Ein 100-Meter-Messmast ziert die abgelegene Lichtung im Mittelgebirge von Rheinland-Pfalz. Er sammelt Daten in einem unerschlossenen Windgebiet. 580 bis 640 Meter über Null sollen hier bis zu 20 Windturbinen entstehen – auf 140 Meter hohen Masten. Doch für dieses Vorhaben genügt der Messmast nicht. Wer auf dem bewaldeten Bergrücken in 100 Meter Höhe auf 140 Meter schließen will, muss hohe Unsicherheiten in Kauf nehmen.
„Wir haben für drei Monate ein Lidargerät neben dem Mast aufgestellt. Es hat eine starke Zunahme der Windgeschwindigkeit bestätigt und die Unsicherheiten maßgeblich verringert“, sagt Jörn Parplies, Leiter der Abteilung Site Assessment bei der Juwi Energieprojekte GmbH. Schon heute nutzt Juwi vier Lidargeräte, um in komplizierter Umgebung Gewissheit über die Windverhältnisse zu bekommen. Vier eigene Geräte betreibt das Unternehmen aktuell. Bisher hauptsächlich zur Ergänzung der Mastmessung – künftig aber soll die Technik die riesigen Spezialmasten ersetzen.
Lidarmessgeräte senden einen Laserblitz aus, der von kleinen Luftteilchen zurückgestreut wird. Anhand der windgeschwindigkeitsabhängigen Frequenzverschiebung, die bei der Reflektion des Strahls auftritt, erkennt das Gerät Windgeschwindigkeit und -richtung in verschiedenen Höhen. Zwar fehlt der Technik noch die finale Akzeptanz durch Gutachter, Banken und Investoren. Ihre Vorteile aber sind so groß, dass es sich lohnt, die Technologie so früh wie möglich zu beherrschen – und bereit zu sein, wenn der kommerzielle Einsatz grünes Licht bekommt. „Dann spart uns die Technologie langwierige Genehmigungsverfahren für die Errichtung der Messmasten“, sagt Jörn Parplies. Lidarmessungen sollen nach seiner Einschätzung ohne Eingriffe in die Natur auskommen und zuverlässige Messergebnisse in Höhen bis 250 Meter liefern. Problemlos lässt sich gleichzeitig in verschiedenen Höhen messen und am Ende der Messkampagne der Standort wechseln. Juwi setzt die Geräte an zwei Standorttypen ein. Gebiete mit komplexem Terrain wie Wälder und Mittelgebirgslagen sind für Messmasten schwer zugänglich und daher prädestiniert für die Technik. Hilfreich ist sie auch dort, wo die Windverhältnisse weitgehend unbekannt sind – etwa in Süddeutschland. „Wir haben erstklassige Erfahrungen mit der Messgenauigkeit und mit der Datenverfügbarkeit gemacht“, sagt Parplies. Nur: Knifflig wird die Qualitätssicherung im komplexen Gelände, für das die Technik logistisch gut geeignet ist. Juwi ist Tester einer Zusatzoption des Herstellers Leosphere, die eine Standortkorrektur der Messdaten im Gerät vornimmt. Zudem ist Juwi in Forschungsprojekten etwa mit dem Fraunhofer Iwes aktiv.
Tücken komplexer Gelände
Das Fraunhofer Iwes betreibt seit einem Jahr die aufwändigste Vergleichsmessung zwischen Lidar und Windmessmast: Dazu hat es am Rödeser Berg in Hessen einen 200 Meter hohen Mast aufgestellt. Er liefert die Vergleichsdaten zur Prüfung der Messgenauigkeit des Lidarsystems. Eine wichtige Erkenntnis bisher: „Die Messungenauigkeiten sind richtungsabhängig“, sagt Projektleiter Doron Callies. Rund um den Messpunkt ist das Gelände unterschiedlich steil. „Kommt der Wind aus einer Richtung, wo das Gelände komplex ist und sich stark ändert, sind die Messfehler am größten“, sagt Callies. Pro Messrichtung liegt die Fehlertoleranz zwischen einem und fünf Prozent.
