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Hausaufgabe Onshore-Wind

Tilman WEber

Vorerst fand der erstmals nach der parlamentarischen Sommerpause wieder tagende Koalitionsausschuss zur Handlungs-Absprache zwischen den Partnern aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen noch keine Zeit für die Regelungslücken beim Windenergieausbau. Diese lassen den deutschen Windparkzubau an Land weiterhin stolpern. „Der Ausschuss tagt doch gerade schon und hat jetzt andere Themen“, war da sinngemäß aus der Bundestagsfraktion der bündnisgrünen Umweltschutzpartei zu hören: Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der raschen Loslösung europäischer Länder von den bisherigen Energierohstofflieferungen des Krieg führenden Russlands stimmten die Koalitionäre nur Maßnahmen zur Linderung der finanziellen Folgen für die Bürger ab. Das für die Energiewende dabei relevanteste Ergebnis dürfte sein, dass die geplante CO2-Preiserhöhung pro Tonne Ausstoß des klimawirksamen Gases im Brennstoffemissionshandel um 5 auf 35 Euro erst 2024 stattfindet, ein Jahr später als geplant. Dies könnte die Wettbewerbsfähigkeit der Erneuerbaren etwas bremsen, sollten die als Kriegsfolge hochschießenden Preise fossiler Energierohstoffe wieder fallen.

Doch Hausaufgaben insbesondere für die Windenergie hat die Regierung durchaus noch vor sich. Zwar hatte sie schon im Juli eine umfangreiche Gesetzessammlung mit zahlreichen Reformen, Zeitplänen und Ausschreibungsterminen für ein nie dagewesenes Tempo beim Ausbau von Windkraft und Photovoltaik im Bundestag verabschiedet. Dieses so genannte Osterpaket wollte die Ampelkoalition, wie sie gemäß ihrer Parteifarben heißt, ursprünglich nach der parlamentarischen Sommerpause durch ein Sommerpaket ergänzen und es ebenfalls noch 2022 verabschieden lassen.

Tatsächlich zeigt der Ausbau der Windkraft seit der Regierungsübernahme durch Rot-gelb-grün noch keineswegs eine positive Reaktion. Zwar verdoppelt die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2023) als Teil des Osterpakets die jährlichen Ausschreibungen für Vergütungsrechte an neue Onshore-Windparkprojekte. Eine Pflicht zur Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche zur Windkraftnutzung durch die Bundesländer ist seither ebenfalls in Kraft. Und beispielsweise der Austausch alter gegen leistungsstärkere Neuturbinen benötigt dank der Osterpaket-Reform am Bundesnaturschutzgesetz weniger Nachweise zur Umweltverträglichkeit, weil die Genehmigungsbehörden nur die zusätzlichen Wirkungen auf Vögel durch die höheren Anlagen messen sollen.

2.000 Megawatt ist die für 2022 zu erwartende Größenordnung beim Zubau deutscher Windkraft an Land. Es kommt einer Stagnation gleich, trotz starker Signale der Osterpaket-Gesetze. Welchen Schub könnte ein Sommerpaket noch bringen?

Trotzdem zählt der Brancheninformationsdienst IWR nach Auswertung des offiziellen Anlagen-Anmelderegisters von Januar bis Juli nur 1.150 Megawatt (MW) Zubau der Erzeugungskapazität – geringe 50 MW mehr als in denselben sieben Monaten von 2021. Der IWR erwartet fürs Gesamtjahr nun zwei Gigawatt (GW), 100 MW mehr als 2021. Die Branche hatte mit 2,3 bis 2,7 GW gerechnet. Im ersten Halbjahr 2022 stagnierten zudem die Genehmigungen neuer Projekte. Die 1,7 GW an Neugenehmigungen brachten ein Miniplus im Vergleich zu Halbjahr eins 2021 um nur gut 100 MW.

Demo von Greenpeace im August in Berlin

Foto: Anne Barth / Greenpeace

Demo von Greenpeace im August in Berlin

Olaf Scholz: alle Temporegeln noch 2022

Von einem Sommerpaket spricht die Regierung nicht mehr, weil sie die großen gesetzlichen Würfe ihrer Meinung nach schon hinter sich hat. Doch selbst Bundeskanzler Olaf Scholz deutet an die Adresse der Windenergiebranche weitere Gesetzesinitiativen nach der Sommerpause an. So sagte er im August bei einem Besuch des Maschinenhauswerkes des Windturbinenunternehmens Siemens Gamesa in Cuxhaven: Nur wenn die Ampelpartner in diesem ersten Regierungsjahr „alle Gesetze machen, die für das Tempo notwendig sind“, werde das Erneuerbaren-Ausbautempo schnell. Dauere es länger, würden „uns alle Bedenkenträger in den Arm fallen“.

