowering-Vorbelastung berücksichtigen

Auch das Repowering wird explizit aufgenommen: Hier sollen Vorbelastungen durch die bestehenden Anlagen und bestehenden Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden, um das signifikant erhöhte Tötungsrisiko einzuschätzen.

Doch es hagelt Kritik. „Die Richtung ist eine Verbesserung, aber es stecken so viele Probleme in den Details, dass die Gesetzesänderung nicht den gewünschten Effekt haben wird“, sagt Bernhard Strohmayer, Leiter Erneuerbare Energien beim Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE). „Es gibt handwerkliche Fehler, die große Umsetzungsprobleme in der Praxis hervorrufen werden.“ So seien mit der Kornweihe, dem Wespenbussard und der Sumpfohreule Arten in das Gesetz aufgenommen worden, die bislang nicht als windkraftsensibel galten. „Was heißt das für laufende Projekte?“ fragt er. Zudem gebe es für diese Arten auch keine erprobten Untersuchungsverfahren. Bis diese entwickelt sein, sei wichtige Zeit verflossen.

Neue Begriffe verunsichern Behörden

Positiv sei hingegen zu bewerten, dass Ungenauigkeiten und Fehler offenbar auch den zuständigen Ausschüssen im Bundestag aufgefallen seien – in einem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, für klare Regeln bei den Artenhilfsprogrammen und den Bewertungen der Habi-tate zu sorgen. Positiv sei hingegen zu bewerten, dass Ungenauigkeiten den zuständigen Ausschüssen im Bundestag aufgefallen seien – in einem Entschließungsantrag wird die Bundesregierung aufgefordert, für klare Regeln bei den Artenhilfsprogrammen und den Bewertungen der Habitate zu sorgen. „Ich könnte mir vorstellen, dass diese Themen nochmals angegangen werden“, so Strohmayer.

Es ist aber auch der grundsätzliche Ton, der in der Branche nicht gut ankommt: „Die Klimaschutztechnologie Windenergie als in bestimmten Bereichen pauschal artengefährdend im Bundesnaturschutzgesetz zu verankern, ist wissenschaftlich nicht begründbar“, heißt es im Branchenappell. Zudem sei der aktuelle Vorschlag der Europäischen Kommission, dass bei Einhaltung bestimmter Rahmenbedingungen für den Bau und Betrieb von Erneuerbaren-Anlagen kein „absichtliches Töten“ im Sinne der europäischen Artenschutzrichtlinien vorliegen soll, nicht berücksichtigt worden.

Das sieht auch Jonas Straub so, Referent Arten- und Naturschutz bei der Abo Wind AG, und nennt als Beispiel die neuen Artenhilfsprogramme. „Das unterstellt doch, dass es einerseits den so genannten windkraftsensiblen Arten richtig schlecht geht und andererseits die Windenergie diese Situation noch weiter verschlechtert.“ Das entspreche nicht den tatsächlich beobachteten Bestandsentwicklungen vieler der relevanten Arten. Andere Gefahrenquellen würden zudem so nicht adressiert: „Ich habe noch nie von straßenverkehrssensiblen oder agrarsensiblen Arten gehört, für die dann ein eigenes umfangreiches nationales Hilfsprogramm aufgelegt wurde. Gerade für den regelmäßig in den Konflikt mit der Windenergie gestellten Rotmilan legen aktuelle Untersuchungen allerdings nahe, dass dieser häufiger durch Verkehr als Kollisionen mit Windturbinen zu Tode kommt.“ Kritisch sieht er in diesem Kontext auch, dass Zahlungen im Zusammenhang mit einer artenschutzrechtlichen Ausnahme manifestiert werden. Gerade eine häufige Nutzung dieser stünde allerdings im Widerspruch mit der Einschätzung, dass die Ausnahme nicht zur Regel werden und konfliktträchtigen, seltenen Einzelfällen vorbehalten bleiben sollte.

Er warnt auch vor Problemen bei den Prüfbereichen: „Es sollte klar gestellt werden, dass der Nahbereich kein Tabubereich ist und im Zentralen Prüfbereich das Risiko überprüft, aber nicht widerlegt werden muss.“ Außerdem sei aufgrund der weiterhin nicht vorliegenden Ausarbeitung der Bewertungsmethode „Habitatpotenzialanalyse“ derzeit völlig unklar, nach welchen Maßstäben entschieden werde, dass das signifikant erhöhte Tötungsrisiko im zentralen Prüfbereich ausgeräumt werden könne oder welcher Umfang an Schutzmaßnahmen ausreichen würde, um es unter die „Signifikanzschwelle“ zu senken.

Rotmilane wie diesen sieht man oft in Brandenburg - Windparks ebenfalls.

Foto: Manfred Stöber - stock.adobe.com

Rotmilane wie diesen sieht man oft in Brandenburg - Windparks ebenfalls.

Artenhilfsprogramme brauchen Flächen

Und auch die Naturschützer sind unzufrieden. „Die geplanten Veränderungen werden insgesamt nur begrenzte Wirkung für die Beschleunigung entfalten“, meint Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die Artenhilfsprogramme seien zwar der „wichtigste Meilenstein“, bräuchten aber noch einen konkreten Zeitplan und Fläche, auf der sie umgesetzt werden können.

Er sieht aber die großen Aufgaben woanders: „Die Geschwindigkeit, mit der jetzt insbesondere für den Artenschutz gesetzliche Änderungen beschlossen werden sollen, brauchen wir eigentlich für die großen Baustellen der naturverträglichen Energiewende: Personalaufbau, Solarpflicht auf Dächern und Parkplätzen, verbindliche Vorgaben zum Energiesparen und einen gesetzlichen Rahmen, damit Bürger, Kommunen und Unternehmen gemeinsam Energie erzeugen, verbrauchen und teilen können.“

Im zuständigen Umweltministerium nimmt man die Kritik entspannt zur Kenntnis. „Die Lösungen, die der Gesetzentwurf bietet, bewegen sich thematisch in einem Spannungsfeld“, so eine Sprecherin. Der Gesetzentwurf berücksichtige neben dem großen Bedarf nach einem beschleunigten Ausbau der Windenergie an Land auch die Krise durch das Artensterben. „Es ist notwendig, eine ausgeglichene Regelung zu finden, die nicht einseitig zu Lasten der einen oder der anderen Seite erfolgt.“

Vor diesem Hintergrund sei es erwartbar, dass aus der Verbandsszene kritische Stimmen kommen – und zwar von beiden Seiten. „Entscheidend ist, die neuen standardisierten Möglichkeiten auch zu nutzen und zu schauen, wo dies jetzt einen schnellen Fortschritt bringt. Und natürlich werden wir die Gesetze evaluieren, sowohl mit Blick auf Fragen des Klimaschutzes als auch zu Fragen des Naturschutzes.“