Prof. Dr. Paul Scherer von der HAW und sein Team entwickelten in den letzten Jahren die Grundlage für eine vollautomatische Fuzzy-Logikregelung zur Vergärung von Speiseresten und saurer Rübensilage für Biogasanlagen im Labormaßstab. An der Fachhochschule Nordhausen wurde im Jahr 2005 unter Leitung von Prof. Dr. Gerd-Rainer Vollmer ein 1 m³ Versuchsbiogasanlage installiert und zu Forschungszwecken in Betrieb genommen. Beide Hochschulen verknüpften in einem von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. geförderten Forschungsvorhaben ihr Wissen und entwickelten an der 1m³ Versuchsanlage die Hamburger Fuzzy-Logikregelung weiter. Mittels Teleüberwachung via Internet, und unter Anwendung der Fuzzy-Logikregelung wurde die Versuchsanlage in Nordhausen während der 3 ½ jährigen Projektlaufzeit zu einer Hochdurchsatzbiogasanlage ausgebaut, sodass mit Hilfe der neuen Regelstrategie unter betriebssicherer Prozessführung bei Monovergärung von Triticale, eine Getreidekreuzung aus Roggen und Weizen, Raumbelastungen von ≥ 9 kg oTS/m³/d möglich sind. Dies entspricht einer dreifach höheren Raumbelastung als bisher prozesssicher in landwirtschaftlichen Biogasanlagen bei alleiniger Getreidevergärung dauerhaft erreichbar ist. Gesamtziel des Vorhabens war es, die im Labormaßstab entwickelte Fuzzy-Logikregelung in den kleintechnischen Maßstab umzusetzen und zu optimieren.
Einleitung
2009 erzeugten in Deutschland etwa 4.500 Biogasanlagen Strom aus Gülle und nachwachsenden Rohstoffen. Für das Jahr 2010 prognostiziert der Fachverband Biogas e.V. die Installation von weiteren 900 Anlagen [1]. Bereits jetzt kann davon ausgegangen werden, dass etwa 10 % der Biogasanlagen in Deutschland ohne Zugabe von Gülle betrieben werden.
Neben anderen Prozessgrößen ist die im Fermenter vorherrschende Pufferkapazität ein wichtiges Maß zur Beurteilung des Biogasprozesses. Sie gibt Auskunft darüber, inwieweit eine Versäuerung, d.h. ein starkes Abfallen des pH-Wertes des Fermenterinhaltes, infolge einer dauerhaft hohen Substratzugabe „abgepuffert“ werden kann. Bei geringen Pufferkapazitäten muss die Substratzugabe vorsichtig erfolgen, um einer möglichen „Überfütterung“ entgegenzuwirken. Substrate, sprich Nachwachsende Rohstoffe (NawaRo´s) mit einem geringen Stickstoffgehalt wie z.B. Rübensilage, Weizen und Mais besitzen eine geringe Pufferkapazität. Daher wäre es unter der Verwendung von Nawaro´s als Monosubstrat ohne Gülle oder Branntkalk sinnvoll, einen regelbaren, automatisierten Biogasprozess verfügbar zu haben, um das Betriebsrisiko einer möglichen Übersäuerung des Fermenters zu minimieren und einen Hochdurchsatz mit permanent hoher Auslastung zu ermöglichen. Die Automatisierung im Rahmen der Biogaserzeugung mit einer Teleüberwachung und Teleregelung gewinnt daher immer mehr an Bedeutung [2]. Die Fuzzy-Logikregelung wurde insbesondere in den 90er Jahren entwickelt und findet in so bekannten Konsumgütern wie dem ABS-Bremssystem oder einer wassersparenden Waschmaschine oder einem Geschirrspüler allgemein Anwendung [3, 4].
Fuzzy-Logikregelung
Für eine effizientere Raumzeitausbeute bzw. bessere Auslastung einer Biogasanlage, aber auch zum Erlangen einer sicheren Betriebsweise, kann man einen Feed Back-Regler an das System anschließen. Fuzzy-Logik-Regler nutzen exakt messbare Prozessparameter, denen entsprechende linguistische Variablen und damit umgangssprachliche (unscharfe) Werte zugeordnet und individuell per Expertenwissen verknüpft werden. [3]. Das heißt, die Fuzzy-Logik lässt Aussagen zu wie „die Gasproduktionsrate ist sehr hoch“ oder „die Gasproduktionsrate ist mittel“. In der Fachsprache werden die Aussagen „sehr hoch“ und „mittel“ als linguistische Variabeln bezeichnet.
fuzz2 Abbildung 1: Schema zur Erklärung des Prinzips eines Fuzzy-Logik-Reglers (FLC) für eine Biogasanlage nach Literatur [2]. A, B, C stehen für verschiedene Prozessparameter.
