Können Versicherungen verbliebene Lücken im Vollwartungsdienst so abdecken, dass die Windstromernte bei jedem technischen Mangel und jeder Abnutzung der Turbinen lukrativ bleibt? Und lassen sich schwarze Zahlen schon gegen Risiken beim Planen und Errichten der Windparks absichern?
Um dieser Idee näherzukommen, hatte das Maklerunternehmen Enser Versicherungskontor (EVK) 2021 eine Kampagne gestartet. Über die Internetplattform Wind-Turbine.com boten die Versicherungsvermittler allen Windparkbetreibenden den kostenlosen Online-Quick-Check ihrer Vollwartungsverträge an. EVK lieferte den Teilnehmenden jeweils Schnellanalysen zu deren Instandhaltungskonzepten. Auf Wunsch hätten die Makler dann Versicherungsangebote für aufgespürte wirtschaftliche Lücken im Wartungsvertrag vermitteln können.
70 Prozent der Instandhaltungskosten gehören gemäß Schätzung beim Instandhaltungsdienst Deutsche Windtechnik dem Bereich Vollwartungsleistungen an, die nicht durch Basiswartungsverträge gedeckt sind. Hier finden sich auch die möglichen Versicherungsfälle.
Allerdings schloss EVK den „Vollwartungsvertrag-Quick-Check“ bald wieder. Weil die Vollwartungsverträge zunehmend unterschiedlich für die individuellen Bedürfnisse der Windparkbetriebsführungen gestrickt seien, sei eine pauschale Bewertung „schwierig geworden“. Gleichwohl vermitteln die westfälischen Experten für Erneuerbare-Energien-Assekuranzen weiterhin Risikoverträge zu den nicht von Vollwartungsverträgen abgedeckten Gefahren: Schäden durch „höhere Gewalt“ wie Blitzeinschläge oder Frost oder wo Wartungsverträge die Verfügbarkeit eines Windparks nur in begrenztem Maß absichern. Oder sie vermitteln Versicherungen für nicht durch die Instandhalter betreute Technik wie Kabel oder Übergabestationen. Außerdem bemessen sie die Deckungslücken der Instandhaltung so präzise, dass die Versicherer die Policen nicht mit zu viel Gefahrenzuschlag verteuern.
Risikominderung auch für Ertragsausfälle
Projektierungs- wie Betreiberunternehmen nutzen verschiedenartigste Risikominderungsverträge. Für die Planungsphase der Windparks gibt es Rückbau- und Pachtzahlungsbürgschaften sowie D&O-Verträge als Haftpflicht- und Rechtsschutzversicherung des Managements und der Entscheidungsträger. Für die Bauphase lassen sich Transport-, Montage-, Montage-Betriebsunterbrechungs- und Bauherrenhaftpflichtversicherungen abschließen. Für den Betrieb schirmen Maschinen-, Maschinen-Betriebsunterbrechungs-, Umwelt- und Betreiberhaftpflicht- plus Rechtsschutzversicherung die Windparks gegen finanzielle Risiken ab. Zuletzt kamen Ertragsausfall- und Cyber-Versicherungen (gegen Hackerangriffe) dazu. Auch sind spezielle Versicherungen für nicht durch die Vollwartung abgedeckte Reparaturen an elektrischen wie mechanischen Turbinenkomponenten möglich: Sie decken Schäden infolge von menschlichem Versagen, Feuer oder Extremwetter ab.
Das frisch in Abo Energy umbenannte traditionelle Erneuerbare-Energien-Unternehmen Abo Wind in Wiesbaden nennt ERNEUERBARE ENERGIEN sogar weiteren Bedarf. Das Windenergie- und Solarenergieunternehmen wächst seit Jahren stark. Es richtet sich internationaler aus und setzt auf moderne Vertriebswege wie Stromlieferverträge mit großen Stromabnehmern. Im Hinblick auf diese Power Purchase Agreements lasse es durch Versicherungsmakler im Einzelfall noch Windausfallversicherungen prüfen, heißt es aus Wiesbaden. Und weil der große Windparkakteur auch bei der technologischen Entwicklung vorne mitspielt, hat der dortige Versicherungsexperte Marcus Quilitzsch noch einen Wunsch: „Es wäre schön, wenn die Versicherungsmöglichkeiten von Prototypen und Nullserien einfacher gestaltet würden“, sagt er.
