Vier Monate nach Inbetriebnahme des mit 300 Metern Länge höchsten Windmessmasts der Welt am südbrandenburgischen Standort Klettwitz können die Entwickler des Höhenwindrades ihre Innovation mit frischen Messdaten stützen: Die zwei in der regionalen Umgebung geplanten Prototyp-Windenergieanlagen mit Naben bei 280 und 300 Meter über dem Boden werden mindestens 30 Prozent mehr Wind verstromen können als Anlagen der bei neuesten Windturbinen üblichen 150 Meter Nabenhöhe. Der auf 150 Meter Höhe in Klettwitz gemessenen durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von sechs Metern pro Sekunde entsprechen auf 300 Meter Nabenhöhe mit konservativer Vorsicht analysiert 9 Meter pro Sekunde. Ein und derselbe Windenergieanlagentyp mit exakt derselben Nennleistung und 120 Meter Rotordurchmesser würde bei 300 Meter Nabenhöhe daher schon 80 Prozent mehr elektrische Energie erzeugen. Die geplanten Prototypen beider Höhenwindräder sollen allerdings die von den Entwicklern eingesetzte und vom Windturbinenunternehmen mit 3,8 Megawatt (MW) Nennleistung und 125 Meter Rotordurchmesser vertriebene Anlage im sogenannten Power-Boost bei 4,2 oder gar 4,3 MW betreiben, wie der Geschäftsführer des Innovationsunternehmens Beventum erklärt: Weil Höhenwind-Luftströmungen so fern von allen Bodeneinflüssen kaum Scherwinde in sich tragen und enorm stetig sind, will Beventum die Höhenwindkraftanlagen näher an der Leistungsgrenze des Generators des gewählten Turbinentyps betreiben, wie Geschäftsführer Martin Chaumet erklärt.
Höhenwindturbinen dürften demnach „mittelfristig auf das Doppelte der bei 150 Meter Nabenhöhe möglichen Erzeugung kommen“, sagt Chaumet und berechnet den anvisierten Jahresertrag der geplanten Prototypen mit jeweils 20 Gigawattstunden. Der Entwicklungsfahrplan sah kürzlich noch die Errichtung beider Demonstrationsturbinen bis Ende 2023 vor. Beide gemäß Beventum-Angaben „bereits komplett durchgeplanten Standorte“ standen zuletzt kurz vor der Baugenehmigung. Weil das in Leipzig ansässige junge Unternehmen mit den Grundstückseignern eines der beiden Standorte über die Pacht nicht einig wurde, suchen sich die Sachsen nun noch einen neuen zweiten Standort. Die Finanzierung beider Pilotanlagen ist offenbar durch ein Budget eines höheren zweistelligen Millionen-Euro-Betrags aus dem Etat des Bundesforschungsministeriums abgesichert.
Beventum ist ein Tochterunternehmen der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprin-D), das seit Ende 2020 existiert. Es setzt die Ideen des im Juni verstorbenen sächsischen Ingenieurs Horst Bendix um (Nachruf Seite 8), der ein Höhenwindrad auf einer Stahlrohrkonstruktion vorsah. Deren Generator sollte im Turmfuß der Anlage stecken und könnte dort sehr groß und leistungsstark ausfallen, während der Turm deutlich weniger Gewicht tragen müsste und ein schlankeres, materialsparendes Design zuließe. Riemen würden die Rotation nach unten an womöglich sogar mehrere Generatoren übersetzen. Eine Drehkonstruktion am Boden sollte die Anlage als Ganzes in den Wind stellen, was auch schwere Azimut-Drehkranzkonstruktionen oben zum Ausrichten des Maschinenhauses im Wind erübrigt.
Für die nun als kurzfristig umsetzbar geplante Anlage verzichtet Beventum auf den Riemenantrieb und setzt auf ein in Serienfertigung erhältliches bewährtes Turbinenmodell mit Generator im oberen Maschinenhaus. Den Riemenantrieb werde Beventum zunächst nur an kleineren und mittelgroßen künftigen Windenergieanlagen testen. Vorstellbar sei ein Karbonband aus Kohlefasern, sagt Chaumet. Auch den großen Drehkranz an der Turmbasis gab Beventum zunächst auf, weil dies eine Bodenfläche mit einem 100-Meter-Kreisdurchmesser belegt hätte.
Nun haben die Leipziger zwei Turmkonstruktionen im Rennen: das Gittermastmodell eines Fernleitungsstrommastes sowie ein 200 Meter hohes bereits industrieübliches Jacket. Jackets sind Unterwasser-Stahlrohrfundamente für Offshore-Windturbinen auf besonders tiefen Seeböden. Beventums Jacket soll einen 80-Meter-Stahlzylinderturm tragen.