Deutschlands Windbranche hat viele Gründe zur Verunsicherung: Ein neues, bisher unerprobtes Förderregime und ein Regierungswechsel könnten für Ungemach sorgen. Gleichwohl sind zurzeit zahlreiche Ausbauhürden vom Habeck’schen Wirtschaftsministerium aus dem Weg geräumt worden und einem massiven Ausbau steht erst einmal relativ wenig im Wege. Das aber bedeutet für Betriebsführer eine Zunahme im Turbinenbestand. Dabei hat der Betrieb ohnehin in den vergangenen Monaten deutlich an Komplexität zugelegt. Wie gehen Betriebsführer mit aktuellen Herausforderungen um?
Ralf Nietiet, Geschäftsführung Enercity Erneuerbare, erklärt, aktuell betreibe sein Unternehmen Windenergieanlagen mit mehr als einem Gigawatt Leistung. „Davon sind 364 eigene Windenergieanlagen und 79 Fremdanlagen. Für unsere Kunden und uns ist die oberste Maxime die Steigerung der energetischen Verfügbarkeit jeder einzelnen Anlage. Dazu gehören die kontinuierliche Überwachung des ordnungsgemäßen Betriebszustandes sowie das Reduzieren von Stillständen durch geeignete Maßnahmen und die Steuerung geplanter Arbeiten im Einklang mit dem Wetter-Forecast, um maximale Erträge zu erwirtschaften“, so Nietiet. Die Implementierung einer Leitwarte sei dabei ein wichtiger Meilenstein für die Rund-um-die-Uhr-Überwachung und das Monitoring gewesen. Im weiteren Fokus der Betriebsführung stünden derzeit Effizienzsteigerung, Kostenminimierung, Digitalisierung und technische Innovationen.
Ressourcen und Fachkenntnisse
Um einen wachsenden Anteil an Aufgaben zu bewältigen, arbeite man lösungsorientiert. „Wir stellen sicher, dass wir über die erforderlichen Ressourcen und Fachkenntnisse verfügen, um diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Des Weiteren bieten die zusätzlichen Aufgaben die Möglichkeit, die bestehenden Prozesse zu optimieren und effizienter zu werden. Dafür setzen wir unseren Fokus auf moderne Technologien und Digitalisierungsstrategien“, sagt Thomas Oetjen, stellvertretender Leiter Betriebsführung. Wichtig sei es, die steigenden Anforderungen auch gegenüber dem Betreiber bzw. Kunden transparent darzustellen und dies in der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen, so Oetjen. Durch den Einsatz von KI zur Analyse großer Mengen an Betriebsdaten lassen sich nach seiner Einschätzung ressourcenschonend Erkenntnisse aus dem Anlagenverhalten gewinnen, um frühzeitig auf Anomalien reagieren zu können. Neben der Optimierung der Betriebsführungsprozesse ermöglicht die KI-gestützte Überwachung ein proaktives Handeln, mit dem sich Ausfallzeiten und Schäden minimieren und im besten Fall verhindern lassen. „Wir haben uns schon früh mit dem Thema beschäftigt und uns für die Integration der KI-gestützten Überwachung in unsere Prozesse entschieden, woraus mittlerweile eine mehrjährige erfolgreiche und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit einem der führenden Anbieter entstanden ist.“
Oberste Maxime: Steigerung der energetischen Verfügbarkeit
Die Durchführung von Drohneninspektionen in Windparks sowie PV-Parks ermögliche zudem eine schnellere und sichere Überprüfung von schwer zugänglichen Bereichen. Drohnen könnten präzise Daten und Bildmaterial liefern, die für eine nachfolgende Analyse mit einer fortschrittlichen Analysesoftware der Entscheidungsfindung dienen. Der Einsatz von Drohnen beispielsweise in der Zustandsüberwachung von Rotorblättern sei eine effiziente Alternative zur Inspektion am Blatt mit Bühne oder Seiltechnik, wobei die Technologie noch nicht die Hand am Blatt ersetze und es auf eine zulässige Kombination ankomme, so Thomas Oetjen. Der stellvertretende Leiter Betriebsführung bei Enercity sagt, man könne grundsätzlich davon ausgehen, dass ein nicht geringer Anteil der Anlagen, die sich bereits seit einigen Jahren im Weiterbetrieb befinden, zunehmend Probleme bereiten werde. „Trotz Beschleunigung des Ausbaus können einige Repoweringvorhaben aus unterschiedlichen Gründen nicht wie geplant umgesetzt werden. Dies führt zu längeren Betriebszeiten der Bestandsanlagen mit erhöhten Ausfallzeiten durch Verschleiß- und Materialermüdung“, sagt Oetjen. Wie sich die rasante Entwicklung der Dimensionen der Windenergieanlagen über die Betriebszeit auswirke, werde sich zeigen. „Gleiches gilt für die Auswirkungen der stark steigenden Nachfrage und den Druck auf die Hersteller, den Markt zu bedienen. Der Aufwand für betreiberseitige Qualitätskontrollen ab Werk über die Betriebszeit wird aus unserer Sicht weiter ansteigen.“
Neue Strukturen für gesundes Wachstum
Der Windausbau in Deutschland beschleunigt sich, während ein Mangel an Fachkräften und Zulieferkomponenten besteht. Für die Regenerative Energien Zernsee GmbH & Co. KG (REZ) ist das derzeit noch kein Problem, verrät Geschäftsführer Walter Delabar: „Derzeit profitieren wir davon, was – so hoffe ich – auch darauf zurückgeht, dass wir uns ganz gut geschlagen haben bislang. Aber auch wir wissen, dass wir uns strecken müssen.“ Es gebe erste stockende Neuprojekte, bei denen REZ nachbessern könne. Die Überlegungen gehen bei REZ dahin, neue Strukturen und ein angemessenes Wachstum mit einem Konzept zu verbinden, bei dem das Unternehmen seine bisherigen Qualitäten bewahren könne. „Das heißt, wir müssen die Betreuungstiefe, die Intensität, mit der wir uns um Einzelprojekte kümmern, und zugleich mehr Projekte übernehmen“, erklärt Walter Delabar.
