Immer wieder stellt sich für Windparkplaner und Investoren die Frage, warum verschiedene Windgutachter für denselben Standort zum Teil deutlich unterschiedliche Erträge prognostizieren. An deutschen Standorten an denen keine Windmessung durchgeführt wurde lässt sich dies häufig unter anderem darauf zurückführen, dass den Gutachtern Betriebsdaten von unterschiedlichen Vergleichsanlagen vorliegen. Vergleichsanlagen sind bestehende Windenergieanlagen in der Umgebung des beurteilten Standorts, welche zur Validierung des verwendeten Berechnungsmodells dienen.
Aber selbst wenn Gutachter dieselbe Datenbasis an Ertragsdaten verwenden, können die Ergebnisse noch weit auseinander liegen: Mögliche Ursachen sind abweichende meteorologische Eingangsdaten, unterschiedliche Berechnungsmodelle oder unterschiedliche Leistungskennlinien, ein unterschiedlicher Informationsstand über den Betriebsmodus und das Betriebsverhalten der Vergleichsanlagen oder auch unterschiedliche Herangehensweisen an den Langzeitbezug der verfügbaren Betriebsdaten.
Wichtiger Langzeitbezug: Sind die an einem Standort für ein Windparkvorhaben ermittelten Windstärken aus einem guten oder einem schlechten Windjahr?
Der sogenannte Langzeitbezug der Betriebsdaten von Vergleichsanlagen bildet eine wesentliche Grundlage von Ertragsberechnungen für Windgutachten. Dabei wird das Verhältnis von verfügbaren Betriebsdaten, die meist für einen kürzeren, nicht repräsentativen Zeitraum vorliegen, zu sogenannten Langzeitdatenquellen ermittelt. Daraus werden dann die Erträge abgeleitet, die die Vergleichsanlagen in einem dem langjährigen Mittel entsprechenden „Durchschnitts-Windjahr" gehabt hätten. Die bekannteste dieser Langzeitdatenquellen ist der BDB-Windindex (auch IWET- oder Keiler-Häuser-Index genannt). Er beruht auf tatsächlichen Erträgen einiger tausend Windenergieanlagen, aus denen für 25 Regionen deutschlandweit monatsweise Indexwerte berechnet werden. Sie geben an, wie die jeweiligen monatlichen Erträge vom langjährigen Durchschnitt abweichen.
Methodenbedingt weist der BDB-Index eine Trendhaltigkeit auf, die sich sukzessiv im Laufe der Zeit erhöht. Daraus resultieren Überbewertungen des Windenergiepotenzials. Bei der Herausgabe neuer Versionen des BDB-Index wird diese Trendhaltigkeit immer wieder bearbeitet.
Tendenz des traditionellen Langzeitindex: Neigung zu ungerechtfertigt positiven Ertragserwartungen
Die Trendhaltigkeit des BDB-Indexes Version 2006 und die daraus seinerzeit resultierenden Überbewertungen des Windpotenzials war eines der Hauptthemen des Arbeitskreis Langzeitbezug des Windgutachterbeirats im Bundesverband WindEnergie (BWE). Dieser bildete sich im November 2010 mit dem Ziel die zu der Zeit am häufigsten verwendete Langzeitdatenquelle intensiv zu analysieren und vergleichend mit anderen Langzeitdatenquellen zu bewerten. Dabei wurde mit dem Herausgeber des Index, der geladener Teilnehmer war, zusammengearbeitet und eine Neuauflage des BDB-Index basierend auf den Analyseergebnissen angeregt. Ende 2011 ist daraufhin der BDB-Index in der Version 2011 erschienen.
Neben dem BDB-Index hat der Arbeitskreis weitere Langzeitdatenquellen, überwiegend auf Basis von Reanalysedaten (Klimadaten, die mit meteorologischen Modellen standardisiert und räumlich übertragen werden), und daraus generierten Indizes analysiert und bewertet. Die Bandbreite reicht von den NCAR/NCEP-Daten mit einer räumlichen Auflösung von 2,5 Grad (das heißt: zwölf Datenpunkte für Deutschland) und zum Beispiel den daraus per Downscaling auf ein Fünf-Kilometer-Raster abgeleiteten Anemos-Ertragsindex, über die MERRA-Daten bis hin zu den ConWx-Daten, die für eine 0,03-Grad-Auflösung (ein Raster von etwa drei Kilometern) verfügbar sind. Abschließend führte der Arbeitskreis den „Vergleichstest Langzeitbezug von WEA-Betriebsdaten" durch, welcher im Herbst 2012 gestartet wurde und an dem 24 Firmen teilnahmen.