Die Branchenorganisation Bundesverband Windenergie (BWE) urteilt hierzu, die Ampelkoalition habe „Wort gehalten“, wolle sie doch im ersten vollen Regierungsjahr „alle Hemmnisse abbauen, die den Erneuerbaren im Wege stehen“. So lobte es BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm im Juli vor Journalisten. Allerdings hätte der BWE die Regelungen im Sinne der Onshore-Windenergie gerne „in vielen Einzelpunkten besser gemacht“. Kritik entzündet sich an der unverändert langen durchschnittlichen Genehmigungsdauer für neue Windparkprojekte von sechs Jahren. BWE-Präsident Hermann Albers wiederholte im August auf einer Branchenveranstaltung in Rostock bisherige Vorschläge des BWE für Beschleunigungsansätze, beispielsweise digitale Antrags- und Bearbeitungswege bei den Genehmigungsbehörden oder eine Begrenzung des Rechts der Behörden zur Nachforderung von Unterlagen zum geplanten Windpark. Albers forderte ein Beschleunigungsgesetz für Genehmigungen der Windparks an Land. Es müsse am Bundesimmissionsschutzgesetz (BimschG) ansetzen, das die Genehmigungsverfahren regelt, betont BWE-Geschäftsführer Albers. „Und es muss noch bis Jahresende verabschiedet werden.“

To-do-Liste: Planungsrecht bis Fledermaus

Was die Bundesregierung im Herbst noch für die Onshore-Windkraft nachlegen wird, ließ das hauptzuständige Bundeswirtschaftsministerium bis Redaktionsschluss nicht erkennen. Der BWE verweist derweil auf die Hausaufgaben – auf sich teils widersprechende oder offen gebliebene Regelungen: Nicht zuletzt eine genauere Klärung der Planungsrechte in den und jenseits der bisherigen Konzentrationszonen für Windenergie im Baugesetzbuch. Mit solchen Zonen wollen Länder und Gemeinden in Regionalplänen definieren, wie sie Windparks aus Bereichen in der Landschaft heraus- und auf andere Bereiche konzentrieren wollen. Auch eine Regelung zur noch einmal verstärkten Bevorzugung des Repowering, des Austauschs alter gegen neue leistungsfähigere Windenergieanlagen, hat der BWE auf die fiktive To-Do-Liste geschrieben. Das Osterpaket hatte schon im Bundesnaturschutzgesetz dem Repowering einen Vertrauensvorschuss bei Umwelt-auswirkungen eingeräumt. Der Anlagentausch greift nämlich nur in Windkraft-vorbelastete Regionen ein. Doch die Windbranche hofft noch auf eine präzisere Fassung der Repowering-Vorzugsregelungen im Genehmigungsgesetz BimschG und speziell eine Erweiterung der planerischen Freiheit fürs Repowering. Auch eine weitere Förderung von Altwindparks nach dem Ende der 20-jährigen Festvergütung gemäß EEG, eine Nachregelung zugunsten von Bürgerwindenergie und Beteiligung der Kommunen oder die Regelung für bisher durch Bundeswehrflugschneisen und Landeplätze blockierte Windparkvorhaben könnten gemäß den BWE-Erwartungen zum Zuge kommen. Der Verband hofft auch noch auf eine einheitliche Bundesregelung zu Schutzabständen um Fledermauskolonien und zu Abschaltungen in Zeiten starken Fledermausflugverkehrs, damit die Rotoren keine Tiere erfassen. Fledermausschonregeln sind bisher Ländersache.

Die SPD-Bundestagsfraktion hatte sich offenbar frühzeitig im August mit einem internen Katalog in Stellung gebracht. Zuerst will sie sich auf eine Initiative mittels Europäische Union (EU) verlassen, um die ausufernden Preissteigerungen auf dem Strommarkt durch den Merit-Order-Effekt zu stoppen. Diese Marktregel im Stromhandel sieht vor, dass der Markt bei Stromlücken zuerst die preisgünstigsten Erneuerbaren, danach eher günstige Kraftwerke mit fossilen Brennstoffen und dann zur Not auch die teuersten Kraftwerke wie derzeit die Gaskraftwerke hinzuzieht. Und jeweils der gerade teuerste Handelspreis im Markt gilt dann für alle Stromhandelsgeschäfte.

Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz im Maschinenhaus-Werk in Cuxhaven bei Siemens Gamesa

Foto: Tilman Weber

Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz im Maschinenhaus-Werk in Cuxhaven bei Siemens Gamesa

Feinschliff an den schnellen Juli-Reformen

Durch das hohe Reformtempo des Osterpakets sei nicht immer alles richtig beackert worden, heißt es bei den Sozialdemokraten. Daher seien Widersprüche zwischen beispielsweise Bau- und Raumordnungsrecht noch zu beheben. Nachzuregeln sei auch, „damit Kommunen und Bundesländer in die Lage versetzt werden, die Ausweisung der verlangten Flächen von bundesweit zwei Prozent der Landesfläche für Windparks an Land bis Ende 2032 zu meistern.

