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„Brauchen nun Transparenz“

Tilman Weber

Wie europäisch wird die Wertschöpfung für Europas Offshore-Windpark-Boom? Mit Windkraftpaket und Net Zero Industry Act (NZIA) hat die Europäische Union nun zwei Rahmenregelungen zur Stärkung der Energiewende­industrie. Doch es wird schwer, Zulieferwerke für die Meereswindkraft schnell genug hochzufahren.

Sowohl Uncapped Negative Bidding, ungedeckeltes Wettbieten der Offshore-Windpark-Projektierer mit Zahlungen, als auch Repower-EU-Programm – laut Wind-Europe-CEO Giles Dickens ein „entscheidender Anstoß für Europas Übergang zu lokaler, sauberer und billiger Elektrizität“: Reicht Brüssel der Meereswindkraftindustrie in Europa das Glas halb voll oder halb leer?

Lizet Ramirez: 26 EU-Regierungen haben sich mit Unterzeichnung der EU-Windcharta 2023 dafür ausgesprochen, den Windenergieausbau zu beschleunigen. Wir müssen jetzt keine Regierungen mehr überzeugen, alle sind sie sich nun im Klaren, dass ihre Länder mehr Windenergie brauchen, um die Energieversorgung zu sichern und bezahlbare Strompreise zu erzielen. Und dass Windkraft ab den 2030er-Jahren zur wichtigsten Stromquelle wird. So ist das Glas halb voll. Andererseits hatten wir gerade die Europawahl. Das neue Europäische Parlament wird den EU-Green-Deal beibehalten müssen.

120 Gigawatt (GW) allein in der Nordsee planen die europäischen Anrainerstaaten bis 2030, 26 GW die Ostseeanrainerstaaten. Die Kapazitätslücke der Technik- und Komponentenzulieferer sowie Logistiker und Häfen in Europa ist aktuell noch groß.

Liefen nicht schon vor der Wahl die Auktionsregeln mit dem Uncapped Negative Bidding der Repower-EU-Intention zuwider, eine europäische Lieferkette zu fördern?

Lizet Ramirez: Ja. Nicht alles läuft großartig. Offshore-Windenergie beschäftigt heute fast 100.000 Menschen in Europa. Der Zuwachs an Arbeitsplätzen wird sich aber nur fortsetzen, wenn wir die europäische Windenergie-Lieferkette stärken. Gerade in Deutschland – nach Dänemark eine Wiege der Meereswindkraftindustrie – haben wir vor einigen Jahren einen völligen Stillstand bei neuen Auktionen erlebt mit katastrophalen Folgen für die Arbeitsplätze in der gesamten Lieferkette. Wir lernten, wie wichtig es für die Regierungen ist, einen stetigen und gesunden Ausbau der Offshore-­Windenergie aufrechtzuerhalten, der die heimische Lieferkette in Schach hält. Ungebremste Zuzahlgebote unterminieren aber die Gesundheit der Lieferkette.

Jost Backhaus: Es besteht hohes Risiko, da die Entwickler diese Bieterkosten einkalkulieren und kompensieren müssen. So könnte es Teil ihres Business Case werden, billigere Komponenten zu wählen mit dem Risiko geringerer Qualität.

Immerhin gibt die EU nun konkrete Maßnahmen für Auktionen vor: nichtpreisliche Kriterien, einschließlich der Präqualifikation geeigneter Bieter, Cybersicherheit, Corporate Governance und Wertungsboni für Innovation. Die EU legte fest, dass Kriterien für die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette folgen müssen. Das könnte ein Eindringen chinesischer Turbinenbauer in den hiesigen Markt auf Kosten europäischer Akteure bremsen. Aber wird so die Lieferkette in ausreichendem Maße gestärkt?

Lizet Ramirez: Diese Kriterien sind immer noch schlecht. Deutschland ist zu Recht sehr stolz auf seine Lieferkette. Aber ich glaube, die Regierung denkt noch nicht ausreichend darüber nach. Sie hat qualitative Kriterien für die zentral vorentwickelten Offshore-Windkraftflächen eingeführt. Der Net Zero Industry Act zielt auf eine widerstandsfähige EU-Offshore-Windlieferkette ab. Länder wie Deutschland haben nun die Aufgabe, nichtpreisliche Kriterien zu nutzen, um die Projekte zu bezuschlagen, die den größten Nutzen für Europa bringen.