Abb.1 zeigt das Konzept der Fuzzy-Logikregelung. Am Eingang der Steuerung werden den gemessenen Werten in der Fuzzyfizierung linguistische Variablen zugeordnet. Anschließend werden aus diesen, auf Basis verschiedener festgelegter Regeln, Ausgangssignale erzeugt. Bei der Defuzzyfizierung entsteht dann aus dem unscharfen Fuzzy-Ausgangssignal ein scharfes Signal für ein Steuerglied, in diesem Fall für die Substratzufütterpumpe. [4]
Auf Basis der drei an landwirtschaftlichen Biogasanlagen konventionell zugänglichen Messparameter pH-Wert, Methananteil im Gas und spezifische Gasproduktionsrate (spez. GPR) regelt die im Vorhaben weiterentwickelte und optimierte Fuzzy-Logikregelung die Substratzufuhr für die Versuchsbiogasanlage. Neu gegenüber anderen Regelungen ist als Regelparameter die spez. GPR. Die Fuzzyregelung berechnet jeweils 30 Minuten vor jedem Beschickungsvorgang die Beladungsrate (Organic Loading Rate, OLR). Die berechnete Substratmenge wird dann automatisiert über die Substratpumpe dem Fermenter zugeführt.
Mess- und Untersuchungsprogramm
Die Versuche und Untersuchungen erfolgten parallel an den Laborfermentoren der HAW Hamburg und der Versuchsbiogasanlage der Fachhochschule Nordhausen. Über Fernüberwachung und Prozessregelung via Internet, genannte Telefermentation, wurden die an der Biogasanlage der FHN erfassten Daten online zum Projektpartner nach Hamburg übertragen. Ein schnelles Eingreifen und Anpassen der Regelung in der Phase der Feineinstellung war somit gewährleistet.
fuzz3Abbildung 2:
Schema der Fernüberwachung und Prozessregelung zwischen HAW Hamburg und FHN Nordhausen. Diese wird durch ein Fuzzy-Logik-Regelsystem für anaerobe Vergärung betrieben, welches an der HAW entwickelt wurde.
Die vollautomatische Versuchbiogasanlage der Fachhochschule Nordhausen ist in Thüringen bisher einzigartig. Sie dient neben der Forschung entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Biogastechnologie zudem als Anschauungs- und Lernobjekt für die Studierenden der drei Ingenieursstudiengänge Umwelt- und Recyclingtechnik, Regenerative Energietechnik und Technische Informatik. Im Wesentlichen besteht die Anlage aus den Komponenten Vorlagebehälter (2,5 m³), Rührkesselreaktor (1 m³), Auffangbehälter (2,5 m³), Substratpumpe, Wärmetauscher, Heizwassererwärmung, Biofilter, Steuerungs- und Messtechnik, Pumpaggregate, Verrohrung und Schieber. Der Fermenter wurde zu Beginn der Versuchsreihe mit 1 m³ vergorener Gülle befüllt. Als Betriebsweise wurde der mesophile Temperaturbereich
(T= 38°C) gewählt. Die erzeugte Biogasmenge wurde über Präzisionsgaszähler (GMT 2.5, 1 Impuls/10 l Gas) erfasst, die Gaszusammensetzung (CH4, CO2, H2S) kontinuierlich gemessen. Weitere online- Messungen waren der pH-Wert, die Temperatur und das Redoxpotential (erwies sich als zu ungenau). Zudem wurde die Drehzahl der Rührwerke sowie die Pumpenfördermenge automatisch erfasst und war spezifisch über die Messtechnik regelbar.
Die Ausgangssubstrate, der Fermenterinhalt und die Endprodukte wurden auf verschiedene Parameter (Trockensubstanz, organische Trockensubstanz, kurzkettige Karbonsäuren, TOC, Stickstoff, Ammonium-Stickstoff, Phosphor etc.) offline analysiert. Für die Ausgangssubstrate erfolgte die Analytik in Monatsmischproben, für TOC und die Nährstoffe im Ablauf. Die Karbonsäuren, Trockensubstanz und organische Trockensubstanz wurden wöchentlich, der FOS/TAC-Wert anfangs wöchentlich, teils täglich erfasst. Es kam eine Spurenelementlösung gemäß des DSMZ-Mediums 144 zur Anwendung (H. Weiland, persönl. Mittg., www.dsmz.de)
In der ersten Versuchsreihe wurden die Abbauraten bei steigender Fermenterbelastung und Kontrolle der Belastungssteigerung ohne Fuzzy-Logikregelung betrachtet, um später mit Fuzzy-Logikregelung den Unterschied zu testen. Die Fermenterbeschickung, Triticale und Wasser im Verhältnis 1:2, erfolgte zu dieser Zeit stoßweise und einmal täglich per Hand über ein am Fermenter angebrachtes Beschickungsrohr. Parallel zu dieser Versuchsreihe wurde an der Anpassung der Fuzzy-Logikregelung gearbeitet.
