Man muss die deutschen Richter nicht immer verstehen. Und sicherlich spielen konservative oder auch mal progressive Gesinnungen gelegentlich eine Rolle bei der Rechtsauslegung – wie vielleicht auch bei der jüngsten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg, wo dann eher veränderungsresistente Juristengesinnungen gesiegt hätten. Vielleicht war aber auch alles rechtlich tatsächlich so eindeutig, wie vom Gericht moniert – was zum Baustopp des Windparks Bardenfleth führte. Die acht neu projektierten Windturbinen vom Typ Senvion 3.4M114 mit insgesamt 27,2 Megawatt (MW) Erzeugungskapazität seien als Erweiterung eines bestehenden Windparks in unmittelbarer Nachbarschaft mit 13 Windenergieanlagen zu werten, beschied das Gericht. Daher müsse noch eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung stattfinden, die auch die Einwirkungen der 13 älteren Anlagen einbeziehe, lautete der von den Juristen auferlegte Hauptwiderspruch.
Das Gericht hielt laut NWZ weitere Kritikpunkte fest, um die bereits Ende Dezember 2016 und somit vor mehr als einem Jahr vom Landkreis Wesermarsch erteilte immissionsschutzrechtliche Bau- und Betriebsgenehmigung des Windparks zu stoppen. Die Rechtsinstanz bemängelte eine unterlassene Öffentlichkeitsbeteiligung, nicht geprüfte Umweltauswirkungen der Windfarm auf den Boden und seinen Wasserhaushalt. Sogar einen negativen Einfluss des Windparks auf eine denkmalgeschützte Umgebung und das Landschaftsbild hielten die Juristen für erwähnenswert, um die Baugenehmigung durch den Landkreis vorerst außer Kraft zu setzen. Schließlich seien bei der Baugenehmigung auch artenschutzrechtliche Aspekte vernachlässigt worden, heißt es gemäß der gerichtlichen Begründung. Sumpfohreulen, Kiebitze, Weißstörche und Mäusebussarde könnten laut vorhandenen Brutvogelkartierungen betroffen sein.
Manche der Anlagen mit 119 Meter Naben- und einer Gesamthöhe während der Rotation bis zur obersten Flügelspitze von 176 Metern sind schon errichtet. Der Projektierer hält aufgrund des Gerichtsurteils vorerst von weiteren Bauarbeiten Abstand. „Wir machen keinen Stress. Der Landkreis soll nun in Ruhe arbeiten“, sagte Jürgen Büsing auf Seiten des Projektierers mit Verweis auf die vom Gericht aufgegebenen Hausaufgaben für die Genehmigungsbehörde. Zugleich bezifferte er einen eingetretenen Verlust von schon 500.000 Euro. Büsing forderte auch, der Landkreis müsse vor das Oberverwaltungsgericht ziehen, um gegen den Baustopp vorzugehen.
Kläger beim Oldenburger Verwaltungsgericht war der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) mit Sitz in Hannover. Der Verein besteht seit 1975 als Dachverband für Bürgerinitiativen. Er versammelt unter seiner Organisation laut Auflistung im LBU-Internet-Portal knapp 100 Initiativen mit einer großen thematischen Bandbreite. Sie richten sich gegen Schlachttierfabriken genauso wie gegen Straßen, Sandabbau, Atomkraft oder das Abholzen von Hecken sowie die Bedrohung eines Moores. Einige LBU-Bürgerinitiativen haben ihren Daseinszweck im Kampf gegen einzelne Windparks oder wie beim Lüchow-Dannenberger Bündnis „Keine-weiteren-Windparks-in-der-Natur“ gegen jegliche weitere Windkraftnutzung in dem gesamten Landkreis.
