Automobile Produktentwickler sind von je her geprägt durch eine enorm kostenbewusste Denkweise und die kompromisslose Konzentration auf effektive Fertigungsprozesse. Der gewaltige Preisdruck, der nach wie vor durch den Endkunden und den steigenden Wettbewerb in diesem Segment entsteht, führte in der Vergangenheit zu einer kostenoptimierten Bauteilauslegung und zur fertigungsgerechten Einführung von modularen Baukästen und Plattformstrategien. Darüber hinaus ist die gesamte Branche durch einen hohen Qualitätsanspruch geprägt, da Produktausfälle schnell zu folgenschweren Imageschäden führen. Wo es bei der Entwicklung, dem Bau und dem Betrieb von Windkraftanlagen um kosteneffektive und qualitativ robuste Serienlösungen geht, liegt deshalb ein Know-how-Transfer aus der Automobilbranche nahe.
Die automatisierte Fertigung von Bauteilen in Serienprozessen führt zum einen zu erheblichen Kosteneinsparungen durch Skalierungseffekte und sichert zum anderen eine gleichbleibend hohe und dokumentierbare Qualität – auch in der Windbranche. So hat der automobile Entwicklungsdienstleister RLE International eine voll funktionsfähige, virtuelle Fabrik für die Herstellung von Windenergieanlagen simuliert. Dabei ist die Fertigung aller Komponenten hoch automatisiert und in enger Anlehnung an die Auslegung einer Fahrzeugfertigungslinie geplant. Neben der Herstellung der Rotorblätter sind auch die Produktion der Gondel, des Turms und die Endmontage von Einzelkomponenten vorgesehen. Durch eine konsequente Modularisierung sind auf der Fertigungsstrecke Anlagen verschiedener Leistungsklassen flexibel herstellbar. Der hohe Automatisierungsgrad wird insbesondere durch den logischen Einsatz von Robotersystemen erreicht. Gleichzeitig ist eine durchgängige Dokumentation des Fertigungsprozesses beabsichtigt, um eine gleichbleibende Qualität der Bauteile zu gewährleisten und etwaige Veränderungen im Prozessfenster frühzeitig erkennen zu können.
Ideen übertragen
Die Entwicklung einer Windkraftanlage erfordert zudem Wissen um eine vernünftige Getriebelösung. Auch in dem Bereich ist die Übertragung von vorhandenen Ideen aus der Automobilindustrie überaus zweckmäßig. Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen eines Verbundprojektes des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zurzeit ein Antriebsstrang mit einem verstellbaren hydrostatischen Getriebe für den Einsatz in einer Windenergieanlage entwickelt. Unterstützt wird das Projekt durch das Institut für fluidtechnische Antriebe und Steuerungen der RWTH Aachen und durch Hydrauliker aus der Automobilbranche.
Das Konzept sieht vor, dass das mechanische Rädergetriebe vollständig entfällt und Windrad und Generator entkoppelt werden. Durch diese Konstruktion wird die Generatorendrehzahl von der Drehzahl des Windrads unabhängig; der erforderliche Frequenzumrichter entfällt. Durch den Einsatz zuverlässiger Synchrongeneratoren können die so ausgestatteten Windenergieanlagen zur Netzstützung verwendet werden. Vorteile bestehen weiterhin in einer möglichen Kaskadierung der Pumpe und der Motoren. Darüber hinaus reagiert ein hydrostatisches oder leistungsverzweigtes Getriebe weit weniger auf Drehzahlschwankungen und Lastsprünge als die derzeitigen mechanischen Rädergetriebe. Durch einfache schaltungstechnische Maßnahmen lässt sich ferner eine deutlich höhere Überlastsicherheit erreichen.
Die Optimierung von tragenden Strukturen hinsichtlich ihres Gewichtes und ihrer Steifigkeit ist eine zentrale Aufgabe in der zielgerichteten Konstruktion von komplexen Bauteilen. Bisherige Ansätze greifen hierbei im Wesentlichen auf die Erfahrung des zuständigen Entwicklers und standardisierte Auslegungsmethoden zurück, was häufig zu Lösungen führt, die das mögliche Potenzial der Konstruktion nur ungenügend ausnutzen.
