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Hoffnung auf Power Purchase Agreements

PPA: Ein neuer Liefervertrag elektrisiert

War das jetzt eins oder war es das noch nicht? Im März war plötzlich in Branchenkreisen ein Hinweis auf „ein frühes Power Purchase Agreement“ (PPA) für Windparks in Deutschland aufgetaucht: Die auf ökologische Standards achten­de Umweltdruckerei Ulenspiegel aus der bayerischen Gemeinde Andechs habe einen solchen Strom­abnahmevertrag mit dem Münchner Ökostrom­anbieter Green City Energy (GCE) abgeschlossen.

PPA werden beispielsweise in den USA als Vermarktungsinstrument der Windstromerzeuger eingesetzt: Windpark­betreiber schließen Stromabnahmeverträge über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren mit großen Stromversorgern oder -verbrauchern ab. PPA sehen eine langfristige Strom­abnahme zu einem vereinbarten Festpreis vor. Der Preis bewegt sich in den USA im Bereich des aktuellen Handelswerts. PPA-Kunden sichern sich so gegen übermäßig steigende Strompreise in der Zukunft ab. Die Windparkbetreiber hingegen wollen langfristig stabile Einnahmen – und bekommen vom Staat noch eine Unterstützung in Form eines Steuernachlasses. Manche PPA sichern den möglichen Wegfall dieser Steuergutschrift mit ab.

Allerdings waren PPA für erneuerbare Energien und insbesondere für Windkraft bisher nur dort attraktiv, wo Unternehmen oder Versorger aufgrund gesetzlicher Vorgaben auch einen wachsenden Erneuerbaren-Anteil an ihrem Strommix nachweisen müssen. In Deutschland funktionierten sie bisher nicht. Hier ist noch immer die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abgesicherte Vergütung attraktiver, die Netzbetreiber oberhalb des niedrigen Börsenstrompreises auszahlen.

Wirklich langfristig bindet sich auch die Druckerei Ulenspiegel noch nicht an die Erzeugung der in Bayern und im Saarland stehenden Windparks von GCE. Ein Zweijahresvertrag garantiere, dass der grüne Strom den Jahresverbrauch der Druckerei von 110 bis 120 Megawattstunden (MWh) decke, teilt die Ulenspiegel-Druckerei auf Nachfrage mit. Dabei beziehe sich der Vertrag auf das neue Ökostromangebot der Münchner der Marke Green City Power, das GCE zu 30 Prozent mit der Einspeisung eigener Windparks und zu 70 Prozent aus eigenen Wasserkraftwerken abdeckt.

Hohe Marktaufmerksamkeit für PPA

Doch die Aufmerksamkeit des Markts ist Pionieren derzeit sicher. 2017 hatten die neu eingeführten Ausschreibungen in Deutschland die Vergütungen für Windparks an Land abstürzen lassen. Unter diesem hohen Kostendruck begann die Branche, Ausschau nach neuen Vermarktungschancen zu halten. Im Januar veröffentlichte Energiemarktanalyst Energy Brainpool eine detaillierte Prognose. Tenor: In den drei Jahren bis Ende 2020 werde eine Markterprobung von PPA stattfinden. Vorreiter wollten sich so positionieren. Auch wenn derzeit noch nicht attraktiv, wären die PPA gesetzlich doch erlaubt: Windparkbetreiber könnten als eine Möglichkeit die im EEG als sonstige Direktvermarktung bezeichnete Vertriebsweise wählen. Sie müssten auf Börsen­stromhandel und EEG-Vergütungszuschuss verzichten und riskierten auch zusätzliche Melde- und Mitteilungspflichten.

Im europäischen Ausland ist der Trend längst angekommen. In Großbritannien, Skandinavien, Irland, den Niederlanden und in Spanien schließen Erzeuger und Industrie Verträge, weil dort entweder keine oder nur eine sehr geringe staatlich garantierte Vergütung für Windstrom vorgesehen ist oder Grünstromquoten für Großverbraucher Pflicht sind. Zudem hatte im Herbst die europäische Wind­energievereinigung Wind Europe mit dem Solar­verband Solar Power Europe die Plattform RE-Source gegründet, deren 500 Mitglieder sich die Förderung des PPA-Booms auf die Fahnen schreiben. 1,5 Gigawatt (GW) Photovoltaik- und Wind­energiekapazität seien seit vier Jahren europaweit durch PPA-Verträge mit Industrieunternehmen vereinbart worden, so RE-Source. Mit 1,3 GW mache Windkraft den Löwenanteil aus. RE-Source will die Politik antreiben, dass sie überall auf dem Kontinent PPA ermöglicht.

