Führende Vertreter der Erneuerbare-Energien-Verbände gaben sich nach dem Treffen mit der Vize-Umwelt- und Energiesicherheitsministerin Vannia Gava Ende März auf dem Messegelände in Rimini demonstrativ erleichtert. „Ich bin glücklich, weil diese Regierung zum ersten Mal sagt, dass sie den Erneuerbaren-Ausbau voranbringen will und dass sie Italiens Ziel eines bestimmten Dekarbonisierungsgrades bis 2030 folgt“, sagte der Präsident des Windenergieverbandes Anev, Simone Togni, zu ERNEUERBARE ENERGIEN direkt im Anschluss. Und auch Gava, Politikerin von der rechten Lega Nord, streute positive Botschaften: Die politische Richtung der italienischen Energiepolitik unter der Regierung auch der rechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ziele auf eine „nachhaltige Entwicklung“.
Italien brauche „Energie, die uns unabhängig macht“, sagte Gava. Es sei nur zu diskutieren, wie alle davon profitieren könnten. „Wir versorgen Sie mit all der Unterstützung die Sie benötigen.“ Die versöhnlichen Worte gab die rechte Politikerin zum Auftakt der ersten Erneuerbare-Energien-Messe Italiens in Rimini. Erstmals war die Key Energy mit rund 650 Ausstellern ein eigenständiges Event. Die von Ausstellern und Verbandspräsidenten gezeigte Aufbruchsstimmung und der Auftritt der Vizeministerin offenbarten allerdings auch einen auffälligen Kontrast: Vannia Gava bemühte sich nicht, mit Mimik und Stimme auf ihre Freude bezogen auf die Messe und die Erneuerbaren-Entwicklung im Land schließen zu lassen.
Tatsächlich hat die neue italienische Regierung nach ihrem Wahlsieg im September sich vor allem dazu bekannt, eine Energiedrehscheibe zwischen Afrika und Europa zu werden. Diese könne selbst erzeugte erneuerbare Energien, aber auch grüne Energie und Gas aus Afrika in die großen Verbrauchszentren im Norden Europas liefern. Gas-Pipelines „und dann erneuerbare Energien“ seien die Priorität dieses Planes, ließ sich Regierungschefin Meloni zitieren. Der nationale Ölkonzern Eni konnte derweil Mitte Mai das erste Flüssigerdgasschiff am neuen Terminal in Piombino in Empfang nehmen und den LNG genannten Rohstoff aus Ägypten wieder in Gas umwandeln und ins Gasnetz einspeisen.
„2,5 Gigawatt neue Photovoltaikleistung installierten die Erneuerbaren-Unternehmen 2022 in Italien. Zum ersten Mal seit 2013 gehört das Land so wieder dem Gigawatt-Club der PV-Nationen an. Der Windparkzubau machte 0,5 GW aus.“
Wieder mehr Wind- und Solarparkzubau
Die Ungewissheit über die Richtung, die Italiens neue Regierung der Energiewendepolitik aufprägen wird, und die Hoffnung auf ein neues Aufblühen des Ausbaus erneuerbarer Energien im ehemaligen Energiewende-Vorzeigeland Südeuropas gehen mit wachsendem Zubau von Grünstromanlagen, aber abnehmenden Beteiligungen an Ausschreibungen einher. 2022 errichteten Erneuerbare-Energien-Unternehmen im Land 2,5 Gigawatt (GW) Photovoltaik (PV) und gut 0,5 GW Windkraft. Das ist im internationalen europäischen Vergleich nicht sehr viel. Doch bei Windkraft an Land hatte Italien diesen Wert binnen eines Jahrzehnts erst das dritte Mal erreicht, nach 2015 und 2018 mit jeweils 0,53 GW – im Mittel hatte der Windkraftzubau von 2013 an gerade mal 300 MW betragen. Die Rekordjahre des italienischen Windenergieausbaus 2008 bis 2012 hatten noch zu jeweils 1 bis 1,3 GW Zubau geführt. Mit 11,6 GW installierter Windkraft und rund 25 GW installierter PV ist das Land im europäischen Vergleich kein Niemand. Italien bleibt das fünftwichtigste europäische Windkraftland und das zweitwichtigste PV-Land. Bei den jährlich neu installierten Solarstromkapazitäten ist das Mittelmeerland erstmals seit 2013 wieder in den europäischen Gigawatt-Club der PV-zubauenden Länder zurückgekehrt. 2023 und 2024 erwartet das Land wieder Jahre mit bis zu sechs GW neuer PV-Netzeinspeisung.