Neuauflage 2008-er Ringversuch
Bei diesem Vergleichstest handelt es sich um eine Neuauflage des Ringversuchs, den der Windgutachterbeirat in ähnlicher Form im Jahr 2008 durchgeführt hatte, um unter anderem Erkenntnisse über die Streuung der Ergebnisse von Langzeitbezügen zu gewinnen. Mit dem aktuellen Vergleichstest wurde überprüft, inwiefern die im Arbeitskreis gewonnenen Erkenntnisse und die zusätzlich zur Verfügung stehenden Langzeit-Datensätze die Streuung der Berechnungsergebnisse verringert haben.
Die Aufgabe für die Gutachter im Vergleichstest bestand darin, für sechs über Deutschland verteilte Vergleichsanlagen die langzeitbezogenen Erträge zu ermitteln. Bei deren Betriebsdaten handelte es sich um dieselben Daten wie im Ringversuch 2008, so dass ein direkter Vergleich der Ergebnisse möglich ist. In der Wahl der Langzeitdatenquellen und der Methoden waren die Teilnehmer frei – wie auch bei der Erstellung eines üblichen Windgutachtens.
Drei wesentliche Ergebnisse
Zusammengefasst zeigt der neue Vergleichstest Langzeitbezug von 2013 (bezogen auf das Veröffentlichungsjahr) drei wesentliche Ergebnisse:
• Die Streuung der durch die 24 Teilnehmer langzeitbezogenen Erträge hat im Vergleich zum Ringversuch 2008 deutlich abgenommen (GRAFIK 1 ).
• Die überwiegende Anzahl der Gutachter verwendet inzwischen mehrere und unterschiedliche Langzeitdatenquellen parallel, um die Ergebnisse zu überprüfen und abzusichern (GRAFIK 2 ).
• Das Niveau der für die Vergleichsanlagen berechneten Erträge liegt niedriger als im Ringversuch 2008. Die 2008 höher ermittelten Erträge sind prmär dem damals gängigen BDB-Index 2006 zuzuschreiben (GRAFIK 3 ).
Die geringere Streuung langzeitbezogener Erträge ist aus Sicht der Gutachter ein deutlicher Indikator für eine Qualitätsverbesserung von Ertragsberechnungen.Grafik 1 zeigt, dass im Vergleichstest 2013 circa 40 Prozent der langzeitbezogenen Erträge im Bereich von plus oder minus einem Prozent um den Durchschnitt herum liegen (Klasse 0,99 -1,01). Weitere 44 Prozent weichen zwischen ein und drei Prozent vom Mittelwert ab (Klassen 0,97 - 0,99 und 1,01 -1,03). Bei den Ergebnissen des Ringversuchs 2008 hingegen war eine statistisch untypische Verteilung zu erkennen, deren größte Häufigkeit bei Abweichungen von drei bis fünf Prozent über dem Durchschnitt lag. Im Ringversuch 2008 war auch der Anteil der Ergebnisse, die mehr als neun Prozent unter und mehr als neun Prozent über dem Durchschnitt lagen, deutlich größer als im Vergleichstest 2013.
Beim Ringversuch 2008 kam es häufig vor, dass Teilnehmer ihre Auswertungen auf eine einzige Langzeitdatenquelle stützten. Im Vergleichstest 2013 verwendeten hingegen nahezu alle Teilnehmer mindestens zwei verschiedene Langzeitdatenquellen parallel. Dies ist heute wesentlich leichter möglich als vor fünf Jahren, da mittlerweile viel mehr Langzeitdatenquellen zur Verfügung stehen. Die Verwendung mehrerer unabhängiger Datenquellen ermöglicht qualitativ hochwertigere Ertragsberechnungen, da die Datenquellen gegeneinander validiert und Ausreißer ausgeschlossen werden können.
Abgesenkte Erwartungen
Dass sich die langzeitbezogenen Erträge aber nicht nur einander angenähert haben, sondern (vorwiegend aufgrund der BDB-Windindex-Version 2011 und der zusätzlich zur Verfügung stehenden Datenquellen) auch gesunken sind, ist aus der folgenden Grafik ersichtlich. Der Unterschied im Niveau der Erträge ist bei den einzelnen Standorten verschieden groß, aber bei allen Standorten lagen die langzeitbezogenen Erträge im Ringversuch 2008 höher als im Vergleichstest 2013. Im Durchschnitt über alle Standorte beträgt der Unterschied -6,1 Prozent.
Der Fachaufsatz präsentiert die Ergebnisse des Arbeitskreises Langzeitbezug im BWE-Gutachterbeirat, einem Expertengremium im Bundesverband Windenergie.Wir präsentieren Ihnen hier die Komplettversion des in der Druckausgabe ERNEUERBARE ENERGIEN 12/2012 verkürzt erschienenen Artikels.
AUTOREN: Karl Breckner, SOLvent GmbH; Stephanie Dix, Tüv Süd Industrie Service GmbH