Jost Backhaus: Der NZIA kann als die kleine Schwester des Inflation Reduction Act in den USA bezeichnet werden. Ausweislich der Diskussion über die Resilienzkriterien in den letzten Wochen stecken wir noch in den Anfängen. Wir müssen Wege finden, den NZIA-Ansatz EU-weit zu harmonisieren. Hauptherausforderung ist ein einheitliches Umsetzen in den Mitgliedstaaten. Denken Sie nur an Polen und Frankreich, die eine lokale Produktion verlangen, was nicht der ideale Weg sein mag, die europäische Lieferkette zu fördern und unsere politischen Ziele auf effiziente Art zu erreichen.

Das neue Europäische Parlament wird den EU-Green-Deal beibehalten müssen.

Lizet Ramirez, Senior Analyst für Lieferketten bei Wind Europe, über die Notwendigkeit für die Offshore-Windkraft-Unternehmen, dass die Politik langfristige Ziele beim Meereswindkraftausbau auch über politische Wachablösungen hinaus beibehält

Lizet Ramirez: Derzeit verfügen wir nicht über die Produktionskapazitäten für den bis 2030 anstehenden Anstieg. Deshalb ist es so wichtig, die Lieferkette zu erweitern. Aber wie können wir sie wettbewerbsfähig machen? Man braucht zwei Dinge: ein überzeugendes Geschäftsmodell und eine sehr sichere Projektpipeline. Hier müssen die im NZIA und im EU-Windkraftpaket vorgeschlagenen Präqualifikationskriterien eine größere Rolle spielen. Wir haben gemeinsam beschlossen, die Messlatte höher zu legen, um weniger spekulative Bieter zu haben als Leute, die sich verpflichten, Projekte zum richtigen Zeitpunkt zu realisieren. Wir müssen dieses Vertrauen haben. Der zweite Punkt ist die Nutzung der Förderlinien: Der US Inflation Reduction Act hat viele verschiedene Arten von Unterstützung bereitgestellt, von Steuergutschriften bis hin zu Darlehen. Und Unternehmen in China nutzen möglicherweise unlautere staatliche Hilfen mit aufgeschobenen Zahlungsbedingungen. Was unternimmt Europa dagegen? Die Offshore-Windindustrie verlangt von den Regierungen nicht, dass sie Milliardenbeträge ausgeben. Aber wir brauchen eine entschlossene EU-Industriepolitik, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Windsektors zu sichern.

Wie aber kann eine solche Industriepolitik regionale Wertschöpfungsketten an den nord-, mittel- und osteuropäischen Küsten bauen, wo Offshore-Windkraft in diesem Jahrzehnt am meisten expandiert? Die Akzeptanz in den Regionen wird vom Angebot an Jobs abhängen. Tut die Politik genug?

Jost Backhaus: Regionen wie Norddeutschland sind Vorreiter in Sachen Offshore-Wind. Das ist ein großer Vorteil, denn in vielen Unternehmen vor Ort gibt es viel Wissen und Erfahrung. Wo lokale Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen, trägt das zur Akzeptanz in den Regionen bei. Das ist sehr wichtig. Wichtig ist es auch, die großen Offshore-Komponenten nahe der Installationsorte zu fertigen, um den CO₂-Fußabdruck zu reduzieren. Allerdings muss die Lokalisierung mit Augenmaß erfolgen. Wir müssen einen ausgewogenen Kompromiss zwischen der regionalen Wertschöpfung und der Senkung der Stromerzeugungskosten finden.

Lokalisierung mit Augenmaß

Jost Backhaus, CEO, Steelwind Nordenham. Das Tochterunternehmen der saarländischen Dillinger Hütte hat 100 Monopile-Unterwasserfundamente allein 2023 ausgeliefert. Sie sollen Turbinen mit 1,2 Gigawatt (GW) tragen. Monopiles für 1,5 GW ließen sich hier ohne Werkserweiterung produzieren.