Ansonsten nutzt Abo Energy die meisten Versicherungsangebote für die Errichtungs- und Betriebsphase. Jedem Projekt lasse es durch Versicherungsmakler ein eigenes Risiko-Auffangnetz an Versicherungen knüpfen, teilt das Unternehmen mit.
Schön wäre, wenn Versicherungsmöglichkeiten von Prototypen und Nullserien einfacher gestaltet wären.
Der Kostenanteil der Versicherungen am Windparkbetrieb ist nicht sehr hoch, darf den Angaben des in der Windkraftbranche renommierten Marktanalyse- und Sachverständigenunternehmens Deutsche Windguard geglaubt werden. Im November 2023 hatte es für das Bundeswirtschaftsministerium eine Kostenstudie zu Windenergie an Land abgeschlossen. Im Durchschnitt fällt demnach jährlich ein Euro pro installiertes Kilowatt (kW) für Versicherungen bei ab 2019 in Betrieb genommenen Windparks an. Das entspräche zwei Prozent der gesamten jährlichen Betriebskosten, lautet die Rechnung. Zehn Jahre zuvor war Deutsche Windguard noch von drei bis fünf Prozent Anteil an den Gesamtbetriebskosten ausgegangen.
Die Kosten der Schutzschirme sinken also womöglich. Wachsende Erfahrungswerte mit Windparks machen es den Versicherern einfacher, Schäden zu kalkulieren. Das senkt deren Bedarf an finanziellen Rücklagen – und erlaubt günstigere Versicherungspolicen. Andere Marktteilnehmer hantieren mit leicht höheren Zahlen. Die baden-württembergische Heid Immobilien GmbH erstellt Windparkwertgutachten und rechnet mit Versicherungskosten von jährlich drei Euro pro Kilowatt.
Versicherungen mögen ein für Projektierer und Betreiber der Windparks lästiges Thema sein. So werben Unternehmen für kaufmännische Betriebsführung damit, dass sie in ihren Rundum-sorglos-Paketen auch alle Preisverhandlungen oder Schadensfall-Abwicklungen mit Versicherern übernehmen. So wirbt etwa Anbieter Enova für sein Betriebsführungsprogramm E-Save.
2020 allerdings wurden die Versicherungen mit dem Ende der garantierten Einspeise-Festvergütungen gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bei ersten Altwindparks mit 20 Betriebsjahren neu zum Thema. Zumindest im Weiterbetrieb der Altwindparks könnten sie eine kostensenkende Alternative zur Vollwartung werden, lautete ein Expertenrat. Sobald die Altwindparks nur noch geringe Erlöse aus dem Verkauf der Elektrizität am Strommarkt erzielten, könnten klassische Instandhaltungsangebote zu teuer sein. Dann sollten Versicherungen die größeren Schäden abdecken und Wartungsdienste nur eine preisgünstige Basisinstandhaltung verrichten.
Kooperation Versicherer und Instandhalter
Das führende deutsche Unternehmen unter den von den Turbinenherstellern unabhängigen Instandhaltungsdienstleistern, Deutsche Windtechnik aus Bremen, folgt hier eher einem dritten Weg. In Zusammenarbeit mit Versicherungen will Deutsche-Windtechnik-Vorstand Matthias Brandt ein Optimum an Sicherheit und Kostenbewusstsein erzielen. Dabei weist das Unternehmen als groben Schätzwert 70 Prozent der grundsätzlichen Instandhaltungskosten dem Bereich der Vollwartung zu. Nur 30 Prozent aller Kosten kommen aus den planbaren Basiswartungen, Prüfungen und Inspektionen.
