Martin Sprötge hat mit seiner Planungsgruppe Grün aus Oldenburg Greifvögel praktisch unter Laborbedingungen beobachtet. Ein Interview.
Können Sie kurz erklären, was Sie beruflich mit Vogelflugverhalten an WEA zu tun haben?
Martin Sprötge: Unser Büro beschäftigt sich seit 1993 auf der Planungsebene mit Windenergie, bei Standortfindungen, der Bauleitplanung und in Genehmigungsverfahren. Für all diese Planungsprozesse mussten wir auch immer die naturschutzfachlichen Gutachten erstellen. Insofern haben wir uns früh mit dem Konfliktthema Windkraft versus Vogel- oder Fledermausschutz auseinandersetzen müssen.
Machen Sie auch Validierungen?
Martin Sprötge: Ja, da geht es um automatische Vogeldetektionssysteme. Diese Systeme sollen Anlagen abschalten, wenn sich ein schlaggefährdeter Vogel nähert. Mit der Erprobung derartiger Systeme beschäftigen wir uns jetzt seit 2017. Für die Validierung solcher Systeme setzen wir als Zweitsystem Laser-Range-Finder (LRF) des Typs Vector 21 Aero ein.
Bestimmen Sie damit das Flugverhalten?
Martin Sprötge: Eigentlich geht es darum zu prüfen, wie gut diese Detektionssysteme arbeiten. Und um das machen zu können, benötige ich sehr präzise Flugdaten der Vögel - zum Abgleich mit den Datenaufzeichnungen der Detektionssysteme. Das kann man mit den Laser Range Findern sehr gut, weil man durch präzise Messung dreidimensional abbilden kann, wo ein Vogel genau fliegt – wir können fast metergenau ermitteln, in welcher Höhe und wo im Raum sich ein Vogel bewegt. Die Flüge der Vögel werden mit einer Taktung von drei bis fünf Sekunden gemessen. Ein Messpunkt entspricht einer genauen Verortung des Vogels im Raum. Durch diese hohe Dichte sehr genauer Daten kann ich exakt dokumentieren, welches Flugverhalten ein Vogel in der Nähe einer Windkraftanlage zeigt.
Das haben Sie für einen Kunden gemacht?
Martin Sprötge: Wir haben das schon für mehrere Kunden gemacht. Aber der spezielle Kunde, um den es hier geht, hat zwei Detektionssysteme zum Testen bei uns beauftragt. Er wusste allerdings nicht, dass die Greifvögel, um die es geht, sich in dem Windpark neben bestehenden Anlagen neu angesiedelt haben. Wir hatten Rotmilane, Schwarzmilane und Mäusebussarde mit Nistplätzen in einer Entfernung von unter 300 Metern zu den nächsten Windenergieanlagen. Der dichteste Abstand war ein Rotmilanbrutplatz mit 261 Metern zur Windkraftanlage. Und diese Brutbestände haben wir jetzt drei Jahre untersucht und werden das auch noch ein viertes Jahr fortsetzen.
Wir haben jeweils zwei Laser Range Finder eingesetzt. Jedes Gerät hatten wir mit jeweils zwei Personen im Gelände besetzt, damit einer immer den Luftraum beobachten kann, während der andere misst, damit einem keine Flugbeobachtung verloren geht. Und wir haben pro Jahr zwischen 7.000 und 19.000, insgesamt in drei Jahren 43.000 Flugpunkte allein für den Rotmilan dokumentiert.
Was haben die Auswertungsdaten ergeben?
Martin Sprötge: Da zeigt sich, dass der Rotmilan die Windkraftanlagen nicht meidet, sondern sehr dicht an den Anlagen vorbeifliegt, den Rotor aber als Gefahrenbereich erkennt und umfliegt. Wenn man den Luftraum in Höhenschichten aufteilt, fliegt der Rotmilan unter dem Rotor näher an die Anlage heran als im Rotorbereich. Wenn man sich anschaut, in welcher Dichte die Vögel zu den Anlagen innerhalb eines Windparks fliegen, dann sieht man deutlich, dass unmittelbar an den Windkraftanlagen eine wesentlich geringere Flugaktivität zu beobachten ist als zwischen den Anlagen.
