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Reibung in der Windmechanik

Fast reibungslos

Technisch robuste Lösungen ohne hohe Reibverluste, sehr präzise ausgelegte Gleitlager und hohe Gleitgeschwindigkeiten bei sehr geringem Schmierstoffeinsatz – für heutige Schmiermittel sind diese Anforderungen nicht zu bewältigen. Flüssigkristalline Schmierstoffe könnten das in den beweglichen Komponenten der Windenergieanlagen hingegen ermöglichen. Das Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM hat die Eigenschaften der Flüssigkristalle untersucht. Ihre extrem niedrigen Reibwerte könnten die Effizienz und Lebensdauer von Maschinenteilen maßgeblich erhöhen.
Die Reibung zwischen beweglichen Materialteilen (Tribologie) ist die Hauptursache für Materialabtrag und verringerte Energieeffizienz durch Verschleiß und Reibverluste. Schmierstoffe mildern die Reibungseffekte, was die Wirtschaftlichkeit von technischen Prozessen verbessert. Gut geschmierte Materialteile müssen weniger häufig gewartet werden, zudem reduzieren niedrige Reibwerte den Energieverbrauch mechanischer Anlagen. Die Anforderungen an Schmierstoffe sind jedoch hoch – und Windenergieanlagen stellen beinahe die höchsten Ansprüche [1; 2]. Um ihren Wartungsaufwand zu minimieren, müssen die eingesetzten Schmierstoffe möglichst lange einsetzbar sein und die Reibung so stark wie möglich reduzieren. Diese Eigenschaften wären insbesondere in den Gleitlagern von Windenergieanlagen gefragt [3].
Intelligente Schmiermittel
Auf der Suche nach Schmierstoffen, die diese Anforderungen optimal erfüllen, entwickelt das Fraunhofer IWM zusammen mit den Firmen Nematel und Dr. Tillwich GmbH Werner Stehr flüssigkristalline Substanzen. Nematel hat geeignete Flüssigkristalle entwickelt und das Fraunhofer IWM untersucht sie auf ihre prinzipiellen Fähigkeiten zur Reibungsminimierung [4]. Aus diesen Flüssigkristallen entwickelt die Firma Tillwich Modellschmierstoffe in kleineren Mengen, beispielsweise für Mikrosysteme, die die Forscher mit Additiven versetzen, um sie alterungs- und oxidationsbeständig zu machen.
Im Gegensatz zu normalen Flüssigkeiten, wie Wasser oder Schmieröle, sind die Moleküle von Flüssigkristallen gleichmäßig ausgerichtet (Bild 1, S. 56). Sie besitzen eine Vorzugsorientierung. Diese gleichmäßige Struktur ist je nach Art des Flüssigkristalls und seiner Umgebungsbedingungen, wie der Temperatur, unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Moleküle des Flüssigkristalls richten sich nach dem Weg des geringsten Widerstandes aus. Die Oberflächeneigenschaften der Reibpaare, zum Beispiel zweier Zahnräder, bestimmen die Gleitfähigkeit eines flüssigkristallinen Schmierstoffes ebenso wie die Hauptrichtung der wirkenden Kräfte. Durch diese Orientierungsphänomene an der Grenzfläche zwischen Festkörper und Fluid kann sich eine geordnete Nanostruktur ausbilden, die zu dem makroskopisch messbaren Effekt eines extrem niedrigen Reibwerts führt.
Mit einem Tribometer, einem Messgerät, das Reibung und Verschleiß misst, hat das Fraunhofer IWM den zeitlichen Verlauf des Reibwertes von verschiedenen Schmierstoffen aufgezeichnet. Die Reibungs- und Verschleißuntersuchungen an bestimmten mesogenen – das heißt zur Bildung flüssigkristalliner Phasen befähigten – Stoffen ergaben extrem niedrige Reibungs- und Verschleißwerte.

Moleküle passen sich Umgebung an

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass sich die Moleküle des flüssigkristallinen Stoffes durch Reibung ausrichten lassen. Ihre Ausrichtung verringert die Gleitreibung in der Hauptgleitrichtung wirkungsvoll, die Viskosität (Zähflüssigkeit) des Stoffes ist gering. Vertikal zur Gleitrichtung an, ist der Stoff sehr zähflüssig, wodurch der Flüssigkristall die Oberflächen der Reibpaare voneinander trennt. Das flüssigkristalline Schmiermittel begünstigt Bewegungen in die gewünschte Richtung und behindert Bewegungen in unerwünschte Richtungen.
Der Reibwertverlauf zeigt, dass die Stoffe eine gewisse Einlaufzeit benötigen, um Reibwerte von weniger als 0,005 zu stabilisieren. Ersten Erkenntnissen zufolge gleichen sich die Oberflächen der Reibpaare in dieser Einlaufphase an. Dabei sinkt die Flächenpressung wegen des anfänglichen Materialverschleißes. Danach konnte das Fraunhofer IWM auch bei Versuchsdauern bis 100 Stunden mit Standardanalysen wie Profilometrie oder Weißlichtinterferometrie keinen weiteren Verschleiß beobachten. Die Substanzen können die Verschleißraten um ein Vielfaches senken. Selbst bei sehr starker Reibbeanspruchung wirken diese Effekte.
Die bisher entwickelten Stoffe zeigen hinsichtlich der Versuchstemperatur starke Abhängigkeiten. Das Problem flüssigkristalliner Stoffe ist, dass ihre Kristallstruktur von der Temperatur abhängt: Ab bestimmten Grenzwerten verlieren die Moleküle ihre einheitliche Ausrichtung, die Ordnung in der Molekülstruktur geht verloren, der Stoff wird isotrop. Extrem niedrige Reibwerte wurden bisher gut reproduzierbar zwischen Raumtemperatur und 140 Grad Celsius in einem weiten Bereich von Gleitgeschwindigkeiten erzielt.
In der Literatur wurde bereits die Möglichkeit diskutiert, das Reibungsverhalten von Ölen durch Zugabe von Flüssigkristallen zu verbessern. Bisherige tribologische Versuche am Fraunhofer IWM ergaben, dass der Effekt des Reibwertabfalls auf Werte von f=0,005 auch in Gemischen möglich ist. Die jüngsten Untersuchungen bestätigen, dass Flüssigkristalle mit Ölen mischbar sind und dennoch der Effekt der Reibwerterniedrigung auftritt. Dabei wurde das flüssigkristalline Schmiermittel zu 50 Prozent mit dem Modell-Schmierstoff Hexadekan verdünnt. In Zukunft könnte die gute Mischbarkeit der teuren flüssigkristallinen Schmiermittel mit anderen Schmierstoffen sie schneller wirtschaftlich anwendbar machen.

