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Hart im Wind

Katharina Wolf

Sie haben wohl einen der rauesten Arbeitsplätze, die in Deutschland zu vergeben sind: die Servicetechniker auf einer Offshore-Windenergieanlage. In der Regel wird in Zwei-Wochen-Slots gearbeitet, 14 Tage auf See, 14 Tage zu Hause. Bis zu 13 Stunden sind die Monteure dann auf den Anlagen im offenen Meer, ein Wohnschiff bringt sie morgens hin und holt sie abends ab. Auf der Anlage ist es oft kalt, laut und wackelig. Toiletten und Pausenräume gibt es nicht.

Was die Monteure für ihre Pausen vorfinden, ist darüber hinaus höchst unterschiedlich. „Es kommt auf den Betreiber des Windparks an“, sagt Oliver Janssen. Er heißt eigentlich anders, doch er möchte weder seinen echten Namen noch den des Unternehmens, für das er arbeitet, veröffentlicht sehen. Der Servicetechniker berichtet lieber anonym von seinem Alltag. Einige Windparkbetreiber stellten Tische und Stühle bereit und ein „Klo to go“. Leider nicht alle. „Dann sitzen wir in der Pause zwischen Werkzeugen und Kabeln und essen unsere Stullen. Und einfach im Gebüsch verschwinden, wenn man mal muss, das geht auf See eben nicht.“

Wir wollen eine Standardisierung, damit kein Unterbietungswettbewerb stattfinden kann.

Heiko Messerschmidt, Bezirkssekretär, IG Metall Küste

Bei Sitzgelegenheiten und Chemieklo hören die Unterschiede in den Arbeitsbedingungen offshore offenbar nicht auf. So dauerten die Schichten mal 12, mal 13 Stunden, je nachdem, ob eine Stunde Pause einberechnet würde, berichtet die IG Metall an ERNEUERBARE ENERGIEN. Sorge bereite den Technikern zudem die uneinheitliche Mindestgröße der Teams, die auf einer Anlage oder Plattform arbeiteten. „Es müssten mindestens drei sein, damit bei einem Unfall einer beim Verletzten bleiben kann, während der andere Hilfe organisiert“, sagt der hier Janssen genannte Servicetechniker.

Hinzu kommt die Sache mit den Hubschraubern: Im Ernstfall müssen Hubschrauber die Verletzten abholen – per „Helicopter Emergency Medical Service“, dem HEMS. Für HEMS gibt es drei Stufen: rot – nicht verfügbar, grün – verfügbar und gelb – Flug mit Einschränkung. „Während viele Unternehmen nur bei HEMS grün arbeiten, sind andere auch bei HEMS gelb auf der Anlage“, heißt es von der Gewerkschaft. Unterschiede gebe es auch bei Kommunikationskanälen zum Festland oder Schiff, die im Ernstfall eine Rettung verzögern könnten.

Gehören Teamgröße und Pausen geregelt?

In Workshops mit den Betriebsräten hat die Gewerkschaft ein Positionspapier erarbeitet, in dem sie Regeln fordert. „Wir wollen bis 2045 bis zu 70 Gigawatt Windenergieleistung auf hoher See installieren“, sagt Heiko Messerschmidt, bei der IG Metall Küste zuständig für Politik und maritime Wirtschaft. „Tausende Fachkräfte, zum Teil mehr als 130 Kilometer vor der Küste. Das geht nur mit guten Arbeitsbedingungen und sicheren Rettungswegen.“ Zentrale Forderungen der Gewerkschaft sind Teammindestgrößen von drei Personen, standardisierte Arbeitszeiten und Pausenbedingungen, sichere Kommunikationswege im Windpark und zum Festland sowie die Abschaffung der HEMS-Stufe gelb mit der klaren Aussage: „No HEMS? No Work.“

„Wir wollen eine Standardisierung, damit kein Unterbietungswettbewerb stattfinden kann“, sagt Messerschmidt. Denn im Offshore-Service gehe es um viel Geld: Steht die Anlage, kann der Ertragsausfall auch mal in die Millionen gehen. Die Gewerkschaft befürchtet, dass für Servicedienste künftig Unternehmen Zuschläge bekommen, die Sicherheit und Arbeitsschutz laxer auslegen.