Das vom BWE verlangte Genehmigungs-Beschleunigungsgesetz hat auch sozialdemokratische Unterstützer. Zumindest müsse das BimschG die Fristen für Genehmigungsvorgänge scharfstellen, heißt es aus den SPD-Reihen. Und es müsse vorsehen, dass gesetzlich vorgegebene Mindestabstände von Windenergieanlagen zu Siedlungen sich planerisch unterlaufen lassen, wenn anders nicht genug Projektflächen zu kriegen seien. „Da sind wir ziemlich sicher dran.“

Auch die Klärung der Konflikte um Radarstationen und Einflugschneisen der Militärs scheint offenbar zu kommen. Bisher wollten die Luftwaffenplaner die Windparks häufig großräumig von ihren Übungszonen fernhalten. Zwar lehnten sie nach Prüfungen konkreter Projekte bisher nur acht Prozent davon ab. Doch der beanspruchte Raum für den militärischen Vorbehalt ist enorm: Es können nur fünf, es können aber auch bis zu 50 Kilometer Interessensbereich sein. So stehe eine Reform des Luftverkehrsgesetzes an, ist aus Berlin zu hören. Auch bei den Grünen heißt es, aus Gesprächen mit der Bundeswehr seien „positive Signale“ zu vernehmen.

„Es muss noch bis Jahresende verabschiedet werden.“

Hermann Albers, Präsident, Bundesverband Windenergie (BWE), zum Beschleunigungsgesetz, das der BWE für Onshore-Windpark-Projektgenehmigungen fordert.

Indes hat ausgerechnet ein FDP-Minister des eher windkraftskeptischen Koalitionspartners der Ampel eine schnelle Reform mit positiver Wirkung für Onshore-Windkraftprojekte angekündigt. Bundesjustizminister Marco Buschmann legte im August den Entwurf für ein „Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich“ vor. Es soll nicht nur der Windkraft nutzen, sondern auch Flüssiggasterminals und selbst Straßen, Schienennetze und Flughafen schneller zum Zuge, Auto oder Flieger kommen lassen, was vielleicht den Ehrgeiz des FDP-Ministers zusätzlich erklärt. So müssten die Gerichte Verfahren zu Infra-strukturprojekten anderen Verhandlungssachen vorziehen. Sie müssten den Klägern gegen Infrastrukturvorhaben wesentlich kürzere Fristen zur Vorlage ihrer Beweisdokumente vorgeben. Gegen Windparks Klagende müssten infolge dieser Regelungen sich auch sofort ans Oberverwaltungsgericht wenden, was die unteren Instanzen ausspart und damit die Dauer der Prozesse auf höchstens eine Weiterverhandlung vor dem übergeordneten Verwaltungsgerichtshof begrenzt. Kettenprozesse, um Windparks aufzuhalten, würden unmöglich.

Selbst Regeln, um regionalplanerische Höhenbegrenzungen für Altanlagen bei Repowering-Vorhaben nicht mehr beachten zu müssen, könnten ganz eventuell noch Eingang in die Sommerpaket-Reste-Gesetzgebung zu finden.

6 Jahre benötigen Windparkplaner in Deutschland durchschnittlich und weiterhin für Projekte an Land. Eine nochmalige Anpassung des Bundesimmissionsschutzgesetzes und eine Justizreform könnten die Dauer der Verfahren deutlich abkürzen.

Vielleicht ist sich die Koalition noch uneins, wie schnell sie den zweiten Abschnitt ihrer Reformkampagne zur anvisierten schnellsten Energiewende Deutschlands betreiben muss. So ist bei der SPD davon die Rede, dass das Parlament in der zweiten Verhandlungswoche nach der Sommerpause – Ende September – die Reformen einbringen muss, um die Beschlüsse für die danach folgende Bundesratssitzung am Ende der ersten Oktoberwoche fertig zu haben. Der Kabinettsbeschluss müsse noch vor der Verhandlungswoche des Bundestages erfolgen. Auf mehrere Punkte hätten sich die Partner schon geeinigt, heißt es von bündnisgrüner Seite. Doch möglicherweise entscheide der Bundestag erst im Oktober.

Deutscher Bundestag / Tobias Koch

Sommer-paket

Den Namen führen die Minister im Kabinett der rot-gelb-grünen Ampelregierung nicht mehr im Mund. Doch nach dem Osterpaket mit einer Reihe neuer Gesetze und Reformen, das das Parlament im Frühsommer verabschiedete, sind nun noch Schlaglöcher oder fehlende Verbindungswege in den Regeln zu flicken. Diese Vervollständigungsgesetze könnten das Sommerpaket ersetzen.

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