Dass die Digitalisierung im Windparkbetrieb eine zunehmend wichtige Rolle spielt, darüber zeigten sich die Teilnehmer des zweiten Windenergie-Technologiekongresses in Bad Pyrmont zu Anfang der Woche einig, zu dem Automatisierungstechnologie-Zulieferer Phoenix eingeladen hatte. Von den vier Entwicklungsstufen der Zustandsüberwachung von Komponenten einer Windturbine mit Condition Monitoring Systemen (CMS) habe die Branche inzwischen die dritte erreicht, gab Matthias Finke zu Beginn des zweiten Tages gleich die Richtung vor. Der Rückblick des Senior Product Managers vom Zulieferer Leine Linde Systems: Zu Beginn ihrer Einführung in die Windparkbetriebsführung waren die CMS nur auf die Anzeige eingetretener Komponentenschäden beschränkt. Die Wartungsteams kamen und reparierten dann den Schaden. Das CMS funktionierte als Korrektiv: Es verhinderte den fahrlässigen Weiterbetrieb einer Anlage trotz Schadens, der wahrscheinlich die Zerstörung benachbarter Komponenten oder Bauteile wie Lager zur Folge haben würde. Danach nutzten die Windpark-Betriebsführer CMS auch präventiv: Die verbesserten Zustandsüberwachungsysteme konnten einen noch ungefährlichen Schaden so frühzeitig anzeigen, dass die Reparateure den Austausch der Komponente auf die ohnehin regulären Wartungseinsätze legen konnten und sich somit zusätzliche Reparatureinsätze vermeiden ließen. Auch mit Verdienstausfällen verbundene ungeplante Stillstände an windreichen Tagen verhinderte das CMS dann schon.
Jetzt habe die Branche den Status der zustandsorientierten Nutzung von CMS erreicht, erklärte Finke: Anhand durch die Sensoren der CMS aufgezeichneter Daten lassen sich Fehler im Zusammenspiel der größeren Komponenten etwa durch eine unzureichende Schmierung oder ein nicht funktionierendes Ventil oder ähnliches dank neuer Analyse-Computerprogramme erkennen. Diese filtern heraus, wo die Temperatur-, Schwingungs-, Rotations- oder etwa Dehnungsdaten vom gewünschten Normalbereich abweichen und diese Fehlfunktionen größere Komponenten bald beschädigen könnten. Zustandsorientierte Überwachung erkennt an solchen Daten aber auch, welches rechnerische Lebensalter bis zu ihrem Bruch eine Komponente durch solche Belastungen schon erreicht haben dürfte. Sie ermöglicht so, den Austausch der Komponente durch den Einkauf von Ersatzkomponenten rechtzeitig vorzubereiten oder zur Not, den Betrieb der Anlage zur Schonung der Komponente in bestimmten Windsituationen zu drosseln.
Nächste (4.) Entwicklungsstufe bei CMS: Proaktive Analyse
Eine Proaktive Analyse der CMS-Daten wäre die angestrebte nächste Phase, betonte Finke: Durch die lastorientierte Steuerung der gesamten Anlage – an den Betriebslasten der wichtigen Komponenten orientiert – lassen sich die Austauschintervalle für sie verlängern. Auch eine mögliche Erhöhung der Erträge der Anlage sieht die Branche dadurch für die Zukunft als eine Chance.
Finke verwies auf eine Umfrage des Bundesverbandes Windenergie (BWE), die Branchenunternehmen die Frage nach ihrem Verständnis der Digitalisierung in der Betriebsführung und nach der daraus folgenden Aufgabe gestellt hatte. Die Antwort lautete, die CMS seien dahin schnell weiter zu entwickeln, dass sie eine intelligente Steuerung oder Betriebsführung ermöglichten.
Eine virtuelle Kopie der physischen Welt durch sogenannte „cyberphysische Systeme“ müsse daher die Aufgabe der Digitalisierungszulieferer sein, sagte Finke. Diese neuen Systeme bilden demnach eins zu eins die zu erwartenden idealen Betriebszustände eines Windparks oder einer Windenergieanlage gemäß gerade vorherrschender Wind- und Wetterverhältnisse oder gar noch dem Alterszustand der Anlagen in Echtzeit ab. Ein in die Steuerung integriertes Rechenprogramm simuliert damit, welche Zustände an den einzelnen Komponenten herrschen müssten – und lässt die Diskrepanz zu den wirklichen Zustandsdaten aus den CMS erkennen. Die intelligente Steuerung würde schließlich automatisiert darauf reagieren und durch lastorientierte Fahrweise die Kurven wieder annähern oder Reparaturbestellungen an die Wartungsteams versenden.
Solche cyberphysischen Systeme sind bereits tatsächlich in manche Windenergieanlagen oder Windparksteuerungen eingebaut. Erste Windturbinenhersteller wie GE oder auch Siemens bewerben diese Systeme.
Sensoren müssen sich selbst überwachen
Doch laut Finke kann die vierte Evolutionsstufe erst dann funktionieren, wenn sich eine weitere derzeit erst eingeführte Innovation durchsetzt: Die automatische Überwachung der Sensoren durch sich selbst. Solche Produkte bringe nun etwa Leine Linde Systems auf den Markt. Der Pitch-Schleifring ADSR beispielsweise oder ein Absoluter Drehgeber Exl 13xx oder auch Rotor-Drehzahlmesser können das laut Finke schon: Messsysteme, die der Steuerung genau Auskunft darüber geben, inwiefern der Rotor seine Rotationsgeschwindigkeit entlang der vorgesehenen Leistungskurve hält, die eine genaue Kommunikation und damit Steuerung mit der Blattsteuerung ermöglichen oder die jeweils die Positionen in Blatt- und Gondelverstellung eindeutig anzeigen. Die Selbstüberwachung der Sensoren lasse schon deren Ausfall bis zu drei Monate vorab erkennen, so das Fazit Finkes.