Die zweite Versuchsreihe startete im Anschluss an die Anbindung der Fuzzy-Logikregelung an die Steuerung (SIMATIC S7 Programmable Logic Controller) und einer kurzen Testphase. Wie in der Testphase wurde die Versuchsanlage nun automatisiert mit Triticale beschickt. Die Beschickung erfolgte jetzt alle 8 Stunden mit Medium (Substrat und Wasser) aus dem Vorlagebehälter in den Fermenter. Entsprechend der Vorgehensweise bei einer großtechnischen Anlage wurde täglich Medium aus dem Auffangbehälter zurückgepumpt.
Ergebnisse
Während der ersten, ungeregelten Versuchsreihe wurde die Beladungsrate OLR schrittweise erhöht (21. Mai ─ 1.5, 31. Mai ─ 1.7, 25. Juni ─ 3.0, 5. Juli ─ 4.2, 10. Juli ─ 4.5, 20. Juli ─ 6.3 kg TS/m³/d). Der pH-Wert blieb anfangs durch die hohe Pufferkapazität (über 4000 ppm NH4) der zur Befüllung verwendeten Fermetergülle einer Kovergärungsanlage für Schweinegülle, Maissilage und Triticale ziemlich konstant. Erst nach Erhöhung der Beladungsrate auf 6.3 kg TS /m³/d fiel er ab. Die Gasproduktion stieg jedoch weiter an. Daher ist die absolute Gasproduktion GPR (m³ Biogas/ m³ Reaktorflüssigkeit) kein aussagekräftiger Prozessparameter. Die GPR nahm noch zu, als die Säure-Werte bereits auf einige 1000 ppm gestiegen waren. Also kann neben pH-Wert und Methananteil nur die spez. GPR (GPR/OLR/d) als Steuerparameter benutzt werden [2, patentiert]. Ohne Fuzzy-Logikregelung konnte die Grenzbelastung lediglich sehr kurzfristig von 6,3 kg oTS/m³/d erreicht werden. Eine Versäuerung des Fermenters mit einhergehendem pH-Wert-Einbruch und daraus resultierender eingestellter Gasproduktion war die Folge.
In einer zweiten Versuchsreihe konnte unter Verwendung und stetigen Anpassung der Fuzzy-Logikregelung bisher prozesssicher eine Beladungsrate von 9 kg oTS/m³/d realisiert werden. Eine Begrenzung nach oben ist möglich, aber aufgrund der Regelung nicht unbedingt notwendig.
Die im Vorhaben angewendete Fuzzy-Logikregelung kann an bestehenden landwirtschaftlichen Biogasanlagen ohne Umbaumaßnahmen nachgerüstet werden, soweit die vorhandene Steuerung (SIMATIC) bereits die im FLC-Konzept enthaltenen Prozessparameter online erfasst. Die Regelung lässt sich auch über das Internet an einem handelsüblichen PC verfolgen.
Danksagung: Wir danken der FNR e.V. für die finanzielle Unterstützung des Forschungsvorhabens, Förderkennzeichen 22010405
Literatur
[1] Fachverband Biogas e.V.: Aktuelle Branchenzahlen Biogas (Stand Anfang November 2009)
[2] Scherer, P., Ergun, S. O. Schmidt, J. Löffelholz, J. Henning-Jacob, G.-R.Vollmer (2008): Entwicklung einer Fuzzy-Logik-Regelung für eine Hochdurchsatzbiogasanlage: „Telefermentation“ zwischen Hamburg und Nordhausen. In: Gülzower Fachgespräche, S. 146-171, Druck FNR e.V, Gülzow.
[3] Bothe, H.-H. (1995): Fuzzy-Logic: Einführung in Theorie und Anwendung, 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New York
(Anja Schreiber, Prof. Dr. Gerd-Rainer Vollmer, Fachhochschule Nordhausen)