Nach einer Bereinigung der Daten mit den standortspezifischen Korrekturparametern erreichen die Forscher aktuell eine mittlere Messgenauigkeit von 99 Prozent im Vergleich zur Messmastmessung. Die nötigen Korrekturparameter kann eine Strömungssimulation liefern. Sie wird mit Daten zum Geländeprofil und der Bodenbedeckung gefüttert, anschließend überzieht ein simulierter Windstrom das Gebiet. So lassen sich Besonderheiten in der Strömung zur Korrektur der Lidardaten ermitteln. Ohne Vergleichsmessungen bleibt allerdings eine Unsicherheit: „Man kann schwer sagen, wie genau die Korrektur ist“, sagt Callies.
Da sich die Erkenntnisse aus der einzelnen Messkampagne am Rödeser Berg nicht ohne Weiteres verallgemeinern lassen, arbeitet das Iwes mit mehreren Betreibern zusammen, um Daten an weiteren Standorten mit Messmast und Lidarsystem zu sammeln. „Wir wollen herausfinden, wie zuverlässig Strömungssimulationen und Korrekturfaktoren sind“, sagt Doron Callies. Bis zum Projektende 2014 sollen die Vergleichmesskampagnen abgeschlossen sein.
Alternative zur Hochrechnung
Bisher gilt: Je ebener das Gelände und je höher die Turbine, desto gleichmäßiger weht der Wind, was die Fehlerquote stark reduziert. Deswegen lässt sich die Lidartechnik auch relativ einfach in bereits erschlossenen Windgebieten nutzen. Dort bedient man sich zurzeit kaum der aufwändigen Windmessung. Man nutzt stattdessen den Vorteil vieler Bestandsanlagen. „Auf Basis der Betriebsergebnisse bereits in der Umgebung bestehender Turbinen lässt sich die Qualität benachbarter Windstandorte bestimmen“, sagt Anselm Grötzner, Senior Consultant Wind Assessment beim Gutachter- und Beratungsbüro Cube Engineering. Doch ist dieser Komfort mit großen Unsicherheiten verknüpft. Während heutige Anlagen Nabenhöhen bis 140 Meter haben, stehen Altanlagen oft nur auf 65 bis 80 Meter hohen Türmen. „Die Hochrechnung der vorhandenen Winddaten birgt pro zehn Meter Höhe eine Unsicherheit von mehr als einem Prozent“, sagt Grötzner. Hier könnte eine Lidarmesskampagne für Sicherheit sorgen. Cube Engineering will die Technik in Kooperation mit dem Iwes nun kommerziell für Windgutachten anbieten. Messung und Korrekturen würden dabei vom Fraunhofer Institut durchgeführt, Cube würde auf der Datenbasis das Windgutachten erstellen.
Wann Lidar einer konventionellen Messung vorzuziehen sein wird, entscheidet laut Grötzner der Einzelfall. Windmessungen empfiehlt er generell im komplexen Gelände oder dort, wo es keine Vergleichsdaten gibt. „Bei der Wahl des Messverfahrens muss man Zeitaufwand gegen Preis abwägen. Die Mastmessung braucht oft ein Jahr Vorlauf für die Baugenehmigung“, sagt Grötzner. Lidar ist sofort messbereit im Zielort – das Gerät allein kostet aber zwischen 100.000 und 200.000 Euro.
Was nun noch fehlt, ist die Akzeptanz bei Investoren und Kreditgebern. Alle Windgutachten müssen in Deutschland gemäß den Vorschriften der Technischen Richtlinie Teil 6 der Fördergesellschaft Windenergie durchgeführt werden. Die Lidartechnik ist darin bisher nur als unterstützende Messmethode zugelassen. „Aktuell ist eine Revision der Richtlinie in Arbeit“, sagt Anselm Grötzner. Mit ihr könnte die Technologie ihre Zulassung für Deutschland erhalten und den Markt erobern. (Denny Gille)
Dieser Artikel ist in der Juli-Ausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN erschienen. Wenn Ihnen unsere Print-Artikel gefallen, bestellen Sie ein kostenloses Probeabo unter www.erneuerbareenergien.de/probeheft/150/551/28667/.