Belgien hat den ersten der sieben pannenreichen Atomkraftwerke des Landes abgeschaltet. Am Freitag nahm Betreiberunternehmen Engie den Kraftwerksblock Doel 3 dauerhaft vom Netz. Die damit eingeleitete Stilllegung des knapp mehr als 1.000 Megawatt (MW) leistenden Reaktors startete somit gut eine Woche vor dem gemäß staatlicher Vorgaben anvisierten Abschaltungsdatum 1. Oktober. Das Betreiberunternehmen Engie Electrabel hatte den Direktor der Anlage, Peter Moens, zuletzt bestätigen lassen, dass es „weder klug noch ratsam“ sei, die Stilllegung des Gigawattblockes noch zu verschieben, auch aufgrund ungelöster Sicherheitsfragen, wie Medienberichterstatter in Belgien am Freitag übereinstimmend zitierten.
Damit schaltet das bisher zu gut der Hälfte mit Atomstrom versorgte Nachbarland einen seiner sieben Atomkraftwerke ab. In dessen Reaktordruckbehälter waren bei einer Inspektion vor zehn Jahren tausende feine Risse zutage getreten. Engie Electrabel hatte Doel 3 seither immer wieder als Vorsichtsmaßnahme vom Netz nehmen und dessen Sicherheitsmängel überprüfen lassen müssen. Der Reaktor ist 40 Jahre alt. Dies gilt als technisch kritisches Alter für Atomreaktoren .
Allerdings hatte Belgiens aktuelle Regierung im März beschlossen, den 2003 besiegelten Atomenergie-Ausstiegsfahrplan mit dem Abschalten der sieben Meiler bis Ende 2025 durch einen neuen Fahrplan mit einer teilweisen Laufzeitverlängerung um zehn Jahre zu ersetzen. Demnach sollen Doel 3 nun und am 1. Februar 2023 Tihange vom Netz gehen. Weitere drei Blöcke sollen 2025 folgen. Aber Doel 4 sowie Tihange 3 werden so noch bis 2035 Strom erzeugen. Ein Parlamentsbeschluss muss diesen neuen Fahrplan noch 2023 bestätigen – im Hinblick auf mögliche Engpasssituationen der belgischen Stromversorgung. Die Politik in Brüssel will damit nicht zuletzt den Gasversorgungskonflikt der Europäischen Union mit dem in der Ukraine kriegsführenden Gasexportland Russland berücksichtigen. Und Mitte März hatte die christdemokratische Innenministerin des Landes sogar darauf gedrängt, ein Aussetzen der geplanten Schließung von Doel 3 zu erwägen. In der parteipolitisch sehr breiten Regierungskoalition hatten sich 2020 Bündnispartner von den Grünen über wirtschaftsliberale bis zu christdemokratischen und sozialdemokratischen Parteien zusammengeschlossen.
Auf die Kräfte in der belgischen Landespolitik eingehend, die auch die unmittelbar bevorstehenden Abschaltungen noch stoppen möchten, ließ Kraftwerksdirektor Moens wissen: Alleine neuen Brennstoff zu besorgen, würde aktuell 36 Monate dauern. Die Schulung der Doel-Betriebsführung für den Fortbetrieb des Altreaktors sogar drei Jahre beanspruchen. Es sei in der Atomkraft nicht so, dass sich dort Entscheidungen „von heute auf morgen“ treffen ließen – sagte Moens im Hinblick auf die Forderungen nach dem Weiterbetrieb gerade einmal zehn Tage vor der jetzt erfolgten Abschaltung. Gleichwohl deutete der Engie-Electrabel-Mann auch an, dass die Abschaltung bis zum Start der eigentlichen Abrissarbeiten ab Mitte des Jahrzehnts nicht unumkehrbar sei. Technisch lasse sich der Meiler noch einmal reaktivieren, auch wenn der jetzt beginnende Prozess des allmählichen Abklingens der Reaktorprozesse schon gestartet sei.
Belgien erzeugt den Atomstrom des Landes an den beiden Standorten Doel und Tihange. Während in Doel bis zur Abschaltung von Block 3 vier Reaktorblöcke mit zusammen mehr als 2.900 MW aktiv waren, arbeitet Tihange in drei Blöcken derzeit noch mit 3.150 MW. Auch der nächste vom Netz gehende 1000-MW-Meiler Tihange 2 wird zum Zeitpunkt der Abschaltung etwa 40 Jahre in Betrieb gewesen sein. Auch Tihange 2 hatte häufig aus Sicherheitsgründen pausieren müssen. Die nun wohl noch bis 2025 aktiven Blöcke Doel 1 und 2 sowie Tihange 3 werden hingegen am Ende auf bis zu fast 50 Jahre Laufzeit gekommen sein, wenn Engie Electrabel dann ihre Leistung von zusammen rund 1.850 MW aus der Stromversorgung nimmt. Und dieselbe Laufzeit hat Belgiens Koalition nun auch für die zehn Jahre jüngeren Blöcke Doel 4 und Tihange 3 vorgesehen. Sie leisten jeweils 1.040 MW.
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