Beim Verschmelzen von Atomkernen sei gerade erstmals mehr Energie gewonnen als verbraucht worden, sagte US-Energieministerin Jennifer Granholm in Washington. "Einfach ausgedrückt ist dies eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts", so die demokratische Politikerin. Das lief gestern in allen Nachrichten rauf und runter, und einige Fernsehjournalisten gaben sich der blinden Freude hin, dass es mal eine gute Nachricht gibt zwischen alle dem Krieg und den Korruptionsgeschichten. Kritische Nachfragen hätten da scheinbar nur gestört.
Wobei es schon ein wenig überraschte, als ein Redakteur vom Heute Journal glücklich fragte, das bedeute doch, dass es jetzt endlich billige, saubere Energie gibt, oder? Tatsächlich sind erneuerbare Energien längst zur günstigsten Stromquelle geworden – DIE ES AUCH SCHON GIBT. Drei Cent pro Kilowattstunde sind in der Photovoltaik längst erzielt worden.
„Der Traum von der unendlichen Energie durch Kernfusion besteht seit fast 60 Jahren. Die Forschungen in diesem Bereich zeichnen sich derzeit vor allem durch Komplexität und sehr hohe Kosten aus. Der Anteil der EU am Bau des Fusionsreaktors ITER wurde ursprünglich auf 2,7 Mrd. Euro geschätzt, Mitte 2010 wird bereits mit 7,2 Mrd. gerechnet.“ heißt es beim BUND.
Weltweit wird an zwei Konzepten eines Fusionsreaktors, Stellarator und Tokamak, geforscht. Tokamak-Forschungsanlagen sind beispielsweise ASDEX (Axialsymmetrisches Divertor-Experiment) in Garching und die europäische Gemeinschaftsanlage JET (Joint European Torus) in Culham, Großbritannien. Weltweit gibt es etwa 200 Tokamak-Anlagen. Die meisten haben einen kleinen Maßstab. Nur die Anlagen in Europa, den USA, Japan, China und Russland haben eine für Testreaktoren nennenswerte Größe. Deutschland ist im Rahmen des internationalen Forschungsprojekts „ITER“ (International Thermonuclear Experimental Reactor) beteiligt. Dieses Projekt hat in einem ersten Schritt den Bau einer Versuchsanlage zur Kernfusion zum Ziel. Auch nach jahrzehntelanger Forschung ist dieses Milliardenprojekt technisch gesehen eine sehr große Herausforderung und noch weit davon entfernt, zur Marktreife erforscht zu sein. Mit einer kommerziellen Nutzung der Ergebnisse ist nach Ansicht der Wissenschaftler nicht vor 2060 zu rechnen (Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) (2919). „Kernfusion Stand & Perspektiven“). Zu den Kosten von ITER: Allein die EU hat 6,6 Mrd. Euro bis 2020 in das Projekt gepumpt und noch einmal 6 Milliarden Euro für die Zeit bis 2027 genehmigt. Von an deren Staaten fließen ähnlich hohe Summen hinein. Zwischen 2008 (dem Start der ITER-Tätigkeiten) und 2016 hat die europäische ITER-Organisation „Fusion for Energy“ 839 Aufträge und Finanzhilfen im Wert von rund 3,8 Mrd. EUR an Begünstigte in ganz Europa vergeben.
Zum Vergleich: Für den Klimanpassungsfonds für arme Staaten gab es seit 2010 nur 923 Millionen US-Dollar. (The international Adaptation Fund has provided around 923.5 million US dollars for projects since 2010, including 132 concrete projects in nearly 100 countries for 36 million beneficiaries.)
Es gibt noch viele andere Themen in dem Zusammenhang, zum Beispiel dass die Bundesregierung die deutsche Wind- und Solarbranche durch wirtschaftsschädliche Politik zum großen Teil vernichtet hat. Wäre dies nicht geschehen, hätte man jetzt keinen Bedarf an Gas aus Katar. Man könnte sich wahrscheinlich bereits annähernd selbst versorgen. Doch in den vergangenen 16 Jahren ist tatsächlich beim Ausbau der Erneuerbaren nur gebremst worden. Sich jetzt über einen vermeintlichen Durchbruch in der Kernfusion zu freuen, ist grotesk.
Und dann sollte jedem klar sein, was selbst diejenigen sagen, die den Durchbruch erzielt haben: Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass Kernfusion vielleicht in ein paar Jahrzehnten für die Energieerzeugung genutzt werden kann.
Letztlich muss man sagen: Wir haben vieles falsch gemacht in den vergangenen 16 Jahren. Die Erneuerbaren hätte schon damals unterstützt werden müssen, statt von fernen Fusionen zu träumen. Dann hätten wir jetzt eine sichere, saubere Energieversorgung. Jetzt ist es an der Zeit, dies nachzuholen. Ob es sinnvoll ist, die Kernfusion weiter massiv zu fördern, möchte ich an dieser Stelle bezweifeln. Das Geld wäre an anderer Stelle besser aufgehoben.