Dabei ist auch der italienische Windenergieverband optimistisch. In seiner Prognose fürs Jahr 2022 hatte er vorausgesehen, dass die seit 2020 ausgeschriebenen und bezuschlagten Windparkprojektierungen ab 2022 zu starken Zubaujahren führen müssten. So erwartet Anev bis 2028 jährliche Windenergie-Netzanschlüsse von 1,4 bis 1,8 GW.
Mit Worten unterstützt die neue Regierung den Trend klar. Der Umweltminister der Meloni-Regierung, Gilberto Pinchetti Fratin, bestätigte im Januar, Ziel der Administration um Meloni sei ein Zubauniveau für Grünstromerzeugungskapazitäten von jährlich zwölf GW zu erreichen. Zuletzt waren es knapp fünf. Biomethan müsse eine Rolle spielen.
Politik muss Ausschreibungen reformieren
Dem steht die offenbar bremsende Wirkung des Ausschreibungssystems gegenüber. Nur noch sechs Prozent des ausgeschriebenen Volumens an Erzeugungskapazität von Erneuerbare-Energien-Anlagen erhielten in der zehnten Ausschreibung seit Anfang 2020 einen Zuschlag. Die im Rahmen des heute gültigen Wettbewerbsverfahrens FER-1 bei der italienischen Ausschreibungsbehörde GSE eingehenden Gebote für Vergütungsrechte neuer Windkraft- oder Photovoltaikprojekte unterdecken das von der GSE regelmäßig freigegebene Ausbauvolumen bei weitem. Nicht mehr rentable zulässige Höchstgebotspreise von rund 6,5 Cent pro Kilowattstunde und zu langsame Neugenehmigungen für neue Windparkprojekte gelten als Gründe. Doch eine Reform der Ausschreibungsregeln, für 2023 erwartet, verzögert sich ins Ungewisse.
Eines der Unternehmen, die nach Meinung des italienischen Windenergieverbandes Anev für den Aufschwung der Windkraft der Halbinsel stehen, ist Renexia. Das Unternehmen aus der Abruzzen-Provinzhauptstadt Chieti beschäftigt 55 Mitarbeitende in Italien und weitere 30 in den USA. Windparks an Land mit rund 250 Megawatt (MW) haben die Renexia-Projektentwickler angeschoben. Sie sollen in den kommenden zehn Jahren in Betrieb gehen, sagt Paolo Sammartino in seinem Büro in Rom. Der Chef fürs operative Geschäft hatte seinen Anstellungsvertrag beim Mutterunternehmen Toto 2009 schon zwei Jahre vor der offiziellen Gründung von Renexia erhalten. Jetzt sitzt er in seinem römischen Büro. Das Zimmer zieren eine italienische Flagge, ein Familienfoto auf dem Schreibtisch, sowie andeutungsweise mit Gold verzierte Teile der Zimmerarchitektur. Ansonsten ist es leer.
Eine alles umarmende Strategie habe Renexia, so erklärt es Sammartino. Sowohl Elektromobilität, ein wenig Photovoltaik und sogar Meereswindkraft nehme das Unternehmen in Angriff. Wichtig sei ein gutes Kooperieren mit den Kommunen. Reparaturen von Straßen der Standortgemeinden oder auch die Lieferung von Grünstrom für den Hafen im süditalienischen Taranto gehören zur guten Nachbarschaftspflege. Im Hafen von Taranto hatte das Unternehmen im vergangenen Jahr den ersten Offshore-Windpark Italiens mit 30 MW Nennleistung ganz nah am Kai in Betrieb genommen.