In Deutschland hingegen herrschte zuletzt wieder Gegenwind. Indirekt erklärt schon die Energy-Brainpool-Studie die Gründe: Die Termin­marktpreise für in zwei Jahren oder später zu liefernde Strommengen in Deutschland erlaubten PPA-Abschlüsse für Windstromlieferungen ab 2020 bei wirtschaftlich gerade so tragbaren 3,2 Cent pro Kilowattstunde (kWh), hatte Energy Brainpool errechnet. In der EEG-Ausschreibung vom November 2017 waren die Ausschreibungspreise für Strom aus neuen Windparkprojekten an Land bereits auf Tiefstwerte bis 2,2 Cent gefallen. Allerdings: Weil für die ersten beiden EEG-Tender von 2018 eine für den Preisverfall verantwortliche Schutzregelung für Bürgerwindparks außer Kraft trat, stiegen die Vergütungszuschläge wieder – im Mai sogar auf eine Mindestvergütung von 4,3 Cent für die 2019 oder 2020 in Betrieb gehenden Windparks.

Faire Preise hierzulande schwer zu finden

Ohnehin lassen sich hierzulande faire Preise schwer finden. Industriekunden und Kraftwerke schließen bundesweit ihre Terminmarktgeschäfte meist nur für Zeiträume von drei, selten für maximal sechs Jahre ab. Diese Tradition orientiert sich an den Nutzungsphasen der Turbinenkomponenten konventioneller Kraftwerke, an deren Ende die Betreiber in den Komponententausch investieren. Für die Bepreisung der kWh im PPA müssen die Akteure also zusätzlich zu den Terminmarktwerten noch Prognosen zu künftigen Strompreisen heranziehen. So wird beim PPA hierzulande ein moderater Aufschlag auf den Börsenstrompreis wahrscheinlich. Denn die Energiebranche geht von steigenden Windstrom-Marktwerten aus, weil die Verteuerung der CO2-Emissionsrechte auf der politischen Agenda steht und weil Elektromobilität, Wärmespeicher und Digitalisierung die Nachfrage erhöhen.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall schaut der Entwicklung keineswegs nur zu. In den Niederlanden hatte dieser Ende 2017 einen Stromliefervertrag für den Küstenwindpark Wieringermeer vermeldet und daraufhin dessen Bau gestartet. Vattenfall baut dort ältere und kleinere Turbinen ab im Tausch gegen neue Nordex-Großrotoren der 3,6-Megawatt-Klasse. Ab 2019 betreiben 50 Turbinen des Repowering-Windparks zehn Jahre lang ein Rechenzentrum des Internet-Giganten Microsoft in der Großregion um den Windpark.

Christine Lauber, die deutsche Verkaufs­chefin der Energiehandelssparte im Konzern, beaufsichtigt Verhandlungen für weitere PPA in Skandinavien, aber auch in Deutschland. Lauber registriert eine „wahnsinnige Beschleunigung“ der Nachfrage: „Wir führen aktuell sehr viele Gespräche in unterschiedlichen Stadien“, sagt sie. In Deutschland hat sie zunächst Windparks im Visier, die ab 2020 nach 20-jähriger Betriebszeit keine EEG-Förderung mehr bekommen. Zugleich hält sie aber Ausschau nach Investoren, die auf die EEG-Förderung verzichten würden, wenn sie damit ihre Projektplanungen beschleunigen und wirtschaftlich gestalten könnten.

Welche Bedeutung PPA für die Windkraft künftig haben können, zeichnet auch das Münchner Unternehmen Baywa RE mit einem Solarfeld in Andalusien vor. Die Bayern legten unmittelbar mit dem Bau des 170-MW-Solarfelds los, nachdem sie mit dem Stromhändler Statkraft einen 15-Jahres-­Vertrag abgeschlossen hatten. Mit Statkraft will der für den Stromhandel zuständige Geschäftsführer Daniel Hölder einen künftig typischen Kunden auch für Windparks gewonnen haben: Stromhändler seien an Abnahmeverträgen interessiert, um die wachsende langfristige Nachfrage nach grüner Energie zu bedienen, sagt Hölder. Klassische Terminmarktkäufe seien für sie zu sehr spekulativer Börsenhandel. PPA hingegen lassen sich auch mit gehedgten Preisen absichern. Dieses Einhegen (hedging) der Preise ist in den USA teilweise üblich: Die Vertragspartner legen hier den Strommarktindex als Korrekturmaßstab an. Steigt der Strommarktpreis über den vereinbarten PPA-Preis, gibt der Käufer einen Teil seiner Ersparnis an den Windparkbetreiber ab. Verharrt der Börsenpreis unter dem vereinbarten PPA-Preis, gibt der Windparkbetreiber einen Nachlass.

