Direktvermarktung von Erneuerbaren-Strom verstärkt zu automatisieren – so lautete der Auftrag von Vattenfall Energy Trading für die Aktif Unternehmensgruppe. Der Software-Anbieter und -Dienstleister unterstützte das Energieversorgungsunternehmen darin, die zugrunde liegende IT-Architektur der Abrechnung neu auszurichten.
Das ursprüngliche Stromvermarktungsmodell ist es, Strom aus erneuerbaren Energien über das sogenannte Marktprämienmodell an der Strombörse zu vermarkten. So sieht es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) immer noch als Hauptweg zur Einspeisevergütung vor. Über die Zeit wurde das Angebot von Vattenfall Energy Trading aber sukzessive um weitere Formen der Direktvermarktung ergänzt, insbesondere PPA (Power Purchase Agreements) nehmen inzwischen verstärkt an Fahrt auf.
Mit etwa 400 abgeschlossenen Verträgen gehört das Unternehmen zu den größeren Direktvermarktern in Deutschland. Damit dies so bleibt, wurde 2020 damit begonnen, die der Direktvermarktung zugrunde liegenden IT-Strukturen der Abrechnung zukunftsfähig für die größere Vielfalt an Vermarktungsmodellen zu formen. Bis dato basierte die Abrechnung auf einem internen System, das vor 20 Jahren entwickelt wurde und damals vor allem der Abrechnung von Vollstromverträgen im Liefermodell diente. Die Anwendung war nicht mehr zeitgemäß. Sie war sehr zeitaufwendig mit vielen manuellen Prozessen. Allein die Neuanlage eines Kunden dauerte über 20 Minuten. Sobald es individuelle Aspekte zu berücksichtigen gab, potenzierte sich der Aufwand zusätzlich. Die Fachabteilung hatte zwar die Möglichkeit, gewisse Anpassungen an der Datenverarbeitung selbst vorzunehmen – ohne jedes Mal die IT-Abteilung ins Boot holen zu müssen –, aber dies bremste die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Tagesgeschäft dann doch immer wieder aus.
Wichtige Punkte auf der Anforderungsliste waren nun die Schnittstellen zum System für die Marktkommunikation und zum System für die Buchhaltung sowie ein stichhaltiges Konzept für die Datenmigration aus dem Altsystem.
Doppelte Datenpflege ade
Im Rahmen des Projektes wurde als Allererstes der doppelten Datenhaltung der Garaus gemacht: Früher mussten die zuständigen Sachbearbeiter die Stammdaten aufgrund fehlender Schnittstellen in zwei Welten parallel pflegen – sowohl im Marktkommunikations- als auch im Abrechnungssystem. Mit der Aktif-Software, die im SaaS-Modell (Software-as-a-Service) zur Verfügung steht, erfolgt der Austausch heute automatisch, was die Vermarkter deutlich entlastet.
Führend ist dabei das System der Marktkommunikation, das sogenannte Energiedatenmanagement (EDM). Dieses fungiert im Datenaustausch der einzelnen Marktteilnehmer als Drehscheibe der bilanzierungs- und zum Teil auch abrechnungsrelevanten Informationen. Die darin hinterlegten Informationen zu allen kaufmännischen Aspekten und Anlagendetails werden für die Abrechnung passgenau abgerufen. Insofern kam insbesondere den Vorarbeiten im EDM entscheidende Bedeutung zu. Belege des aktuellen Jahres wurden aus dem Altsystem in die neue Aktif-Lösung umgezogen. Ältere Dokumente wanderten halbautomatisch in einen zusätzlichen Archivordner, auf den sich jederzeit bei Rückfragen zugreifen lässt.
Automatisierung, Flexibilität, Skalierbarkeit
Nicht nur beim Stammdatenaufbau wurde viel Wert auf Automatisierung gelegt, auch bei der Ausgestaltung der Abrechnungslogik selbst lag der Fokus auf maximaler Arbeitserleichterung.
