Eine beschleunigte Dekarbonisierung des Energiesystems ist eine dringend erforderliche Aufgabe, um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen. Notwendige Maßnahmen finden sich auf unterschiedlichen Ebenen entlang der Energie-Wertschöpfungskette. Die Elektrifizierung der Nachfragesektoren, Integration erneuerbarer Energien und dadurch notwendige Erschließung neuer Flexibilitäten sind insbesondere auch für das Stromübertragungsnetz als Rückgrat des Energiesystems und verbindendes Element zwischen Regionen große Herausforderungen.
Es benötigt daher performante Planungsinstrument, um konsistente Dekarbonisierungspfade, unter Berücksichtigung von sektoren- und energieträgerübergreifenden Wechselwirkungen im europäischen Systemverbund mit hoher zeitlicher und räumlicher Granularität, zu analysieren.
In einer Kooperation zwischen den Übertragungsnetzbetreibern TransnetBW und Austrian Power Grid (APG) wird ein umfassendes europäisches Energiesystemmodell (ESM) als Planungsinstrument entwickelt und in verschiedenen Studien und innovativen Stakeholder-Prozessen eingesetzt.
Konferenztipp: Am 2. und 3. Juli geht es um diese Themen. Infos: sectors-4energy.de
Was ist ein Energiesystemmodell und wie funktioniert es?
Das bei TransnetBW und APG eingesetzte ESM, basiert auf PyPSA-Eur (open-source) und wird von den beiden Übertragungsnetzbetreibern laufend weiterentwickelt. Das ESM bildet das gesamte Energiesystem unter gleichzeitiger Betrachtung aller Energieträger (Strom, Gase, Wärme, Biomassen, Flüssigkraftstoffe) sowie aller Verbrauchssektoren (Industrie, Verkehr, Haushalte und Dienstleistungen) und ihrer Emissionen ab. So können die Effekte der Sektorenkopplung entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Modell berücksichtigt werden. Die Abbildung zeigt exemplarisch, wie ein Energiesystem anhand des ESMs abgebildet wird.
Als Zielfunktional werden die Gesamtsystemkosten unter Einhaltung einer Vielzahl von Nebenbedingungen (zum Beispiel Einhaltung von Emissionsreduktionszielen, zeitlicher Bilanzierung: Produktion = Verbrauch) minimiert.
Mit dem ESM lassen sich konsistente Gesamtsystem-Szenarien simulieren und die Auswirkungen von exogenen (beispielweise politischen oder regulatorischen) Rahmenbedingungen oder Technologieentwicklungen untersucht werden. Die Ergebnisse des ESMs liegen immer für alle modellierten Regionen, in hoher zeitlicher Auflösung für alle berechneten Stützjahre bis zum Jahr 2050 vor. Für Übertragungsnetzbetreiber besonders essenziell ist die explizite Abbildung des Bedarfs an Stromtransportkorridoren zwischen modellierten Regionen
Warum benutzen Übertragungsnetzbetreiber wie TransnetBW und APG ein Energiesystemmodell?
Die Stromnetzbetreiber in Deutschland und Österreich sind gesetzlich verpflichtet, das bestehende Netz nicht nur stabil zu betreiben, sondern es auch bedarfsgerecht weiterzuentwickeln. Das erfordert ein tiefgreifendes Verständnis des Energiesystems sowie der komplexen Wechselwirkungen zwischen Sektoren und Energieträgern und wie die Energiesysteme von Unsicherheiten beeinflusst werden.
Energiesystemmodelle sind wichtige Planungsinstrumente für Übertragungsnetzbetreiber, die informierte Entscheidungen für langfristige Netzentwicklung (hohe Investitionen in langlebige Anlagen) durch eine ganzheitliche Betrachtung des gesamten europäischen Energiesystems ermöglichen. Die detaillierten Analysen erfolgen mit nationalem Fokus, um europäische und sektorenübergreifende Einflüsse auf eigene Netzplanungsprozesse am besten berücksichtigen zu können.
Als Beispiel für solche Analysen können die bisher mit ESM durchgeführten Studien von TransnetBW genannt werden. Im Jahr 2020 veröffentlichte TransnetBW die Studie “Stromnetz 2050”, gefolgt von der Studie “Energy System 2050” im Jahr 2022. In diesen Untersuchungen wurde ein bedarfsgerechtes Netz unter Berücksichtigung verschiedener Entwicklungspfade des europäischen Energiesystems ermittelt. Derartige Studien erlauben es auch, europäische Planungsprozesse, zum Beispiel beim Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber Entso-E, besser analysieren und plausibilisieren zu können. Aktuell führt TransnetBW ihre dritte und bisher größte Studie, “Adequacy 2050“, zum Thema europäischer Versorgungssicherheit im Jahr 2050 durch, bei der das ESM als ein wesentliches Element in der Studientoolkette verwendet wird.
Das ESM bildet das gesamte Energiesystem unter gleichzeitiger Betrachtung aller Energieträger, sowie aller Verbrauchssektoren und ihrer Emissionen ab.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen APG und TransnetBW bei diesem Thema aus?
Um Synergieeffekte durch Wissenstransfer und Aufgabenteilung zu nutzen, arbeiten APG und TransnetBW eng in der Weiterentwicklung des ESMs zusammen. Die methodische Kooperation am selben Modellcode ermöglicht die effiziente Integration von nationalem Know-How und steigert Qualität und Aussagekraft des europäischen Modells signifikant. Die Zusammenarbeit zeichnet sich durch regelmäßige Fachaustausche und gemeinsame öffentliche Auftritte und Publikationen aus. Durch die gemeinsame Arbeit an diesem wichtigen Planungsinstrument wird der europäische Zusammenhalt gestärkt und der Mehrwert für die Partner skaliert.
Was beinhaltet das APG-Projekt „ZusammEn2040“?
Im Rahmen der Initiative „ZusammEn2040“ wird das ESM von APG in einem öffentlichen Prozess eingesetzt, um mit Expert:innen unterschiedlicher Stakeholder einen sektorenübergreifenden Austausch zu führen und Energiesystemvisionen aus unterschiedlichen Blickwinkeln quantitativ zu ermitteln. Insbesondere dient die Initiative dem Zweck, die dem Modell zugrunde liegende Datenqualität (im Kontext der Sektorenkopplung) zu verbessern sowie Transparenz und Vertrauen in den modellbasierten Ansatz zu fördern. Mithilfe des ESMs und des Prozesses „ZusammEn2040“ soll der Rahmen für strategische Netzplanungsprozesse gelegt werden.
Im Zuge der Initiative „ZusammEn2040“ wurde außerdem eine interaktive Stakeholder-Schnittstelle etabliert, welche die Dateneingabe sowie die Auswertung von Ergebnissen effizient ermöglicht. Vertreter der Stakeholder werden dabei vom Experten-Team bei APG begleitet und können bei Interesse auch eigene Energiesystemvisionen über die Website www.zusammen2040.at veröffentlichen. Mit „ZusammEn2040“ sollen eine „Best-Practice“ bei der Gesamtinterpretation von Energiesystemen und der direkten Ableitung von Visionen geschaffen und die Vernetzung zwischen den Stakeholdern gefördert werden.