Der Einsatz von bionischen Konstruktionsmethoden bietet die Möglichkeit, durch die Nutzung von voroptimierten Strukturen deutliche Gewichtseinsparungen und Steifigkeitszuwächse zu realisieren. Mit Bionik bezeichnet man hierbei das systematische Lernen von der Natur und die technische Nutzung dieser evolutionären Lösungen.
Die Spezialisten vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven stellen biologische Startstrukturen aus einer umfangreichen Datenbank zur Verfügung, die aus so genannten Kieselalgen erzeugt wurde. Es gibt rund 6.000 Arten dieser Kleinstlebewesen, die von Biologen häufig als Weltmeister im Leichtbau bezeichnet werden. Mit Hilfe dieser biologischen Vorgaben werden rudimentäre Anfangsmodelle erzeugt, die mit Hilfe von Topologieoptimierungsprogrammen hinsichtlich des technischen Lastfalles weiter verfeinert werden. Unter Berücksichtung der Restriktionen aus der Herstellung der jeweiligen Komponente können relevante Gewichtseinsparungen bei gleichbleibenden oder erhöhten Steifigkeiten realisiert werden.
Bei der Anwendung auf Windenergieanlagen kann diese Methode unter anderem zur Gewichtsoptimierung des Maschinenträgers innerhalb der Gondel oder zur Erhöhung des Gewichts- und Steifigkeitsverhältnisses von Offshore-Gründungsbauten verwendet werden. In dieser Weise optimierte Tripodstrukturen zeigten zum Beispiel eine um sieben Prozent erhöhte Robustheit gegenüber Wellenlasten, bei einer gleichzeitigen Gewichtseinsparung von nahezu 25 Prozent.
Etabliertes Know-how
Neben diesen Beispielen gibt es noch viele weitere Gemeinsamkeiten, die eine Nutzung des in vielen Jahren etablierten Know-hows aus der Automobilbranche für die Entwicklung, die Herstellung und den Betrieb von Windenergieanlagen sinnvoll erscheinen lassen. Zum Beispiel der Einsatz und die Verarbeitung von Kunststoffverbunden, die quasistatische und dynamische Berechnung von rotierenden Elementen und deren dauerfeste Auslegung oder die Nutzung von Computer-Fluid-Dynamics (CFD) zur Strömungssimulation. Bei der Produktion der Anlagen ist über das Wissen um eine serientaugliche Bauteilentwicklung hinaus auch die Erfahrung um die vielfältigen Qualitätsmanagementsysteme eine Möglichkeit zur Nutzung von Synergien. Des Weiteren werden in der Automobilindustrie automatisierte Mechanismen zur Erstellung von Wartungsplänen, Anlagenbeschreibungen, Schaltplänen und Betriebsanleitungen verwendet, die auch für den Betrieb einer Windkraftanlage Anwendung finden könnten. 3D-Toleranzanalysen und Entfeinerung von Toleranzsystemen, Life Time Condition Monitoring Systems und die Planung und Steuerung von komplexen Großprojekten lassen sich ebenfalls übertragen.
Die Beispiele zeigen, dass Entwickler von komplexen Windenergieanlagen durchaus an verschiedenen Stellen vom Wissen der Automobilindustrie profitieren können. Ingenieurdienstleister aus dem automobilen Segment können herstellerübergreifende Erfahrung einbringen. Darüber hinaus steht die gesamte Branche zurzeit vor den größten Herausforderungen der vergangenen 100 Jahre. Grundlegende Änderungen in unseren Mobilitätskonzepten werden einen fundamentalen Umbau der Industrie verlangen. Vor diesem Hintergrund sieht eine zunehmende Anzahl von automobilen Entwicklungsdienstleistern im Bereich der regenerativen Energien eine Chance, ihre langjährigen Kompetenzen in dieses Feld einzubringen und hierdurch ihre Geschäftsbasis zu verbreitern.
Dr.-Ing. Jochen Blaurock
Lead Engineer New Technologies
RLE International GmbH