Tilman Weber
Rund 1.950 Besucher, rund 70 Foren: Die Windenergietage im mecklenburg-vorpommerschen Linstow zeigten von Dienstag bis Donnerstag, welch großes Interesse die Branche am Austausch über konkrete Maßnahmen und Ideen derzeit hat.
Der Berliner Branchenanwalt Philipp von Tettau beispielsweise erklärte den Grund dafür: Am Donnerstagmorgen machte er den Zuhörern im Forum „Recht und Paragraphenreiterei“ noch einmal die Ernsthaftigkeit der derzeitigen Angriffe aus dem politischen Raum deutlich. Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zielen mit jeweils einem eigenen Antrag in der Bundesländerkammer des deutschen Parlaments für eine Länderöffnungsklausel auf weit mehr als größere Tabubereiche für Windkraft und eine Stärkung kommunaler Gegenwehr. So verwies Tettau auf den Passus im Bundesratsantrag von Nordrhein-Westfalen, wonach die Länderöffnungsklausel den Bundesländern bis sogar 2024 Zeit einräumen solle: Erst bis dann müssten diese demnach ihre jeweils eigenen Einschränkungen für den Windkraftausbau festzurren können. Das bedeute, verdeutlichte Tettau, dass viele Bundesländer den Windparkausbau bis dahin unter Vorbehalt stellen könnten. Windparkprojektierungen, die gegen debattierte neue Tabuzonen um Siedlungen verstoßen könnten, ließen sich damit über Jahre stoppen.
Weit mehr Einschränkungen geplant
Nordrhein-Westfalen führe genauso wie das Land Brandenburg vor, dass auf immer mehr Einschränkungen des Windparkzubaus gedrängt werden soll: So will Nordrhein-Westfalen bisher schon mögliche bis zu zweijährige Bausperren durch Kommunen auf drei Jahre ausdehnen lassen, wenn diese einen Flächennutzungsplan aufstellen wollen. Brandenburg wiederum plane nicht weniger, als einen „Brandbeschleuniger“ gegen die Windkraft einzusetzen: Wenn Regionalpläne durch Klagen von Anwohnern aber auch Windparkprojektierern gerichtlich als ungültig erklärt würden, müssten in der Planungsregion zwei Jahre lang Windparkneubauten verboten sein. Diese Forderung Brandenburgs sei ein Aufruf an Windparkgegner, immer gegen Regionalpläne zu klagen – um zweijährige Baustopps zu erreichen.
Von Tettau riet der Branche dazu, mit eigenen Forderungen gegenzuhalten: Die Länderöffnungsklausel dürfe nur einen viel kürzeren Zeitraum gelten als bis Ende 2024. Bei ungültig gewordenen Regionalplänen müsse ein Moratorium dafür sorgen, dass erst zwei Jahre später keine neuen Windparks dort gebaut werden dürfen, damit die Klage nicht automatisch Erfolg gegen jeden Windparkbau verspreche. Und alte Regionalpläne müssten ein Auslaufdatum haben. Dies verhindere, dass nach einer Aufhebung von Regionalplänen sich die Neufassung endlos verschleppen lasse. Denn dann droht nach verpasster Frist für die Neuaufstellung eines Regionalplanes das Recht für Windparkprojektierer, überall zu bauen.
Technische Lösungen gesucht - und Strünstrom-Marktmodelle
Getriebeschäden und ihre Vermeidung, das Fitmachen von Altanlagen für den Weiterbetrieb, Spinneranemometer für vorausschauende Windfeldmessung vor dem Auftreffen der identifizierten Strömungsfelder auf den Rotor: Auch technische Lösungen waren drei Tage lang ein wichtiges Themenfeld für den Austausch von Planern, Juristen, Technikern oder Wirtschaftlern.
Vor allem aber auch die neuen Vermarktungschancen für Windstrom nahmen großen Raum ein. So schilderten Referenten, warum langfristige Stromlieferverträge mit großen Industriekunden schon sehr kurzfristig den Verkauf des Windstroms an der Strombörse erübrigen könnte. Die Stadtwerke München (SWM) schilderten einen bevorstehenden Versorgungs- und Kooperationsvertrag mit dem Technologie-Konzern Siemens. Dieser könnte ab kommendem Jahrzehnt Strom aus Altanlagen von den Stadtwerken München abnehmen. Genauer: Die SWM wollen Anlagen unter Vertrag nehmen oder kaufen, die mindestens drei bis fünf Jahre nach dem Ende ihrer Vergütungs-Förderdauer von 20 Jahren noch betriebsfähig seien. Den Strom liefere SWM dann an Siemens – ohne dass die Windparkbetreiber eine Pflicht zur Erfüllung eines fixen Erzeugungssolls hätten. Wenn die SWM alte Anlagen durch neue Anlagen ersetzen könnten, also repowern, werde das zu Siemens teilweise gehörende Unternehmen Siemens Gamesa die Anlagen dazu liefern.
Grünes B
Und selbst die Hauptstadt Berlin könnte mit einem gänzlich eigenen Grünstrom-Regionalmodell neue Vermarktungsoptionen öffnen: Dort entwickelt das Institut Ikem zusammen mit der Senatsverwaltung ein Modell namens „Grünes B“, mit dem sich Berlin vollständig und zeitgleich zum Bedarf der Verbraucher mit regionalem Grünstrom versorgen könnte. Die Entwickler wollen 2019 prüfen, ob die Windenergie in ganz Brandenburg dazu ausreicht, diesen Bedarf exakt abzudecken.