In den mehr als zwei Dritteln der Instandhaltungskosten, die sich durch Vollwartungsverträge abdecken lassen, stecke auch die überwiegende Anzahl an potenziellen Versicherungsfällen. Damit dieser Service bezahlbar bleibt, sichert sich die Deutsche Windtechnik selbst durch Verträge bei spezialisierten Rückversicherern ab. Sie entscheidet individuell, welche Teile sie rückversichert – zum Beispiel garantierte Verfügbarkeiten, Totalschäden oder externe Schadensereignisse. Weil dies „eine gewisse Überlappung“ beim Absichern der Risiken im technischen Betrieb mit Versicherungen des Betreibers erzeugen kann, sagt Brandt, „können sich unsere Kundinnen und Kunden hier manchmal bestimmte Versicherungen sparen“.
1 Euro pro installiertes Kilowatt betragen die Versicherungskosten eines Windparks, analysiert das Beratungsunternehmen Deutsche Windguard.
Schon jetzt bieten die Bremer auch für Weiterbetriebsanlagen die Vollwartung an – öfter bereits als Standard bis ins 25. Betriebsjahr, individuell auch darüber hinaus. Bei den nun aus der EEG-Vergütung ausscheidenden Windenergieanlagen der Ein- bis Zwei-Megawatt-Klasse seien die meisten „tendenziell in gutem Zustand. Sie haben oftmals noch um die zehn Betriebsjahre vor sich“, sagt Brandt.
Als entscheidend dafür, den Betreibenden unnötige Versicherungen zu ersparen, wertet Brandt es, über Wissen und Daten zur Anlage und zu ihrem Zustand zu verfügen. Dies beinhaltet auch die Digitalisierung der Anlagentechnik: die elektrischen und elektronischen Sensoren der Condition-Monitoring-Systeme (CMS) zur Zustandsüberwachung der Windradkomponenten. Mittels intelligenter Datenverarbeitungssysteme gelinge es den Instandhaltungsteams immer präziser, auf Basis der CMS-Daten die Anlagen vor sich anbahnenden Schäden zu warten, zu reparieren oder zu ersetzen. Dazu habe Deutsche Windtechnik ein Zusammenspiel mit den Versicherungen aufgebaut, das zielgerechtere und preisgünstige Versicherungsverträge zulässt.
Wie das funktionieren kann, testeten die Bremer in einem Modellprojekt. Im Verbund mit dem Institut FK-Wind der Hochschule Bremerhaven, mit Windenergieunternehmen WPD und Maklerdienst Nordwest Assekuranz probten die Instandhalter, wie sie Schadensentwicklungsdaten austauschen können – und wie sie dann kommunizieren müssen.
Projektpartner Nordwest Assekuranz will nun individuelle Absicherungskonzepte „entwickeln und sie am Versicherungsmarkt platzieren“. Mehr als 300 Spezialisten wie Ingenieure und Juristen prüfen dort Haftungsrisiken von Windparks, schreiben diesen Versicherungskriterien zu – und suchen nach Versicherern dafür. Weil das Unternehmen sehr viele Windparks mit solchen Absicherungspaketen mitbringt, hat es nach eigener Aussage die Marktmacht, günstige Versicherungspreise zu erzielen.
Die Wiesbadener „R+V Versicherung“ schnürt derweil ein Spezialkonzept Wind als „ganzheitliche Absicherung über alle Phasen eines Windprojektes“. „Für jede Anlage“ bis zehn Megawatt will der Versicherer den passenden Schutz zusammenbauen. R+V-Abteilungsleiter Matthias Baum beschreibt dies als Angebot insbesondere in der von den Turbinenbauern selbst geleisteten Vollwartung. Die Turbinenbauer schränkten die Abdeckung ihrer Vollwartung immer mehr ein. Daraus folge ein bleibender Bedarf an ergänzendem Versicherungsschutz.