Elektrisch schaltbare Flüssigkristalle?

Für verschiedene technische Systeme wäre es vorteilhaft, wenn es Schmiermittel gäbe, die die Reibung auf extrem niedrigen Werten stabilisieren können und sich aufgrund ihrer chemischen Struktur durch elektrische Felder zusätzlich ausrichten lassen. Elektrische Felder können aufgrund der anisotropen (richtungsabhängigen) Eigenschaften von Flüssigkristallen die Orientierung der Moleküle beeinflussen. Versuche des Fraunhofer-Instituts belegen, dass elektrische Felder den Reibwert verringern und reversibel verändern können. Jedoch ließen sich die Moleküle der Flüssigkristalle, die bisher den Effekt der Reibwertreduzierung zeigen, nicht über elektrische Felder ausrichten. Bei ihnen wird daher auch kein Einfluss auf den Reibwert erwartet.
Mehrere Versuche im elektrischen Feld führten die Mitarbeiter des Fraunhofer IWM auf Scheiben durch, die mit dem isolierenden diamantähnlichen Kohlenstoff DLC beschichtet waren, um das Fließen des elektrischen Stromes zu vermeiden. Die Versuche zeigten deutlich, dass sich Flüssigkristalle mit einer anisotropen Dielektrizitätskonstante von Δε gt;±5 dazu eignen, die Reibwerte reversibel um rund 30 Prozent zu verändern. Die anisotrope Dielektrizitätskonstante bestimmt, wie gut sich die Flüssigkristalle in einem elektrischen Feld ausrichten lassen. Liegt der Wert bei Null, hat das elektrische Feld keinerlei Einfluss, ein Wert von fünf gilt als sehr hoch.

Enorme Lasten auf winziger Fläche

Die Ergebnisse versprechen ein großes Potenzial von Flüssigkristallen für Anwendungen, wo Reibung unerwünscht ist: Weil die thermischen Effekte zwischen den Reibpaaren zu gering sind, um die Lagergeometrie und das Lagerspiel zu verändern oder eine Oxidation der Schmierstoffe zu aktivieren, lässt sich die Gleitgeschwindigkeit der Bauteile enorm erhöhen. Dabei wäre nur ein Drittel der Schmiermenge herkömmlicher Stoffe nötig. Der Flüssigkristall erreicht die minimalen Reibwerte bei flächigen Gleitkontakten, selbst wenn die Reibpaare mit rund zehn Megapascal aufeinander drücken. Das entspricht einer Beanspruchung von rund 100 Kilogramm pro Quadratzentimeter und ist für den Betrieb von Gleitlagern unter den sehr günstigen Reibungs- und Verschleißbedingungen ausreichend.
Zurzeit verhindert der hohe Preis für die flüssigkristallinen Fluide eine breite Anwendung in der Industrie. Allerdings erwarten die Projektpartner, dass sich flüssigkristalline Substanzen in Zukunft deutlich kostengünstiger synthetisieren lassen. Ihre Einsatzbereiche können durch die gezielte Entwicklung flüssigkristalliner Schmierstoffe wesentlich erweitert werden. Diese Ziele werden im Rahmen des Projekts weiter verfolgt.
Bevor die entwickelten Schmierstoffe in Windenergieanlagen zum Einsatz kommen, müssen sie den dort gestellten hohen Ansprüchen gerecht werden. Der Temperatureinsatzbereich sowie die Oxidations- und Alterungsbeständigkeit der Schmierstoffe werden bestimmen, ob sich Windenergieanlagen in Zukunft fast reibungslos betreiben lassen. Die davor benötigte Forschungs- und Entwicklungsarbeit wird noch drei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen. (Andreas Kailer, Tobias Amann, Werner Stehr, Susanne Beyer-Faiss, Rudolf Eidenschink )

Literatur:
[1] H. Siebert, „Wind turbines power up with oil“ Lubrication amp; Fluid Power, 08/2006
[2] W.J. Bartz, „Tribological aspects of wind power plants“, Proc. WTC2005, World Tribology Congress III, WTC2005-63019, ASME 2005
[3] „Die Antwort kennt nur der Wind – Windkraft-Getriebe – Wälz- contra Gleitlager“, AntriebsPraxis 1/2005, 42-45
[4] R. Eidenschink, Mol. Cryst. Liq. Cryst., Vol. 481, 71-81 (2007)