Wer mit dem Auto von Rimini zum Treffen mit dem Vertreter der Erneuerbaren-Sparte von Toto nach Rom fährt, sieht keine einzige kommerzielle Windturbine. Denn fast alle Windparkneuerrichtungen konzentrieren sich auf Süditalien. Sechs Prozent der installierten Windkraft finden sich nur jenseits des südlichen Drittels der italienischen Provinzen. Allerdings gibt es mitten auf der Route in der umbrischen Gemeinde Gubbio zwei Raritäten. Hier nahm die Genossenschaft Enostra 2021 und 2023 zwei knapp ein Megawatt leistende Turbinen nach teils neunjähriger Entwicklung in Betrieb. Die Regierung Meloni will Kommunen-Windkraft fördern. Enostra lässt wissen: „Wir warten noch auf den Erlass dazu.“
„2,8 Gigawatt beträgt die sehr große Zielmarke für das schwimmende Offshore-Windenergieprojekt Med Wind vor Sizilien. Renexia will das Projekt 2026 in Betrieb nehmen.“
Ab 2026 schwimmender Gigawattwindpark
Auch Renexia treibt Projekte voran, wo das Gesetz noch fehlt. So plant das Unternehmen womöglich das größte und am weitesten fortgeschrittene Offshore-Windparkprojekt Italiens. Med Wind mit 2,8 GW soll auf Schwimmfundamenten 2026 in der Meeresstraße vor Sizilien in Betrieb gehen.
Zehn besonders aussichtsreiche und fortgeschrittene Offshore-Windparkprojekte haben Italiens Investoren und Entwicklungsunternehmen gemäß Marktbeobachter bereits in Position gebracht. Doch das Gesetz für Offshore-Windkraft-Ausschreibungen, für 2023 geplant, fehlt. Ein Vorschlag dazu sah eine Höchstgebotsgrenze bei 16,5 Cent pro eingespeister Kilowattstunde vor. Nun gehen Beobachter davon aus, dass das FER 2 genannte Dekret 2024 kommt. Rund 3,5 GW Offshore-Windkraft könnten dann bis 2030 noch ans italienische Netz, lauten ihre Prognosen.
ERG ist der Akteur, der die größten Windparkkapazitäten im Land betreibt. Um als grünes Unternehmen glaubhaft zu bleiben, hat sich ERG bereits von der eigenen Ölsparte getrennt und sie an den italienischen Ölkonzern Enel verkauft. Noch 2023 wollen die Genueser auch das Gasgeschäft abtrennen. Rund 1,3 Gigawatt zählen sie als eigene Windparkkapazitäten im Land. 300 MW Windleistung errichtet ERG nun in Italien, die Projektpipeline bis 2027 enthält noch zwei bis drei GW, beziehungsweise bis zu fünf GW, wenn Planungen zum Kauf von Projekten dazuzählen.
Hinzu kommt, dass ERG bis 2026 alleine 100 MW Nennleistung durch Repowering erneuern will. Bisher spielt Repowering in Italien fast keine Rolle, doch 55 Prozent der Anlagen sind gemäß offizieller Statistiken mindestens zehn Jahre alt oder älter.
Auch das zweitgrößte Windenergieunternehmen des Landes lässt erkennen, dass es nun vorankommen will. Das Mailänder Unternehmen Edison ist ein klassischer Energiekonzern im allmählichen Umbau. Bis 2030 soll er einen 40-Prozent-Anteil der Erneuerbaren an seiner Energieerzeugung haben. Zunächst plant Edison, PV-Kapazitäten um zwei GW und Windkraftkapazitäten um ein weiteres GW auszubauen. Die Hälfte dieser Kapazitäten treibt Edison schon durch den Genehmigungsprozess. Außerdem plant Edison das Repowern von 600 MW.
Neuer Nationaler Energie- und Klimaplan
Wie ernst die Meloni-Regierung es mit dem Ziel einer höheren energiepolitischen Unabhängigkeit des Landes dank der Erneuerbaren meint, bleibt abzuwarten. Im Juni steht die Präsentation eines neuen nationalen Energie- und Klimaplanes an. Das bisherige Ziel von 19,3 GW Windkraft bis 2030 dürfte der neue Plan dann erhöhen. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit hatte die Regierung zudem schon ein Gesetz zu Beschleunigung der Umweltschutzüberprüfungen und der abschließenden Projektgenehmigungen herausgebracht.
Bei Anev heißt es allerdings, dass zunächst Italiens Behördenwillkür abzuschaffen sei. Bislang gebe es gar keine transparenten Vorgaben für die Entscheidungsprozesse der Behörden, sagt Anev-Generalsekretär Davide Astiaso Garcia.