In der Branche stößt das Positionspapier eher auf Ablehnung. Arbeitssicherheit habe höchste Priorität, heißt es vom Meereswindpark-Unternehmen Ørsted. „Unsere Offshore-Servicetechnikerteams bestehen aus drei Personen, unsere Kommunikationswege sind ausfallsicher und mit den Leitstellen kompatibel. Wir haben einen eigenen Ambulanz-Helikopter, der in Norddeich stationiert ist“, sagt Iris Franco Fratini, Mitglied der Geschäftsleitung bei Ørsted Deutschland. Das Unternehmen betreibt vier Offshore-Windparks, setzt rund 100 Mitarbeitende auf See ein. „Die Arbeitsbedingungen werden durch individuelle Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen von Schutz- und Sicherheitskonzepten ausreichend gewährleistet“, sagt Franco Fratini.

Ähnlich äußert sich der Branchenverband BWO: „Für diese drei Bereiche, Mitglieder pro Arbeitsteam, die Kommunikationswege und die Einsatzbereitschaft eines Rettungshubschraubers, vertrauen wir auf die individuellen Entscheidungen vor Ort“, sagt Geschäftsführer Stefan Thimm. Die Fachkräfte vor Ort wüssten dank ihrer Erfahrung am meisten über die möglichen Gefahren – und beurteilten sie gemäß Schutz- und Sicherheitskonzepten der Offshore-­Windparks. „Das gilt auch für den Grundsatz ,No HEMS? No Work‘, von dem in Ausnahmefällen als Ergebnis einer individuellen Gefährdungsbeurteilung abgewichen werden kann“, so Thimm. Ein standardisiertes Konzept für Pausenräume lasse sich in den älteren Windenergieanlagen aufgrund der räumlichen Enge schwer umsetzen.

13 Stunden inklusive Pausenzeit sind Offshore-Windpark-Wartungskräfte täglich im Einsatz auf den Windenergieanlagen oder auf einer Plattform.

Auch Jens Landwehr, Geschäftsführer bei der Deutschen Windtechnik Offshore und Consulting, verweist auf die unterschiedlichen Bedingungen, die sich aus Alter der Anlage und der Entfernung zu Küste oder Inseln ergäben. „Zu 80 Prozent sind die Schutz- und Sicherheitskonzepte für die Windparks standardisiert, aber bestimmte Dinge lassen sich nicht technisch sinnvoll standardisieren“, sagt er. 2.300 Mitarbeitende hat das Wartungsunternehmen Deutsche Windtechnik, 500 arbeiten offshore – weltweit. Das Thema Arbeitssicherheit sei nach mehr als zehn Jahren Offshore-Windenergie „durchgereift“, die Unfallquote niedrig, betont Landwehr. Die Fachkräfte würden gut ausgebildet, regelmäßig geschult. Zu viele Vorschriften könnten sogar hinderlich sein, gibt er zu bedenken. „Wir müssen auch darauf achten, dass das Ganze bezahlbar und für die Offshore-Techniker leistbar bleibt.“

Dass in seltenen Fällen in Zweierteams auf der Anlage oder bei HEMS-Status gelb gearbeitet wird, hält Landwehr für vertretbar, „wenn Gefährdungsbeurteilung und Rettungskonzept es erlauben“. Klar sei aber auch, dass die Herausforderungen mit der Entfernung der Parks zur Küste wachsen. Er plädiert für mehr Kommunikation. Bei der Deutschen Windtechnik gebe es regelmäßigen Austausch mit dem Betriebsrat, Auffälligkeiten stellten die Beteiligten schnell ab. „Vielleicht sollte auch die Gewerkschaft mehr mit der Branche in den Austausch gehen“, schlägt er vor.

Gewerkschaft will sich mit Branche einigen

Dort sieht man das Positionspapier als Aufschlag zur Diskussion und räumt Fehler ein: Die geforderte Leitstelle zur Koordination der Rettungseinsätze gebe es schon mit der Betreiber-finanzierten Gesellschaft für Maritimes Notfallmanagement, sagt Messerschmidt. „Wir suchen die Einigung mit der Branche, aber die Reaktion war verhalten“, sagt er. Rückenwind komme eher aus der Politik. „Wir erwarten, dass die Menschen auf den Anlagen einbezogen werden, wenn es um Gefährdungsbeurteilungen und Sicherheitskonzepte geht.“

Oliver Janssen wünscht sich für den Anfang vor allem zwei Dinge: die Durchsetzung von „No HEMS? No Work“ und Drei-Personen-Teams auf der Anlage. „Es ist einfach sicherer. Und es gibt immer genug zu tun, auch für drei.“

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