Sogar für neue Windparks macht Stromhandels­experte Hölder schon eine Marktkraft aus: Wett­bewerbsdruck unter den Direktvermarktern zwinge diese, nicht nur preiswerte, sondern zugleich unterscheidbare Produkte anzubieten. Doch das EEG wirke hier als „enges Korsett“. Hölders Beispiel: Das EEG bremst die Sektorkopplung – die Nutzung überschüssigen Grünstroms bei zu viel Wind- oder Solarstromerzeugung für Elektromobilität im Verkehrssektor oder für Tauchsieder in Fernwärme­netzen beziehungsweise im Wärmesektor. Denn jede mit EEG-Tarif geförderte Kilowattstunde muss zur Vermarktung an der Strombörse fließen. Bei Strom­abnahmeverträgen aber ließen sich Stromerzeugung und Sektorkopplungsmodelle direkt kombinieren. Stromerzeuger könnten so Produkte schaffen, die sich auch mit etwas Aufpreis vermarkten ließen.

Vermarktung über Landesgrenzen hinweg

Sicher ist, dass das Vermarktungsinstrument – fast – grenzenlos ist. So betont Europas Windenergieverband, dass länderübergreifende Stromlieferverträge möglich sind. Nur nimmt der Aufwand mit der Zahl der beteiligten Länder zu. „Wer Windstrom von Belgien nach Schweden liefern will, muss mit den Netzbetreibern jedes dazwischen liegenden Landes einen Vertrag zum Ausgleich der schwankenden Windstromerzeugung schließen“, sagt Wind-Europe-Pressesprecher Andrew Canning: „Von Belgien über Deutschland und Dänemark bis Schweden.“

Diese physikalische Organisation der Strom­lieferungen im Netz bereitet manchem international tätigen europäischen Konzern noch ein Problem. Manch einer würde künftig statt der physikalischen lieber virtuelle Stromlieferungen vereinbaren, wie sie in den USA möglich sind: Hierbei käme derselbe Strom aus dem Netz wie bisher, während der Konzern mit den Windenergielieferanten per Vertrag nur die finanziellen Risiken des Börsenstrom­handels für 10 bis 15 Jahre absichert. Doch dieser Weg könnte aufgrund europäischer Finanzmarktregeln verbaut sein, lautet eine Kritik. Demnach ließen sich finanzielle PPA als Derivate einstufen: als spekulative Finanzmarktprojekte, die nur für Bankgeschäfte zugelassene Institute handeln dürfen.

Schon kümmert sich der Bundesverband Windenergie (BWE) um intelligente Marktregeln. Zusammen mit dem Berliner Juristen-Think-Tank Ikem veröffentlichte der BWE im April ein Konzept, das ein sogenanntes Marktentwicklungsmodell (MEM) für PPA vorsieht. Es regelt, wie Windstromvermarkter in Verbindung mit dem Betrieb eines virtuellen Kraftwerks direkte Lieferverträge mit Stromabnehmern ohne EEG-Vergütung abschließen dürfen. Das virtuelle Kraftwerk, ein mit Computersteuerung kontrolliertes Portfolio unterschiedlicher Erneuerbare-Energien-Anlagen, regelt die Einspeisung aus Wind, Sonne und Biomasse in Übereinstimmung mit dem Stromnetzbetrieb aus. Je mehr Windstrom in das EEG-vergütungsfreie MEM fließe, so argumentieren BWE und Ikem, umso mehr könne die Umlagebelastung der Stromverbraucher zur Finanzierung der EEG-Vergütung zurückgehen. (Tilman Weber)

  Dieser Artikel ist in unserem Print-Magazin 4/2018 erschienen. Falls Sie das Heft noch nicht vorliegen und nicht abonniert haben, können Sie ein Einzelexemplar hier nachbestellen. Neue und mehr spannende Artikel erhalten Sie, wenn Sie jetzt ein   kostenloses Probeheft  online bestellen.