Auch der Einbau von jeweils vier digitalen Dehnungssensoren in die Rotorblattwurzelbereiche einer Windenergieanlage sei bereits sinnvoll, betonte Finke. Mit einer hohen Präzision von Dehnungsänderungen ab 0,025 Mikrometer – bei einem Messbereich von bis zu 5000 Mikrometer vom Normalspannungszustand des Dehnungssensors in die eine oder andere Richtung – gäben diese Blatt-CMS schon wertvolle Informationen. Änderten sich die Dehnungsverhalten der vier Sensoren im Verhältnis zueinander oder nähmen die Dehnungen insgesamt plötzlich zu – verweist dies demnach eindeutig auf eintretende Zermürbungen des Blattmaterials oder Fehlfunktionen des Blattverstellsystems Pitch.
Selbst Schaltschränke geben Auskunft
Auch vermeintliche Randkomponenten von mittelständischen Zulieferern wie Schaltschränke erhalten in der künftigen Industrie-4.0-Welt des Windparkbetriebs damit eine wichtige Kontrollaufgabe: Dort eingebaute Temperatur- oder Stromkontrollsysteme zeigen die Gefahr von Ausfällen elektronischer und elektrischer Komponenten an, wie eine Präsentation des Schaltschrankzulieferers Rittal verdeutlichte. Auch die mit den Schaltschrankzulieferern kooperierende Klimatisierungs-Firma Elmeko kann die Herausforderung verdeutlichen. So beschrieb Elmeko-Prokurist David Streit, dass bei 19 Prozent aller Schaltschränke Kurzschlüsse in der Luftführung auftreten. Zudem seien in 50 Prozent der Fälle manche Klimatisierungskomponenten überdimensioniert, befänden sich zu kühlende Bauteile auch gar nicht im Kühlungsluftstrom.
Laut Streit müssten die Kunden für die richtige Schaltschrankklimatisierung die Luftkühlung im Schrank durch eine virtuelle Simulation vorweg simulieren – um die Kühlung richtig zu dimensionieren oder die Schaltschrank-Bauteile in die richtige Luftströmung zu setzen. „Wir brauchen uns über das Internet der Dinge keine Gedanken machen, so lange handwerkliche Fehler“ noch so häufig vorherrschten, sagte Streit.
Wie eine proaktive Betriebsführung und Wartung mit gutem CMS vielleicht schon bald aussehen kann, verdeutlichte Christian Pagel. Der Projektingenieur beim Stadtwerke-Dienstleistungskonzern und Stromerzeugungsunternehmen Steag verwies auf Pilotversuche und eine daraufhin neu gestartete Dienstleistung für Predictive Monitoring des nordrhein-westfälischen Unternehmens.
Steag setzt auf neuronale lernende Datennetze
Mittels der zugänglichen Daten aus dem allgemeinen Betriebsführungssystem Scada hat Steag demnach eine Methodik verfeinert, deren Kürzel KPI für den Aufbau von sogenannten neuronalen und damit selbstlernenden Datennetzen steht. Das KPI ist eigentlich eine Rechenmethode zur Gegenüberstellung von Istwert und Referenzzustand aus der virtuellen Windparksimulation. Doch mit dem KPI – dem Darstellen des Verlaufs von Abweichungen vom idealen Betriebszustand – können intelligente Steuerungen mit hoher Wahrscheinlichkeit bevorstehende Schäden voraussehen – und zugleich verfrühte oder Fehl-Alarme vermeiden. Die mathematische Methode des KPI zeigt demnach an, wo Ausschläge der Messwerte oder auch nur einmalige größere Abweichungen nur darauf hinweisen, dass das neuronale Netz bestimmte äußere Umstände wie Wetter, Klima oder Lastsituation noch nicht einkalkuliert hat. Das ist dann anhand kurzer Ausschläge zu erkennen. Oder wo sie auf sich ausbildende Fehlfunktionen verweisen – wenn die Abweichungen sich allmählich oder auch schnell und zugleich nachhaltig verstärken.
Fallstudien bei Steag hätten gezeigt, wie die Predictive-Monitoring-Methoden schon Wochen vor dem Hinweis aus der Windparkbetriebssoftware durch gewöhnliches CMS auf Fehler aufmerksam gemacht hatten, betonte Pagel. Hätten die Wartungen dann sofort stattgefunden, hätten sich konservativ gerechnet Erzeugungsausfälle in zwei Beispielwindparks von 75 und 185 Megawattstunden (MWh) vermeiden lassen. Bei optimistischer Rechnung hätte das Predictive Monitoring sogar bis zu 150 und 370 MWh mehr erzielen lassen.
Voraussetzung für das Predictive Monitoring ist laut Pagel die Vorbereitung des neuronalen Datennetzes, das durch das Aufspielen der Idealzustands-Betriebsdaten und der Lastzustände des Windparks vorab geschult werden muss. Diese Dienstleistung könne einen Zeitraum von einigen Wochen in Anspruch nehmen, betonte Pagel. Als Dienstleistung wolle Steag dies nun auch für Drittkunden anbieten.
(Tilman Weber)