Lizet Ramirez: Bremen ist eine so starke, erfahrene Windenergieregion. Sie haben auch Universitäten, die wirklich die qualifizierten Leute bringen können, die unser Sektor braucht. Offshore-Windparks und ihre Komponenten sind so groß und schwer, dass man Logistik und Transporte minimieren möchte. Küstennahe Zonen sind also schon aus sich heraus am besten in der Lage, vom kommenden Offshore-Windboom zu profitieren. Das haben wir in Norwegen beim neuen Hywind-Projekt in Tampen gesehen, wo lokale Unternehmen 60 Prozent der Lieferkette übernahmen, ohne dass es Vorgaben für lokale Fertigungsanteile gab. So war es auch in Frankreich, wo wir die erste Welle kommerzieller Projekte haben: Bei den jüngsten Windparks wurden – vielleicht nicht für Tier-1-Lieferanten, aber für Tier 2 oder 3 – lokale kleine und mittlere Unternehmen eingesetzt. Dieser kreisförmige Wellenausbreitungseffekt auf die lokale Umgebung ist sichtbar.

Nur, für Investoren zählt zuerst die große Lücke zwischen dem, was heute produziert werden kann, und dem, was in Projektfeldern im Meer bald benötigt wird. Herr Backhaus, ich weiß, dass Sie eine neue Markttransparenz fordern, welche Komponenten aus Europa kommen könnten und wer die Produktion steigern kann. Warum?

Jost Backhaus: Wir erleben derzeit, dass für einige große Windparks in der Nord- und Ostsee Monopiles aus China importiert werden. Einer der Hauptgründe für die Wahl des chinesischen Herstellers war, dass es in Europa keine Kapazitäten gab, um die Anforderungen dieser Projekte zu erfüllen. Bei frühzeitiger Transparenz hätten die europäischen Hersteller ihre Kapazitäten jedoch rechtzeitig ausbauen können. Bis 2030 sollen in Europa mindestens 120 GW installiert werden, und wir wissen heute, dass es aufgrund vieler Engpässe wie Schiffen oder Hafeninfrastruktur sehr schwierig wird, diese Ziele nur annähernd zu erreichen. Wenn wir bis 2035 Transparenz für jede Schlüsselkomponente hätten, könnte diese Lieferkette rechtzeitig entstehen.

Wie sollte diese Transparenz hergestellt werden? Und von wem?

Jost Backhaus: Wir brauchen mehr langfristige Planbarkeit für jedes Land. Deutschland ist hier ein Vorreiter. Wir wissen genau, was jährlich installiert werden muss, um unsere Ziele für 2030 und 2035 zu erreichen. Diese Transparenz ist auf europäischer Ebene für jedes europäische Land erforderlich.

Lizet Ramirez: Volles Verständnis dafür, dass die Zulieferer nicht sofort beschließen, die Kapazität zu verdoppeln! Ich nenne ein Beispiel: Die Regelungen sind in Europa sehr unterschiedlich. Wenn man auf den größten Offshore-Windmarkt Großbritannien schaut, sieht man, dass ein Gebiet am Meeresboden gepachtet wurde und die Entwickler sich um ihre Genehmigungen bemühen, bevor sie sich an den CFDs beteiligen. Erst im Moment, in dem sie sich ihre Differenzverträge für die Vergütung sichern, schließen sie die Vertragsverhandlungen ab und unterzeichnen sie. Dann können Zulieferer sagen: Ich habe dieses Kapazitätsangebot, also muss ich erweitern. War das genug Zeit für eine Fabrik, um zu expandieren? Ah – vielleicht nicht. Während das britische Verfahren sehr dezentralisiert ist, ist es in den Niederlanden sehr zentralisiert, und man erhält praktisch den FID, sobald man seine Rechte erworben hat. Sie sollten Ihre Verträge schon ausgehandelt haben, während Sie in der Auktion um den Zuschlag bieten. Die Sicherheit der Projekte kann also nicht in allen Ländern gleich gemessen werden. Verspätete Auktionen, wie sie nun in vielen Ländern zu beobachten waren, kommen hinzu. Alles macht es komplizierter, die endgültige Entscheidung für Ihre Fabrikinvestition zu treffen und günstige Finanzierungsbedingungen bei den Banken zu erhalten.

Die Bereitstellung von pragmatischen Finanzierungsinstrumenten zum Aufbau der Offshore-Versorgungskette ist eine der vorrangigen Maßnahmen des Windkraftpakets. Leider sieht die Realität anders aus.

