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Technik für raschen Markthochlauf

Die WindEnergy Hamburg im September integriert das Thema Wasserstoff erstmals durch eine eigene Halle mit Ausstellung und Konferenz. Als Conference Partner der Hamburg Messe und Congress GmbH ist der VDMA dabei, Herr Müller-Baum, und auch der DWV, Herr Diwald. Wofür steht dieser Auftritt der Wasserstoffwirtschaft?

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Hamburg Messe & Congress

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Werner Diwald: Erneuerbaren- und Wasserstoffwirtschaft sind die Geschwister von morgen: Sie gehören zusammen. Daher ist es folgerichtig, dass beide Bereiche jeweils partnerschaftlich auf den Erneuerbaren-Messen vertreten sind. Es ist auch schlicht der Größenordnung geschuldet, die eine Wasserstoffwirtschaft am Ende des Gesamtszenarios der Entwicklung unserer Energieversorgung bis 2050 erreichen wird. Um Klimaneutralität zu erreichen, werden wir um 2045 herum die gleichen jährlichen Investitionsvolumen in Wasserstofftechnologie und im Erneuerbaren-Anlagenbau sehen – beides wird sich die Waage halten. Wir sehen das schon am Repower-EU-Programm der Europäischen Union – der EU: Ein Ausbau von rund 150 Gigawatt Wasserstofferzeugung sind hier EU-weit bis 2030 angedacht worden, was nicht gravierend weniger als das für den Ausbau der Erneuerbaren abgesteckte EU-Ziel ist. Eine gleiche Größendimension wird der außereuropäische Markt zur erforderlichen Versorgung der EU einnehmen.

Peter Müller-Baum: Das sehe ich aus so. Eine vollständige Dekarbonisierung der Energiewirtschaft, das heißt unserer Strom- und Wärmeversorgung, ist ohne breite Wasserstofferzeugung und -Nutzung nicht möglich.

Sie sagen, Herr Diwald, dass die Unternehmen ihre Technologie schon ausgereift haben und nun nur auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen warten. Könnten sie bei guten Gesetzen schon heute preisgünstig und marktgerecht Wasserstoff als Energieträger produzieren? Oder bedarf es für grünen Wasserstoff noch einer Lernkurve?

Werner Diwald: Lernkurven sind in der Industrie nie abgeschlossen. Wir werden immer Technologien weiter entwickeln. Aber die Wasserstoffbranche ist nun schlicht an einem Punkt, an dem sie den Energieträger als Marktprodukt einführen kann. Ich würde aber nicht von preisgünstig sprechen wollen, denn ein Markt, der zuerst auf das Kriterium preisgünstig setzt, wird immer fehlgelenkt sein. Tatsächlich ist ja grüner Wasserstoff ganz aktuell schon günstiger als der fossile Energieträger Erdgas. …

…, weil die EU-weite Abnabelung vom bisherigen Haupterdgaslieferland Russland als Maßnahme gegen dessen Kriegsführung in der Ukraine zu Gaspreisrekorden führt …

Werner Diwald: Aufgrund des neuen Preisnachteils von Erdgas könnten wir sagen, wir brauchen keine Lernkurve oder Kostensenkungen mehr. Richtig ist stattdessen: Um marktfähig zu werden, brauchen wir ein Marktdesign, das die sogenannten Ewigkeitskosten wie Lagerung von Brennstoffabfällen oder Luftverschmutzung in der Vermarktung einpreisen lässt. Wir sind heute bei Wasserstoff womöglich dort auf der Lernkurve, wo wir in einer Phase von 1996 bis 1998 in der Windkraftindustrie waren: Damals kam das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, hinzu, während wir mit 1,5-Megawatt-Windenergieanlagen schon eine ganz gute und wirtschaftliche Turbinengeneration zur Verfügung hatten. Aber unsere Projekte waren noch nicht marktplanbar, weil erst das EEG einen Markt für die Einspeisung des Stromes schuf. Auf Wasserstoff übertragen heißt das: Für die Nutzung von grünem Wasserstoff in Raffinerien fehlte bisher eine gesetzliche Regelung, die ein faires Gleichgewicht zwischen fossilen und erneuerbaren Energieträgern herstellt. Es wäre vor dem Hintergrund der demnächst vielleicht bald ganz abgeschalteten Gasimporte unverzeihlich, diese Regelung nicht rasch einzurichten. 800 bis 900 Millionen Kubikmeter Erdgas ließen sich alleine durch die Nutzung grünen Wasserstoffs in Raffinerien erübrigen. Die 170.000 Tonnen grüner Wasserstoff würden zudem einen großen Beitrag zum Klimaschutz leisten können.

Peter Müller-Baum: Ich will es positiv drehen: Eine gesetzliche Regelung für Wasserstoff als Prozessenergieträger in Raffinerien und in der chemischen Industrie setzt das benötigte klare und unverzügliche Signal an die Investoren. Aufgrund des extremen Zeitdrucks muss der Gesetzgeber zudem sofort bei der Infrastruktur aktiv werden: Wir haben zu wenig Infrastruktur zum Beispiel zum Abtransport des Wasserstoffs. Ein Transport des nachhaltigen Energieträgers mit Diesel-LKW zu den Nutzern ist ja nicht zweckdienlich. Auch die Zulassung dezentraler Lösungen wie die lokale Nutzung des Wasserstoffs direkt an einem Windpark in Norddeutschland würde sofort marktfähige Konzepte ermöglichen: Wird dort eine lokale Wasserstofftankstelle dazu gebaut, funktioniert dort ein Markt. Auch für diese regionalen oder lokalen Märkte müsste der Gesetzgeber Hürden abbauen.

