Am 13. April hat die Bundesnetzagentur die Ausschreibungsergebnisse für Windkraft auf See bekannt gegeben. Den Zuschlag erhielten Dong Energy und EnBW für insgesamt vier Windparks in der Nordsee mit einer Gesamtkapazität von 1.490 Megawatt. Drei der bezuschlagten Projekte haben mit 0,00 Cent geboten. Vor diesem Hintergrund wird das Ausschreibungskonzept teilweise in Frage gestellt: Starke Zweifel an der Seriosität der Ergebnisse äußerte insbesondere BWE-Präsident Hermann Albers. Insgesamt zeige sich, dass das verlässliche Instrument des EEG gegen ein hoch spekulatives Instrument getauscht worden sei. „Mittelständische und nicht durch staatliche Eigentümerstrukturen abgesicherte Unternehmen werden nicht so hoch spekulativ agieren können“, sagte er. Auch Energieökonomin Claudia Kemfert äußerte sich mit den Worten "Nicht der billigste, sondern das wirtschaftlichste und fairste Gebot sollte den Zuschlag erhalten".
Für juristische Laien mögen diese Ausführungen keine weitere Relevanz haben als den Hinweis auf ein verfehltes Gesetzgebungsverfahren im Jahr 2016. Durch die geäußerte Kritik offenbaren sich bei genauerem Hinsehen jedoch rechtserhebliche Einfallstore für unterlegene Bieter. Es gilt als offenes Geheimnis, dass das Ausschreibungskonzept des WindSeeG aufgrund seiner Neuartigkeit besonders angreifbar ist. Denn es unterscheidet sich in erheblichem Maße von den gängigen Vergabeverfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB).
Diskriminierungsfreie Vergabeverfahren
Das GWB enthält Bestimmungen, um faire, transparente, diskriminierungsfreie sowie gleiche Vergabeverfahren zu gewährleisten. Das Fundament bilden hierbei die Grundsätze und Freiheiten aus der Verfassung sowie die europarechtlichen Vergabeanforderungen. Anders als bei den Ausschreibungen nach GWB, wo – wie etwa beim zentralen Modell – ein einziger öffentlicher Auftrag (oder eine Konzession) vergeben wird, besteht bei der Ausschreibung nach dem Übergangssystem des WindSeeG durch die unterschiedlichen Projektstandorte – einhergehend mit differierenden Kostenstrukturen – keine einheitliche Ausgangslage für die Bieter; Wettbewerbsfreiheit und Chancengleichheit werden beeinträchtigt. Im Onshore-Bereich wurde dieses Problem mittels des Referenzertragsmodells gelöst. Das Modell führt einen Kostenkorrekturfaktor ein, welcher das Ungleichgewicht zwischen Bietern an windstarken und windschwachen Regionen ausgleicht. Derartige Konzepte wurden für die Offshore-Windkraft jedoch nicht entwickelt, dies obwohl die Offshore-Projekte abgesehen von der Windstärke noch viel umfangreicheren Preisbildungsfaktoren unterworfen sind.
Zudem enthält § 19 Abs. 1 GWB ein explizites Missbrauchsverbot für marktbeherrschende Unternehmen. Zwar weisen die Gewinner jeden Vorwurf der Quersubventionierung zurück. Hierbei darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass sowohl EnBW als auch Dong Energy Umsatzerlöse von durchschnittlich weit über 1 Mrd. Euro pro Monat aufweisen. Ohne dass notwendigerweise von Quersubventionierungen gesprochen werden müsste, ist fraglich, wie mit dem Umstand umgegangen werden soll, dass die Gewinner andere Abschreibungs-, Verrechnungs- und Risikoabwägungsmöglichkeiten besitzen als mittelständische und nicht durch staatliche Eigentümerstrukturen abgesicherte Unternehmen.
Ergänzend lassen sich im Vergaberecht eine Vielzahl von Vorschriften finden, die Gebote mit unangemessen niedrigen Preisen vom Vergabeverfahren ausschließen (so zum Beispiel § 16d Abs. 1 VOB/A). Es lag im Verantwortungsbereich der Bundesnetzagentur zu prüfen, inwieweit diese Vorschriften analog zur Anwendung gebracht werden müssen.
Liberale Grundstimmung der Akzeptanz
Es ist ein historisch einmaliges Ausschreibungskonzept, welches das WindSeeG hervorgebracht hat; seine Reifeprüfung hat es aus juristischer Perspektive nicht bestanden. Obwohl gute Gründe für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes sprechen, agieren die unterlegenen Bieter verhaltener als zunächst angenommen. Es scheint als herrsche eine liberale Grundstimmung der Akzeptanz, getragen von Sorgen und Ängsten über eine mögliche Wiederholung der Ereignisse in der nächsten Ausschreibungsrunde im Jahr 2018. Dabei bestätigt die Vielzahl der Beispiele in der Rechtsprechung, dass das deutsche Rechtssystem für die Korrektur von Ausschreibungsergebnissen offen ist, wenn und soweit die Grundsätze der Chancengleichheit unbeachtet geblieben sind. So hat beispielsweise das Landgericht Köln erst neulich wieder eine Vergabe per einstweilige Verfügung auf Eis gelegt, weil sich die Stadt zu früh auf einen bestimmten Ausschreibungsteilnehmer als Konzessionsnehmer festgelegt hatte (LG Köln, Urteil vom 1. Dezember 2016 – 90 O 57/16). In einem anderen Verfahren wurde festgestellt: „Eine generelle Verpflichtung, Kalkulationsvorgaben vorzunehmen, besteht für den Auftraggeber nicht, es sei denn, es können – um die Chancengleichheit der Bieter zu sichern – nur mittels solcher Vorgaben die Bestimmtheit der Leistungsanforderungen und die Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet werden“ (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Januar 2013 – VII-Verg 26/12).
Dass die Erfolgschancen einer Beschwerde nach § 72 WindSeeG nur individuell bestimmt werden können, muss keine Erwähnung finden. Dass die Bieter derzeit dazu aufgerufen sind, eben diese Erfolgschancen innerhalb einer Chancen-Risiken-Analyse aufzudecken, stellt ebenfalls einen Gemeinplatz dar. Es scheint jedoch, dass sich die meisten unterlegenen Bieter auf das Warten verständigt hätten. Das Ausschreibungsverfahren im Jahr 2018 bietet eine letzte Gelegenheit den ersehnten Zuschlag zu erhalten; gerichtlicher Rechtsschutz kann dann immer noch bemüht werden.
Hierbei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass gerade auch die derzeit in Frage gestellten Nullgebote es sind, welche die Erfolgschancen einer Beschwerde nach § 72 WindSeeG in die Höhe getrieben haben. Ob nächstes Jahr mit derartigen Geboten gerechnet werden kann, ist unklar. Unklar ist zudem, wie sich das Bieterverhalten im nächsten Jahr – auch aufgrund der diesjährigen Nullgebote – insgesamt verändern wird. Die Beschwerdefrist läuft am 20. Mai ab. Eine Verlängerung der Beschwerdefrist auf insgesamt ein Jahr ist möglich, soweit im Einzelfall keine Rechtmittelbelehrung durch die Bundesnetzagentur erfolgt ist.
Autorin: Linda Blunk, Kanzlei BLUNK, Hamburg