In der Debatte um die Novellierung der europäischen Umweltrichtlinie RoHS haben sich weitere Stimmen zu Wort gemeldet. „Es ist nicht einzusehen, dass ausgerechnet die Photovoltaik unter diese Richtlinie fallen soll“, kritisiert Thomas B. Johansson, Professor an der Universität in Lund, in einer Umfrage der Fachzeitschrift ERNEUERBARE ENERGIEN. „RoHS ist nicht für Energietechnik gemacht, sondern für elektronische Haushaltsgeräte.“ Streitpunkt in Brüssel sind Schwermetalle wie Blei oder Cadmiumtellurid, die in Solarmodulen, Wechselrichtern und Solarakkus stecken. „Natürlich dürfen die Schwermetalle aus den Solarmodulen nicht in die Umwelt gelangen“, sagt Johansson. „Aber bislang gibt es keinen Beweis, dass metallisches Cadmium freigesetzt wird.“ Er warnt davor, die junge Technologie durch überzogene Auflagen abzuwürgen. „Kohlekraftwerke emittieren viel mehr Cadmium, als aus Solarmodulen theoretisch denkbar wäre. Für sie gilt RoHS nicht.“ Auch Sonnenbrillen oder weiße Leuchtdioden sind von RoHS befreit, obwohl sie Cadmiumoxid zur Antireflexbeschichtung nutzen, oder um die Brillanz des weißen Lichts zu verbessern. Johansson sagt: „Wenn wir schon über Cadmiumtellurid reden, dann wäre das eher eine Sache für die Richtlinie der in der Fertigung verwendeten Chemikalien.“ Diese Richtlinie – REACH – verpflichtet die Hersteller der meisten Industriezweige, bestimmte gefährliche Stoffe zu deklarieren und zu minimieren. In REACH sind Cadmium und seine Verbindungen bislang nicht aufgelistet. „Aus Sicht eines Umweltforschers mache ich mir eher Sorgen um Blei, Silber, Zink oder Kupfer aus den Solarmodulen“, ergänzt Johansson. „Darüber wissen wir fast nichts.“
Ein Abprodukt erzeugt Solarstrom
Wolfram Jaegermann von der Universität in Darmstadt argumentiert, dass Cadmium ein Abprodukt der Zinkverhüttung ist. Seine fachgerechte Entsorgung aus den Minen sei kaum kontrollierbar. „Was können wir besseres damit machen, als es in Glas einzuschließen und zur Stromerzeugung zu nutzen?“ Da es in Verbindung mit dem sehr seltenen Tellur genutzt wird, sei ein starker ökonomischer Anreiz für das Recycling gegeben. „Diese Solarmodule werden in einem geschlossenen Kreislauf gehandelt, die Rücknahme und das Recycling sind gesichert“, urteilt Jaegermann. Befürchtungen, dass mit den Solarmodule massenhaft Giftmüll auf deutsche Dächer käme, teilt er nicht: „Es gibt keine Studien, die das belegen, weder für Siliziummodule noch für Cadmiumtellurid. Außerdem werden Module aus Cadmiumtellurid fast ausschließlich in großen Solarkraftwerken auf der freien Fläche verwendet.“ 85 Prozent aller Solarmodule sind kristalline Siliziummodule, sie beherrschen den Markt für Dachanlagen fast vollkommen. 15 Prozent gehören zu den Dünnschichtmodulen, darunter Paneele mit Kupfer, Indium, Gallium und Schwefel oder Cadmiumtellurid als fotoaktivem Halbleiter.
Alle an einen Tisch
Auch Heinz Ossenbrink, Experte für erneuerbare Energien in Ispra, sieht keine Beweise für eine Gefährdung durch Solarmodule. „Mit Temperaturen von 1.300 Grad Celsius im Labor oder starker Säure kann man die realen Verhältnisse in der Natur nicht abbilden“, kritisiert er jüngste Studien, die im Auftrag einiger Siliziumproduzenten entstanden. „Solche Temperaturen werden bei einem Brand im Freien nicht erreicht, und mit Säure kann man keinen sauren Regen simulieren. Da muss man sehr vorsichtig sein.“ Ossenbrink regt breit angelegte und unabhängige Studien an, um die tatsächliche Blei, Zink, Kupfer, Silber oder Cadmium in Solarmodulen zu ermitteln. Er sagt: „Gesichert ist bisher, dass man aus der Toxizität von Cadmium nicht automatisch auf Cadmiumtellurid schließen kann. Auch ist bekannt, dass unter natürlichen Bedingungen kein Cadmium aus den Modulen entweicht.“ Metallisches Cadmium gilt als krebserregend. Cadiumtellurid ist ein extrem stabiles Salz des Schwermetalls. In Versuchen mit Ratten hatten Wissenschaftler herausgefunden, dass es mindestens tausend Mal geringer toxisch ist als das Metall. Ossenbrink fordert die Solarindustrie auf, die Forschung in einer gemeinsamen Initiative aller Hersteller und Technologien voranzutreiben. „Es hat überhaupt keinen Sinn, sich die Studien gegenseitig um die Ohren zu hauen“, sagt er. „Das bringt uns nicht weiter.“
Gibt es Alternativen?