Welche technologischen Botschaften an Investoren und Politik erhoffen Sie sich von dieser Messe?

Peter Müller-Baum: Eine zentrale Aussage hat Werner Diwald schon ausgesprochen: Die Technologie für den raschen Markthochlauf ist vorhanden, industrielle Skalierung und Automatisierung wären sofort möglich. Wir werden auf der H2EXPO & CONFERENCE aber auch sehen, dass sich die Technologie weiter fortentwickeln kann – nun aber der Gesetzgeber am Zug ist, um diese Entwicklungen in Gang zu setzen.

Werner Diwald: Die Verbindung mit der Windenergiemesse wird auch diese Botschaft liefern: Windenergieunternehmen brauchen Wasserstoffwirtschaft und Wasserstofftechnologie als Partner. Das ist für die Elektrolyse-Hersteller wichtig. In Windenergieanlagen vor allem auf See integrierte Elektrolyseure werden als Ausstellerthema ein wichtiges Signal setzen. Die Messe wird hierzu noch einmal einen Austausch zwischen Managern oder Ingenieuren beider Seiten bringen. Vielleicht drückt die Politik bei dieser Verschmelzung von Wasserstoff- und Erneuerbaren-Branche deshalb noch auf die Bremse, weil manche Kreise in Wirtschaft oder Politik den schnellen Erfolg neuer Wettbewerber fürchten. Ein wichtiges Signal der Wasserstoffschau wird sein, dass sie den freien und deshalb innovativen Unternehmergeist der guten deutschen mittelständischen Unternehmen sichtbar werden lässt.

Auch die Funktion von Wasserstoff in der Energieversorgung von morgen ist Thema der H2EXPO & CONFERENCE: Worin wird grüner Wasserstoff in der Energieversorgung zuerst eine tragende Rolle erhalten?

Peter Müller-Baum: Diese Frage erfordert eine komplexe Antwort, weil die Politik klare Präferenzen für solche Phasen zu haben scheint. Zuerst will sie offenbar den Wasserstoffeinsatz für die Stahl-
industrie erreichen. Das finde ich nicht unbedingt falsch, gerade nachdem die Brücke Erdgasverstromung aus dem Zeitalter der Energieerzeugung mit fossilen Rohstoffen hinüber ins Zeitalter der Nutzung erneuerbarer Energien im wörtlichen Sinne kaputtgebombt wurde. In anderen Bereichen wäre allerdings ein Ausbau der Wasserstoffenergiewirtschaft viel leichter. Die berühmten low hanging fruits, die sich leichter finanzieren lassen, beispielsweise im Mobilitätssektor, würden eine raschere marktwirtschaftliche Einführung zulassen. Ich finde es daher schwierig, wenn der Gesetzgeber eine Reihenfolge der Markteinführung für Anwendungsbereiche oder Technologien anstrebt. Eine Planwirtschaft würde schiefgehen. Beim Hochlauf neuer Technologien ist immer wichtig, dass die Politik einen offenen Rahmen schafft. Damit setzt sich die preisgünstigste Technologie letztlich auch durch. Derzeit scheint sich der Gesetzgeber anzumaßen zu wissen, wie die Welt im Jahr 2035 aussieht.

Werner Diwald: Vor dem Ukrainekrieg hätte ich gesagt, dass eine gesetzliche Förderung der Wasserstoffwirtschaft in solchen Kaskaden sinnvoll ist. Aber jetzt ist dafür keine Zeit mehr. Den Hochlauf der Erneuerbaren in der Stromversorgung müssen wir zum Beispiel parallel stattfinden lassen mit dem Hochlauf der Mobilität und der Industrie. Heute müssen wir entweder sagen, dass die jetzt vorgelegten Maßnahmen nicht reichen, oder wir müssen den Bürgern ganz ehrlich sagen, dass wir die Klimaziele nicht erreichen. Wir müssen raus aus irgendwelchen Effizienzdiskussionen, die vermeintlich klären, welche Technologie am besten sein wird. Der grüne Wasserstoff wird für den Straßenverkehr eine erhebliche Rolle spielen, oder es wird aus klimapolitischen Gründen auch Fahrverbote geben müssen. Wir können aber die Bürger nicht verpflichten, Elektroautos zu kaufen, wenn die es sich nicht leisten können. Für solche Fälle muss es dann möglich sein, Verbrennungsfahrzeuge weiter zu betreiben, zumindest wenn diese fast emissionsfreie, strombasierte synthetische oder Bio-Kraftstoffe nutzen. (tw)

„Die industrielle Skalierung und Automatisierung wären sofort möglich“

Werner Diwald, Vorstandsvorsitzender, Deutscher Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV)

DWV

„Windenergie-
unternehmen brauchen Wasserstoffwirtschaft und -technik als Partner.“

Peter Müller-Baum, Geschäftsführer Power-to-X for Applications, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA)

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