In der kaufmännischen Betriebsführung stehen insbesondere die Kosten- und Erlösoptimierung, Liquiditätsplanung sowie die Steuerung von Risiken im Fokus.
Lücken sieht er aber in der Tat bei qualifizierten Kräften im Feld. „Elektriker können wir uns nicht backen, da müssen wir attraktiv sein für neue Kolleginnen und Kollegen. Gegebenenfalls müssen wir auch kooperativer arbeiten. Das heißt, mit anderen Betriebsführern zusammenarbeiten, Aufgaben aufteilen, Strukturen und Personal, das bei unterschiedlichen Firmen vorhanden ist, effektiver nutzen. Aber das entwickelt sich gerade“, verrät er. Delabar gibt regelmäßig Seminare für kaufmännische Betriebsführung beim Bundesverband Windenergie (BWE). Welche inhaltlichen Veränderungen nimmt er dort wahr? „In der kaufmännischen Betriebsführung geht es vor allem darum, Abläufe zu straffen, sie effektiver zu machen und die Luft für die persönliche Betreuung zu gewinnen.“ Es gebe zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die bereits ihre Arbeit auf Plattformen verlegt haben. REZ arbeite derzeit noch mit Teillösungen, die später integriert werden. „Da bieten sich über die KI neue Ansätze an, die wir gerade prüfen. Aber da ist die Basis immer, dass man weiß, was man eigentlich will und braucht.“ Im Seminar selbst aber gehe es darum zu vermitteln, was überhaupt im Hintergrund solcher Plattformen geschieht. „Wir haben viele Quereinsteiger in der Betriebsführung aus unterschiedlichen Branchen und mit unterschiedlichen Kenntnissen.“ Da gelte es erst einmal, Grundlagen zu schaffen, Kompetenzen zu vermitteln und Basiswerkzeuge zu zeigen. „IT kann ja nicht bedeuten, dass man sich unkontrolliert den Instrumenten ausliefert. Erst wenn ich weiß, welche Prozesse in der IT ablaufen und welche Prinzipien dabei berücksichtigt werden, kann ich die richtige Plattform wählen“, meint Delabar.
Redispatch im Fokus
Thomas Salje, Abteilungsleiter Technisches Betriebsmanagement der Energy Consult GmbH, berichtet, dass für viele Kunden seines Unternehmens derzeit Problematiken zu Redispatch im Fokus stehen. Die Strommenge für die Abrechnungsvorschläge vom Energieversorgungsunternehmen würden verspätet beziehungsweise nicht korrekt – zum Beispiel Volumen der nicht produzierten Strommenge – an den Betreiber einer technischen Ressource übermittelt. „Dadurch verzögert sich die Abrechnung mit dem Direktvermarkter beziehungsweise müssen Korrekturschleifen gedreht werden“, sagt Salje.
Gegebenenfalls müssen wir mit anderen Betriebsführern zusammenarbeiten, Aufgaben aufteilen, Strukturen und Personal, das bei unterschiedlichen Firmen vorhanden ist, effektiver nutzen.