Unsere Daten untermauern das Ergebnis der Progress-Studie. Wenn man die Progress-Studie auf den Punkt bringt, sagt sie eigentlich: Kollisionen von Greifvögeln an Windkraftanlagen sind eher zufällige Ereignisse. Und aus unserer Untersuchung kann man erkennen, dass die Vögel tatsächlich die Rotorblätter als Gefahr erkennen und ausweichen. Wir können aus den Daten einzelne Flüge analysieren, die zeigen, wie ein Vogel auf den Rotor zufliegt und dann findet eine klare Ausweichbewegung statt. Das können wir sehr genau beschreiben, weil wir diese enge Taktung an Messpunkten haben.
Warum kommen solche wichtigen Erkenntnisse erst jetzt auf den Tisch?
Martin Sprötge: Es gibt dabei zwei Probleme: Bisher hatten wir nur die Möglichkeit, Vögel zu fangen und zu besendern. Die Taktung der Flugpunkte ist im Falle einer Besenderung sehr locker, um die benötigte Akkuleistung zu schonen. Mit den Laser Range Findern, die wir noch gar nicht so lange zur Verfügung haben, sind wir in der Lage, direkt an den Anlagen Beobachtungen mit einer sehr engen Taktung zu messen. Für die Fragestellung nach dem Flugverhalten in unmittelbarer Anlagennähe ist diese Methode viel besser geeignet. Wir kriegen zwar keine Daten darüber, wo der Vogel sich sonst noch aufhält, etwa im Winter, oder außerhalb des Windparks. Das ist für uns aber auch nicht von Interesse. Die neue Messtechnik hatten wir bisher nicht zur Verfügung. Wir haben 2017 damit angefangen. Die Schweizer Vogelwarte hat etwas früher damit begonnen und uns auf diese Untersuchung aufmerksam gemacht. Aber viel eher stand die Technik nicht zur Verfügung.
Ist das eine neue Perspektive für Planer?
Martin Sprötge: Ja. Das wird auch genutzt: Es gibt einen Testwindpark auf der schwäbischen Alp, wo genau mit dieser Technik auch weitere Untersuchungen vorgenommen werden.
Der Witz ist ja, dass wir nur feststellen sollten, wie zuverlässig die Detektionssysteme arbeiten. Auf der anderen Seite haben wir eine solche Masse an Daten, und so interessante Daten gewonnen, dass wir eigentlich vorhaben, diese auch nochmal zu publizieren – wenn wir Zeit dafür finden.
Werden Greifvögel nicht durch die Suche nach Kleinnagern unter Windkraftanlagen abgelenkt und vom Rotor getroffen?
Martin Sprötge: Jedenfalls konnten wir das in der Form, wie das vermutet wurde, nicht bestätigen. Das passt wieder zu Progress, weil die Studie sagt: Kollisionen sind zufällige Ereignisse, die sich nicht auf eine bestimmte räumliche Konstellation beziehen. Wir haben die Vögel seit 2019 untersucht. Sie haben in dieser Zeit jeweils erfolgreich gebrütet. Ein Paar Rotmilane, ein Paar Schwarzmilane und zwei Paare Mäusebussarde. Und wir haben die Zeit des Ausfliegens der Jungvögel immer mit untersucht. Kollisionsopfer konnten wir bisher trotz der großen Nähe der Brutplätze zu den WEA keine feststehen. Das heißt aber nicht, dass nicht nächstes Jahr etwas passieren kann. Aber welcher Zufall dazu führt, dass etwas passiert, das lässt sich aus den Daten nicht ableiten. Es lässt sich nur ableiten, dass die Vögel die Gefahr erkennen und darauf reagieren.
Der Windpark wurde gebaut und die Vögel haben sich danach erst dort angesiedelt?
Martin Sprötge: Ja. Eigentlich ist das, was wir hier haben, eine Laborkonstellation, die wir so nie genehmigt bekommen hätten. Dabei braucht man genau diese Konstellation, um so gute Daten zu bekommen. Und wir sind heilfroh, dass der zuständige Landkreis die Anlagen nicht hat abschalten lassen, weil die Untersuchung dann auch wieder witzlos gewesen wäre. Solche idealen Bedingungen standen der Progress-Studie trotz sehr umfangreicher Feldforschung nicht zur Verfügung, gerade weil es diese Laborbedingungen in der Realität nicht gibt. Denn Windkraftanlagen werden so nah an empfindlichen Arten nicht genehmigt. W