Die Stromnetzstabilität erfordert einen ständigen Ausgleich von Stromangebot- und nachfrage. Das hohe und schwankende Angebot von Windenergie in Norddeutschland muss über 380 Kilovolttrassen zu den Verbrauchern in Süddeutschland gebracht werden. Um diese Netzstabilität zu wahren, müssen die vier Übertragungsnetzbetreiber nun häufiger eingreifen.
Insgesamt war der Dezember 2011 laut Übertragungsnetzbetreiber ein Rekordmonat für die Windenergie: Knapp 7.940 Gigawattstunden (GWh) wurden erfasst, mehr als doppelt so viel wie im Vormonat November (2.900 GWh) und Dezember 2010 (3.600 GWh). Ein Sturmtief sorgte am 8. und 9. Dezember für die fast maximale Windprognose für Norddeutschland von 19 GW Leistung. Das bedeutet, dass Kohle- und Gaskraftwerke in Nord- und Mitteldeutschland runter gefahren werden, um den Windstrom ins Netz zu lassen. Zeitgleich fiel dann aber Block C des Kernkraftwerks Grundremmingen vom Essener Energieriesen RWE aus, der die Verbraucher in Süddeutschland beliefern sollte. Das wäre kein Problem gewesen, wenn der Windstrom aus dem Norden in den Süden hätte transportiert werden können. Doch die Kapazität der Übertragungsnetze ist dafür noch nicht ausgelegt, weil der Netzausbau in Deutschland seit Jahren stockt. Weil auch konventionelle Kraftwerke runter gefahren waren - und ein kurzfristiger Ausfall des AKW wegen des Austausches zweier defekter Brennstäbe von Tennet nicht berücksichtigt war, stand nicht ausreichend Regelenergie für Süddeutschland zur Verfügung. Zudem soll Tennet noch versucht haben, den Windstrom gemäß Liefervereinbarungen nach Südeuropa zu exportieren, hieß es am 4. Januar in Online-Medienberichten.
Netzeingriffe dreimal häufiger
„Es gab keine Alternative zur Kaltreserve, da Grundremmingen ausfiel“, begründet Tennet-Sprecherin Ulrike Hörchens das Eingreifen gegenüber ERNEUERBAREN ENERGIEN. Es handelte sich um eine „Vorsichtsmaßnahme“, die sich im Rückblick als richtig heraus gestellt habe. „Erst haben wir nur die Mindestleistung abgerufen, dann jedoch für beide Tage die volle Leistung von etwa 1000 Megawatt gebraucht“, so Hörchens. Dazu wurden zwei Gaskraftwerke und ein altes Ölkraftwerk bei Granz in Österreich reaktiviert. Bislang sei das ein einmaliger Vorfall gewesen. Allein Tennet musste im vergangenen Jahr 990 mal an 309 Tagen regulierend ins Netz eingreifen - dreimal häufiger als in 2010. Zu den Regulierungsmaßnahmen gehören die spätere Wartung von Kraftwerken und die Verschiebung von Netzinstandhaltungsmaßnahmen, damit die entsprechende Leistung der Kraftwerke und Leitungen zur Verfügung stehen.
Kosten für Netzstabilisierungen hätten eine Millionenhöhe erreicht, teilte Tennet mit. Diese Kosten werden letztendlich über die Netzentgelte von den Verbrauchern getragen. Sollte der Winter jedoch härter werden und eine längere Kälteperiode über Deutschland hereinbrechen, könne sich die Situation verschlechtern und die Kaltreverse unter bestimmten Umständen wieder abgefragt werden, sagt Hörchens.
Zwei Gigawatt Kaltreserve
Hintergrund: Nach dem deutschen Atomausstieg wurden sieben alte Meiler und das Pannenkraftwerk in Krümmel stillgelegt. Über Nacht gingen damit 8,4 GW installierter Leistung vom Netz. Die Bundesnetzagentur schloss deshalb Verträge mit Betreibern von nicht aktiven Kraftwerken, um diese Notreserve für die vier Betreiber der Höchstspannungsnetze in Deutschland zur Verfügung zu stellen. Die Kapazität dieser so genannten Kaltreserve liegt bei rund zwei GW, ein GW davon befindet sich in Österreich. Besonders das alte Höchstspannungsnetz von Eon, das vom niederländischen Staatskonzern Tennet übernommen wurde, muss enorme Leistungsschwankungen von den Windkraftanlagen in Norddeutschland verkraften und ausgleichen. Das Netzgebiet verläuft wie ein Korridor von Schleswig Holstein über Hessen bis nach Bayern. Die Vorsorgungsqualität der deutschen Elektrizitäts- und Gasnetze ist laut Bundesnetzagentur weiterhin hoch. „Bei den Elektrizitätsnetzen wird dies auf Dauer nur so bleiben, wenn der Netzausbau mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt hält“, mahnt Matthias Kurth, Chef der Bundesnetzagentur.
(Niels Hendrik Petersen)