Jürgen Werner von der Universität Stuttgart verteidigt seine Forderung, Schwermetalle in der Solartechnik durch RoHS auszuschließen - falls es dafür Alternativen gibt. Ein Beispiel seien die Solarakkumulatoren, in denen der Solarstrom gepuffert wird, wenn er nicht ins Netz eingespeist werden kann: „Bei Solarakkus aus Blei sollte man schauen, ob es Alternativen gibt. Wenn ja, gehören sie auch in die Richtlinie.“ Das Hauptproblem für Jürgen Werner sind die Schwermetalle in den Solarmodulen. „Beispiele sind das Blei im Lötzinn oder Blei und Cadmium in der Siebdruckpaste für die Metallisierung“, zählt er auf. „Dort werden sie als Flussmittel verwendet. Einige CIGS-Hersteller nutzen Cadmiumsulfid als Pufferschicht. Und Cadmiumtellurid wird in bestimmten Dünnschichtmodulen als Halbleiter verwendet.“ Werner urteilt: „Man kann Blei oder Cadmiumverbindungen in der Photovoltaik durchaus ersetzen, außer in den Cadmiumtelluridmodulen.“
Dass es zu Cadmiumtellurid als Halbleiter bislang keine echte Alternative gibt, davon ist Wolfram Jaegermann aus Darmstadt überzeugt. „Unser Institut forscht schon lange an diesem Material“, berichtet er. „Ohne Cadmiumtellurid wären wir niemals von den hohen Solarpreisen heruntergekommen. Diese Technologie hat sehr großen Spielraum für Verbesserungen. Allein beim Wirkungsgrad sind bis zu dreißig Prozent mehr drin, bei den Kosten ist längst nicht das Ende erreicht.“
Recycling gesichert
Mariska de Wild-Scholten vom Forschungsinstitut ECN in den Niederlanden sieht gleichfalls keine Gefahr durch Schwermetalle, weder bei kristallinen Siliziummodulen noch bei der Dünnschicht. Der Grund: „Niemand kann es sich leisten, die wertvollen und seltenen Materialien in den Solarmodulen zu verschwenden.“ Sie verweist auf PV Cycle und die Anstrengungen der Solarindustrie, die Module wiederzuverwerten: „PV Cycle hat ein europaweites Rücknahmesystem aufgebaut“, berichtet sie. „Sunicon und First Solar verfügen über Pilotlinien, um die Module zu recyceln Wir brauchen deshalb nicht zu befürchten, dass die Solarmodule in der Natur oder auf Müllhalden verrotten.“ Wie ihr schwedischer Kollege Thomas Johansson fordert sie, Solartechnik mit anderen Energietechnologien oder Kraftwerken gleichzustellen, nicht mit elektronischen Haushaltsgeräten.
USA setzen auf Cadmiumtellurid
Von den Debatten in der Alten Welt weniger berührt ist Vasilis Fthenakis, Professor an der Columbia Universität in New York und Chef der Solarforscher am renommierten Brookhaven Labor in Upton: „Mit Cadmiumtellurid hat First Solar die Kosten für Photovoltaik gesenkt, wie es mit Silizium unmöglich gewesen wäre“, schätzt er ein und verweist auf Analysen aus den USA. „Wir haben die Lebensdauer und den ökologischen Fußabdruck aller Solartechnologien untersucht. Cadmiumtellurid schneidet nicht nur beim Preis und den Umweltauswirkungen am besten ab, sondern hat auch das größte Potenzial, die Netzparität schnell zu erreichen.“ Deshalb bauen die Vereinigten Staaten derzeit riesige Solarparks im Südwesten auf, fast ausschließlich mit Solarmodulen aus Cadmiumtellurid. „Fast eine halbe Milliarde Dollar flossen in den Ausbau der Werke für diese Technologie“, rechnet Fthenakis vor. Er spielt damit auf großzügige Kredite an, die die Obama-Regierung beispielsweise Abound Solar in Colorado gewährt hat. Fthenakis resümiert: „Für uns ist Cadmiumtellurid die beste Technologie, um die Solarenergie so schnell wie möglich konkurrenzfähig zu machen.“ (hs)