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Ein zäher Prozess

Sven Ullrich

Deisenhausen hat es geschafft. Der kleine Ort zwischen Augsburg und Ulm ist auf dem Weg zur eigenen Energiewende einen großen Schritt vorangekommen. Denn der neue Solarpark produziert mit einer Leistung von 18,2 Megawatt jedes Jahr 20 Millionen Kilowattstunden Sonnenstrom.

Doch der Weg bis zur Inbetriebnahme der Anlage am 4. Juli 2023 war lang – trotz hoher Akzeptanz in der Gemeinde. Denn schon am 11. Juli 2020 wurden die Pachtverträge für die Grundstücke unterzeichnet. Danach konnte es an die konkrete Umsetzung gehen. Drei Jahre gingen aber trotzdem noch ins Land, bis die Solaranlage komplett fertig war. „Das ging aber noch relativ schnell“, sagt Raphael Kempf. Er ist Teamleiter Projektentwicklung bei Baywa RE und kennt die Wege durch die Administration.

Früher Kontakt mit der Gemeinde

Es ist ja nicht so, dass die Planer bei Baywa RE so lange brauchen, bis eine Anlage dieser Größe ausgelegt ist. Vielmehr sind es die unzähligen kleinen Schritte, die jedes Mal dafür sorgen, dass die Projekte ins Stocken geraten. Auf dem Weg zur Inbetriebnahme müssen die Projektentwickler immer wieder die für das Projekt relevanten Beteiligten zusammenbringen, die oft voneinander gar nichts wissen.

Wenn wir im nichtprivilegierten Bereich sind, also nicht auf 200-Meter-Randstreifen von Autobahnen und Schienen­wegen bauen, müssen wir ein Bauleitplanverfahren anstoßen.

Raphael Kempf, Baywa RE

Schon der Abschluss eines Pachtvertrags ist nicht ganz einfach. „Wenn er abgeschlossen ist, suchen wir den ersten Kontakt mit der Gemeinde“, erklärt Raphael Kempf. „Denn wenn wir im nichtprivilegierten Bereich sind, also nicht auf 200-Meter-Randstreifen von Autobahnen und Schienenwegen bauen, müssen wir ein Bauleitplanverfahren anstoßen.“

Gutachten werden notwendig

Denn die Gemeinde hat laut Paragraf 35 die Planungshoheit. „Im Einzelfall ist im Vorfeld noch ein Zielabweichungsverfahren notwendig. Auch eine denkmalrechtliche Erlaubnis oder eine wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung können erforderlich sein“, weiß Tim Rösner. Als Leiter der Abteilung Entwicklung und Genehmigung beim Projektentwickler Belectric hat auch er jede Menge Erfahrung gesammelt, welche Schritte bei der Umsetzung der Projekte notwendig sind.

Im weiteren Verfahren werden dann eventuell noch andere Gutachten notwendig. „Dazu gehören auch eine artenschutzrechtliche Prüfung, eventuell ein Blendgutachten, das Bodengutachten, die Kampfmitteluntersuchung oder das schallimmissionsschutztechnische Gutachten“, zählt Tim Rösner auf. All diese Gutachten dauern ihre Zeit und müssen vorliegen, damit das Bauleitplanverfahren beendet werden kann.

Betroffene beteiligen

Im Rahmen des Bauleitplanverfahrens müssen auch noch die Träger öffentlicher Belange und die Bevölkerung einbezogen werden. Das sind alle Institutionen, die von der Solaranlage betroffen sind – etwa die örtliche Feuerwehr oder die Telekom, deren Leitung eventuell tangiert wird. Diese müssen zweimal einbezogen werden. „Vor der ersten Beteiligung sollte die Bauart festgelegt und mindestens die Absprache mit dem Naturschutz erfolgt sein“, erklärt Tim Rösner. „Alle anderen Fakten und Gutachten müssen spätestens zur zweiten Beteiligung vorliegen. Sollte es bei der zweiten Beteiligung grundlegende negative Stellungnahmen geben, kann es zu einer weiteren Beteiligung kommen.“

Ablauf gut planen

Zudem müssen Fristen für die Beteiligungsverfahren eingehalten werden. An dieser Stelle ist eine ordentliche Vorbereitung der Planung durch den Projektierer für einen zügigeren Genehmigungsablauf von Vorteil. Denn die Träger öffentlicher Belange müssen in der Regel 30 Tage Zeit bekommen, um eine Stellungnahme abzugeben. „Wenn diese Frist kurz vor der Sommerpause, vor Ostern oder vor Weihnachten startet, kann es sein, dass eine Fristverlängerung beantragt wird“, weiß Raphael Kempf. Daher ist es wichtig, dass die Unterlagen im Vorfeld mit den Behörden abgestimmt sind und die förmliche Beteiligung wenig Überraschungspotenzial aufweist.