Der Widerstand gegen das Windparkprojekt östlich von Oldenburg hat indes schon vor dem Gerichtsurteil auf vielfältige Behauptungen von mehreren Seiten zurückgegriffen, wie den regelmäßig detaillierten Berichten der NWZ zu entnehmen ist. So machten Einwender eine zu große Nähe des Windparks zu einer Hochspannungsleitung geltend. Andere warnten vor einer Gefährdung der Kinder eines Kindergartens durch eine nicht näher erklärte schädliche Ferneinwirkung der rotierenden Maschinen auf die jungen Menschen. Die am nächsten stehende Turbine befindet sich etwas mehr als 1.000 Meter Luftlinie vom Kindergarten. Dass also mindestens 1.001 Meter Distanz für 1.001 Nacht der Schlaflosigkeit besorgter Eltern reichen, hat die Stadtverwaltung allerdings offiziell verworfen. Selbst eine Grundwasserabsenkung durch den Bau des Windparks gehörte zu den Vorwürfen. Der Wirtschaftsausschuss des Stadtrates im benachbarten Elsfleth hatte dann aber entschieden, dass keine Grundwasserabsenkung drohe.
Über Zweifel an der Energienutzung ganz anderer Art erfuhren die Leser der NWZ in diesen Tagen ebenfalls – wenngleich Zweifel laut der im Artikel vom 18. Februar wiedergegebenen lokalen Veranstaltung ohnehin unbegründet sind. Die Referenten eines von der NWZ besuchten „Informationsforums“ sprachen für die Betreibergesellschaft des nach der Kernkraft-Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima von 2011 stillgelegten Kraftwerks Unterweser, für das niedersächsische Umweltministerium und für den staatlichen Landesbetrieb NLWKN für Natur-, Wasser- und Küstenschutz. Demnach hätten Messungen ergeben, dass aus dem Kernkraftwerk Unterweser keinerlei Radioaktivität nach außen dringe. Zwar sei bis zur Abholung der nicht mehr gebrauchten Brennstäbe im nächsten Jahr noch starke Radioaktivität im Kühlwasser. Die Betriebsführung reinige das Wasser aber immer, bevor sie es wieder in die Weser einleite.
Dann lässt der Artikel noch wissen, dass tatsächlich noch messbare Radioaktivität in Oberflächenwasser, Schlick und Weserfischen aus alten Rückständen der Atomkraftwerks-Havarie im ukrainischen Tschernobyl von 1986 stamme. Sowie aus „früheren Atombombenversuchen“, wie es in einem Halbsatz heißt. Von Anwohnerfragen und Ängsten in der Bevölkerung ist in dem Bericht ansonsten nichts mehr zu lesen.
Möglicherweise sind den Anwohnern der Weser frühere Berichte von geheimen Atombombenversuchen in ihrer Umwelt ohnehin bekannt, so dass sie hier keinen weiteren Informationsbedarf haben. Oder besteht eine Diskrepanz zwischen ernst genommenen Ängsten solcher Bürger, die Wählerpotenzial der unter anderem auch windkraftfeindlichen Rechtsaußen-Partei AFD sein könnten und zwischen nicht abgefragten Ängsten von Bürgern, die den herrschenden Wirtschafts- und hier Energiebranchenstrukturen gefährlich sein könnten?
Im Artikel über das Informationsforum zum Kernkraftwerk Unterweser ist lediglich eine Kritik an einer mutmaßlich drohenden Einstellung der Radioaktivitätsmessungen zu finden. So wird nach der Entfernung der Brennstäbe 2019 radioaktiv belastetes Wasser infolge von Nassschneidearbeiten und sogenannter Dekontaminierungsmaßnahmen anfallen. Das Umweltministerium will die Messungen dann aber „anpassen“. Atomkraftgegner fürchten, dass mit dem Anpassen ein Nachlassen der Kontrollmessungen gemeint sei. „Damit sind wir nicht einverstanden“, sagt Hans-Otto Meyer-Ott vom Arbeitskreis Wesermarsch der Anti-Atomkraft-Initiativen. Wenn für Veränderungen bei den Messungen keine extra Genehmigungen verlangt würden, sei das für die Initiativen ein Klagegrund.
(Tilman Weber)