Schließlich gilt es bei der Direktvermarktung, schnell auf sich verändernde Rahmenbedingungen zu reagieren und unterschiedlichste, individuelle Vertragskonstrukte abzubilden. Denn nicht immer steht hinter einer Anlage auch genau ein Kunde. Manchmal besitzt ein Kunde mehrere Anlagen und wünscht sich eine Sammelrechnung. Oder es gibt bestimmte Beteiligungsverhältnisse bei einer Anlage oder mehrere gesonderte Zahlungsempfänger zu berücksichtigen. Auch die Höhe des in Rechnung zu stellenden Dienstleistungsentgeltes für die Direktvermarktung und darunter summierte Services wie die Rollenübernahme als Einsatzverantwortlicher und Betreiber der technischen Ressource im Rahmen von Redispatch-2.0-Datenverpflichtungen ist nicht bei allen Verträgen gleich. Die Anforderungen sind äußerst facettenreich, daher hat das Projektteam bei der Auswahl der neuen Abrechnungssoftware genau darauf geachtet, dass auch künftig keinerlei Grenzen gesetzt sind.
Die Aktif-Lösung erkennt nun anhand der zugrunde liegenden Parameter automatisch, was wie gegenüber wem entsprechend welchen Sonderwünschen abgerechnet werden muss, und ruft die erforderlichen Informationen über Schnittstellen zu verschiedensten externen Systemen lückenlos ab. Der Rechnungslauf unter Berücksichtigung aller jeweils relevanten Daten – von den monatlichen Lastgängen (MSCONS) je Marktlokation über die aktuellen Referenzmarktwerte für Onshore-Wind, Offshore-Wind, Solar oder die Details zu Abregelungen je Marktlokation und Ausfallvergütungen bis hin zu den Epex-Börsen-Spotmarktpreisen – ist jetzt per Mausklick möglich. Die buchhalterischen Details fließen anschließend direkt und ohne weiteres Zutun seitens der Fachabteilung innerhalb des Unternehmens weiter.
1 Tag dauert für Vattenfall Energy Trading nach Modernisierung der zugrundeliegenden Prozesse noch das Abrechnen von Einspeisern, mit der nun noch zwei bis drei Menschen beschäftigt sind. Zuvor war es ein 14-tägiger Stapellauf unter Beteiligung von vier bis fünf
Mitarbeitern.
Vorher-nachher-Vergleich
Inzwischen sind nicht mehr vier bis fünf Leute mit der Abrechnung von Einspeisern beschäftigt, sondern nur noch zwei bis drei Mitarbeiter. Was früher etwa 14 Tage dauerte, ist heute per Stapellauf an einem Tag erledigt.
Außerdem: Statt selbst Hand anlegen zu müssen, hat das Team von Vattenfall Energy Trading mittlerweile vor allem eine Kontrollfunktion. Sein Eingreifen ist nur nötig, wenn wirklich mal ein Wert fehlt oder es sonstige Auffälligkeiten gibt. Dann kann das Team auf die Ursachensuche fokussieren.
Extra hinzugekommen ist das sogenannte „Renewables-Portal“ als Self-Service-Plattform. Hier werden den Vertragspartnern alle Rechnungen und weiteren wichtigen Informationen wie zum Beispiel Messdaten gebündelt zur Verfügung gestellt und können jederzeit eingesehen werden.
Noch gründen 95 Prozent der Abwicklung der Einspeiseverträge bei Vattenfall Energy Trading auf dem Marktprämienmodell. Künftig rechnet das Unternehmen mit immer mehr PPA-Konstrukten – weil die EEG-Förderung für Anlagen ausläuft oder das Interesse an langfristig festen Liefervereinbarungen generell steigt. Da durch solche individuellen Verträge die Komplexität der Abrechnung weiter zunimmt, kam das IT-Projekt, das hohe Flexibilität und Skalierbarkeit sichert, zur rechten Zeit.
Durch Zusatzvergütungen, die sich Einspeiser sichern können, wenn ihre Anlagen besonders gut ins Portfolio der Direktvermarkter passen, steigt der Anreiz weiter. Im Wettbewerb kann viel Individualität bei der Vertragsgestaltung durchaus zum Zünglein an der Waage werden.
Über kurz oder lang wird kaum ein Versorgungsunternehmen oder Stadtwerk beim Einbinden erneuerbarer Energien ins eigene Portfolio um dieses Thema herumkommen.