„Wenn das spezielle artenschutzrechtliche Gutachten, also die Kartierung der Arten von Frühjahr bis eventuell Spätsommer oder Herbst vorliegt, ist das weitere Bauleitplanverfahren theoretisch bis Mitte des darauffolgenden Jahres umsetzbar“, berichtet Tim Rösner. „In der Praxis kommt es jedoch durch oftmals negative Vorbehalte zu einem Verzug, denn jede Stellungnahme muss von der Behörde bearbeitet, geprüft und abgewogen beziehungsweise im Fall der Fälle in den Planungen berücksichtigt werden. Selbst bei grundsätzlich positiver Einstellung der örtlichen Behörde entstehen so in der Praxis Genehmigungszeiten von beispielsweise 1,5 Jahren.“

Artengutachten im Frühjahr

Doch dazu muss das artenschutzrechtliche Gutachten erst einmal auf dem Tisch liegen. Auch hier ist eine gute Planung wichtig. Denn es geht dabei um eine Auflistung der Arten, die auf dem Gelände siedeln, auf dem der Solarpark entstehen soll – unter anderem Vögel oder seltene Eidechsen. „Diese Kartierung kann der Biologe nur in der Brutzeit anfertigen“, sagt Raphael Kempf.

Zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen

Unter diesen Umständen sind drei Jahre für den gesamten Genehmigungsprozess tatsächlich keine ungewöhnlich lange Zeit. Immerhin kann der Projektentwickler in der Zwischenzeit schon die eigentliche Anlagenplanung vorantreiben. Dann liegt diese bereits vor, wenn das Genehmigungsverfahren beendet ist. Das gesamte Verfahren hat durchaus auch seine Berechtigung. „Insgesamt lässt sich die kommunale Planungshoheit nur bedingt durch die Entscheidungen der Bundesregierung beeinflussen“, sagt Tim Rösner. „Des Weiteren sind die Anforderungen an Solarparks in Bezug auf Denkmal- sowie Arten- und Naturschutz hoch, was allerdings unseren eigenen Nachhaltigkeitszielen entspricht.“

Vor der ersten Beteiligung sollte die Bauart festgelegt und mindestens die Absprache mit dem Naturschutz erfolgt sein. Alle anderen Fakten und Gutachten müssen spätestens zur zweiten Beteiligung vorliegen.

Tim Rösner, Belectric

Immerhin berücksichtigen sowohl Belectric als auch Baywa RE neben den grundsätzlichen gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Ausgleichsmaßnahmen auch die Selbstverpflichtung zur guten Planung von Solarparks des Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft. Diese beinhaltet zusätzliche freiwillige Maßnahmen, um die Umweltstandards weiter zu erhöhen. Dies komme bei den lokalen Genehmigungsbehörden genauso gut an wie ein zusätzlicher Batteriespeicher, weiß Raphael Kempf aus seiner Erfahrung mit den beiden Projekten in Deisenhausen und Kreuth. Beide Solarparks wurden mit einem Speicher ausgestattet.

Kriterien standardisieren

Dennoch sieht die Solarbranche durchaus noch Verbesserungsbedarf, um die Genehmigungsverfahren voranzutreiben. „Wir empfehlen die Entwicklung eines bundesweiten Kriterienkatalogs für den Bau von Freiflächenanlagen als Musterverordnung, um auf dieser Basis eine zügigere Umsetzung vor Ort zu ermöglichen“, sagt Tim Rösner. „In Bezug auf das Bauleitplanverfahren sollte für Solarparks außerdem ein schlankeres Verfahren möglich sein. Ebenfalls wichtig wäre eine komplette Digitalisierung des Prozesses mit interaktiven Zugangsmöglichkeiten der Beteiligten sowie eine Belegung aller gesetzlichen Schritte mit Fristen.“

Er schlägt zudem vor, bei genehmigten und vorhabenbezogenen Bebauungsplänen die Solarparks in den Landesbauordnungen als verfahrensfrei zu definieren. Hier ist Bayern Vorreiter. Außerdem sollten künftig Raumordnungspläne schneller angepasst oder Regelungen für Ausnahmen getroffen werden.

Eine weitere Beschleunigung kann sich aus dem Solarpaket I der Bundesregierung ergeben. Es sieht Vereinfachungen bei der Verlegung der Kabel zum Netzverknüpfungspunkt vor. Hier geht es vor allem darum, dass Eigentümer von Grundstücken die Verlegung des Kabels dulden müssen. „Dies wäre eine hilfreiche Möglichkeit, um die Projekte insgesamt schneller umzusetzen“, erklärt Raphael Kempf. „Natürlich muss dies auch gegen monetären Ausgleich geschehen. Es geht nicht darum, dass wir gratis irgendwo ein Kabel verlegen wollen, sondern darum, ob wir das überhaupt dürfen. Diese Diskussion ist leider oft sehr zäh und je nach Kabeltrasse ein weiteres Zusatzprojekt im Projekt.“

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