Jost Backhaus, seit Juli 2023 neben Andreas Liessem CEO bei Steelwind Nordenham

Jost Backhaus: Die Bereitstellung von pragmatischen Finanzierungsinstrumenten zum Aufbau der Offshore-Versorgungskette ist eine der vorrangigen Maßnahmen des Windkraftpakets. Leider sieht die Realität anders aus. Geschäftsbanken agieren aus verschiedenen Gründen sehr zurückhaltend.

Die EU dürfte drei der von Wind Europe gestellten „fünf Fragen“ an die EU-Kommission mit Maßgaben beantwortet haben: Unterstützung für schnellere Genehmigungen, fairer Wettbewerb zur Konkurrenz aus China, Fördern von Innovationen zur Skalierung. Die nach massiver Investition in Netzausbau und zur Elektrifizierung der Schwerindustrie blieben eher ohne Antwort. Fehlt das, um den Knoten zu lösen?

Lizet Ramirez: Man kann nicht eine Frage beiseitelassen. Das künftige Energiesystem wird auf einer großangelegten Elektrifizierung aufbauen. Aber die kann nicht stattfinden, wenn man nicht in die Netze investiert ...

Jost Backhaus: Ich möchte nochmals die Bedeutung fairer Wettbewerbsbedingungen hervorheben. Sie sind Grundvoraussetzung für den Aufbau einer starken europäischen Lieferkette. Der Einsatz außereuropäischer Komponenten soll Nachfragespitzen abdecken. Es muss nur sichergestellt werden, dass ihre Verwendung das Entwickeln einer starken europäischen Lieferkette nicht gefährdet. Wir brauchen wirksame handelspolitische Schutzinstrumente auf europäischer Ebene, um Subventionen entgegenzuwirken, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Lizet Ramirez: Die Lieferkette ist global. Das Problem ist, dass nicht alle den gleichen Regeln unterliegen und den gleichen Zugang zu Finanzmitteln haben. Hätten wir alle die gleichen Bedingungen ...

Weltweit? Ist das denkbar?

Jost Backhaus: Wie auch immer: Die verzerrten Wettbewerbsbedingungen im Bereich der Finanzierung stellen eine große Herausforderung dar ...

Einzelne hiesige ­Großkomponentenbauer exportieren auch viel nach China. Wie sollte die Politik mit der doppelten Notwendigkeit umgehen, unfairen Wettbewerb zu verhindern und Investoren das Material zu geben, das sie jetzt zusätzlich benötigen, ohne sie auf Ramp-ups warten zu lassen?

Jost Backhaus: Es gibt ja bereits große Entwickler, die Lieferketten mit Rahmenverträgen langfristig sichern. Hersteller können mit ihnen frühzeitig langfristige Reservierungsvereinbarungen treffen und längerfristig planen. Für potenzielle Expansionsprojekte können sie ihre Business Cases untermauern.

Es wird an den ­Regierungen liegen, wie sie bestehende Kapazitäten nutzen.

Lizet Ramirez, Senior Analyst Wind Energy Supply Chain, Wind Europe

Was bremst die Rahmenverträge noch?

Jost Backhaus: Im April hat die KfW ihre Finanzierungsinstrumente der Offshore-Windlieferkette geöffnet. Es ist ein richtiger Schritt, aber noch gibt es nur Angebote für Kleinkredite für die Offshore-­Wind­energie-Lieferkette. Für neue Produktionsanlagen wären deutlich höhere Kreditsummen erforderlich.

Sollte es also doch nationale Maßnahmen geben, damit in Windenergie-Konzentrationszonen wie Nordwestdeutschland neue Fabriken entstehen?

Lizet Ramirez: Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Schauen Sie sich die IPCEIs an, das Programm für wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse, das Projekten Vorrang einräumt, die mehr als ein Land oder mehr als eine Region und mehr als einen Sektor betreffen. Das hat einen Bündelungseffekt. Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel neue industrielle Ökosysteme aufbauen oder bestehende verbessern. Wir sehen die gleichen Cluster wie in Nordwestdeutschland auch im Norden Spaniens. Die Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse sorgen sogar dafür, dass dieses Ökosystem neue Akteure einbringen kann, die vielleicht noch fehlen. Denken wir etwa an Unternehmen für Beschichtungen. Der NZIA wird die Hauptziele und das Minimum festlegen, aber darüber hinaus wird es an den Regierungen liegen, wie sie bestehende Mechanismen nutzen oder neue schaffen, um das Beste aus den Clustern zu machen.

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