Ein oft vernachlässigter Bereich sei zudem die regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung der Cybersecurity-Maßnahmen: „Mit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung in der Windenergiebranche gewinnen diese Maßnahmen immer mehr an Bedeutung. Betreiber müssen sicherstellen, dass ihre Systeme vor potenziellen Cyberangriffen geschützt sind, um Betriebsunterbrechungen und finanzielle Verluste zu vermeiden.“
Quereinsteiger sind willkommen
Auch Energy Consult spürt den zunehmenden Fachkräftemangel. „Diese Lücke könnte die Ausbauziele gefährden“, fürchtet Salje. „Die derzeitige Zahl ausgebildeter Fachkräfte am Arbeitsmarkt ist unzureichend angesichts der zu realisierenden Windparkprojekte, weshalb auch Quereinsteiger notwendig und bei uns willkommen sind. Diese können bei uns intern ausgebildet werden.“ Die Digitalisierung der Betriebsführung erlaube seinem Unternehmen zudem, ressourcenschonender mit den wachsenden Aufgaben und dem ebenfalls wachsenden Portfolio skalieren zu können. Digitalisierung sei ein iterativer Prozess bei der Energy Consult. „Mit der Mehrheitsbeteiligung am Softwareanbieter Bitbloom haben wir für unsere automatisierten Analysen und Prozesse ein wesentliches Fundament gesetzt. Diese sind bereits etabliert und werden kontinuierlich ausgebaut und verbessert. Zudem arbeiten wir derzeit an der Neuaufstellung unserer Datenakquise, um auch weiterhin eine solide Datengrundlage für alle digitalen Prozesse und Analysen zu schaffen.“
Die Ergebnisse der digitalisierten Prozesse prägen laut Salje zunehmend die Arbeit der Betriebsführung und ergänzen diese darüber hinaus. „Perspektivisch sind die Zusammenarbeit mit einem Datenanalysten und zunehmend numerische Auswertungen im Daily Business unausweichlich, um den wachsenden Umfängen mit begrenzten Ressourcen gerecht zu werden.“
Wir arbeiten derzeit an der Neuaufstellung unserer Datenakquise, um auch weiterhin eine solide Datengrundlage für alle digitalen Prozesse und Analysen zu schaffen.
Am Ende stellt sich die Frage, wo Regenerativunternehmen für die Zukunft Wirtschaftlichkeitsoptionen im kaufmännischen Betrieb von Windparks sehen. „Die wirtschaftliche Zukunft und Optimierungsmöglichkeiten beim kaufmännischen Betrieb von Windparks sind stark im Wandel und werden durch neue Technologien sowie Marktmechanismen beeinflusst“, erklärt Andreas Kiss, Geschäftsführer der VSB Service GmbH. „In der kaufmännischen Betriebsführung stehen insbesondere die Kosten- und Erlösoptimierung, Liquiditätsplanung sowie die Steuerung von Risiken im Fokus.“ Aktuell seien die Betreiber bestrebt, die Rentabilität zu steigern, indem sie beispielsweise den Wartungsaufwand reduzieren und die Verfügbarkeit der Anlagen maximieren. Dies geschehe oft durch den Einsatz von datenbasierten Überwachungssystemen und optimierten Betriebsstrategien.
Speicher für sichere Erlöse
„Eine bedeutende Entwicklung in diesem Bereich sind Speicherlösungen und die Integration von Elektrolyseuren. Diese Technologien bieten eine Möglichkeit, überschüssigen Strom in Zeiten geringer Nachfrage effizient zu nutzen“, sagt Kiss. Batteriespeicher könnten kurzfristige Schwankungen im Stromnetz ausgleichen, während Elektrolyseure den Strom in Wasserstoff umwandeln, der entweder direkt genutzt oder gespeichert werden könne. Dadurch lasse sich der erzeugte Strom langfristig besser vermarkten und es lassen sich höhere Erlöse erzielen. „Solche Lösungen tragen zur Flexibilisierung der Anlagen bei und ermöglichen eine stabilere Einnahmenbasis, insbesondere wenn die Einspeisevergütung ausläuft und der Strom zu Marktpreisen verkauft wird.“ Zusammengefasst bieten Speicher und Elektrolyseure interessante Möglichkeiten zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit von Windparks. Ihre Integration sei jedoch mit erheblichen Investitionskosten verbunden und erfordere genaue Wirtschaftlichkeitsanalysen, um die langfristigen Vorteile gegenüber den Kosten abzuwägen. „Die aktuelle Entwicklung zeigt jedoch, dass diese Technologien zunehmend attraktiv werden, da sie den Betreibern helfen, flexibel auf Marktbedingungen zu reagieren und die Rentabilität zu verbessern“, so der VSB-Service-Geschäftsführer.
Wenn es um die Wirtschaftlichkeit von Bestandswindparks ohne EEG-Förderung geht, sieht VSB die Stromvermarktung über PPA als einen vielversprechenden Standard, nicht als einzige Option. „Besonders für kleinere Betreiber oder in spezifischen Situationen können Eigenverbrauchsmodelle und Spotmarktverkäufe lohnend sein. Auch die Kombination mit neuen Technologien, wie Speichern oder Wasserstoffproduktion, kann zusätzliche Einnahmequellen erschließen“, betont Andreas Kiss.
Fest steht: Das Ringen der Betriebsführer um die Wirtschaftlichkeit ihrer Windparks wird komplexer. KI gewinnt entsprechend an Bedeutung.