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Europas Zukunft grün gestalten

Nicole Weinhold

Ein unbedachter Tritt ins Leere, ein Taumeln und dann der Sturz ins Nichts. Aber Petzl ist ja da. Petzl hat schon viele Techniker vor dem Absturz an einer Windenergieanlage bewahrt. Oder genauer: die „Persönliche Schutzausrüstung“ der Firma. Petzl ist in der Windkraft weltweit präsent. Welche Rolle spielt umgekehrt die Windkraft für das Unternehmen? „Eine bedeutende Rolle“, weiß Dennis Oezkol, Division Manager Petzl Professional für Deutschland. Der Hersteller von Ausrüstung für Arbeiten in herausfordernden Umgebungen hat sich mit Produkten und Lösungen im Rope-Access-, Working-at-Heights- und Rescue-Markt etabliert. „Für Petzl ist die Windkraft ein strategisch wichtiger Industriezweig in einem stetig wachsenden, technisch anspruchsvollen Bereich.“ Neben den Windkraftanlagen selbst sei auch die gesamte Zulieferindustrie – wie etwa Transport und Logistik – ein riesiger Markt für das Unternehmen.

Wir müssen uns zusammentun und wirklich die Vereinigten Staaten von Europa denken.

Stephan Frense, CEO, Arge Netz

In den vergangenen Monaten hat sich die Weltordnung destabilisiert. Der vermeintlich sichere Bündnispartner der EU, die USA, kann unter einem Präsidenten Donald Trump nicht länger als verlässlich gelten. Europa ist auf sich selbst gestellt, während Russlands Kriegstreiber Nummer eins, Wladimir Putin, der Ukraine keinen Frieden gönnt. Diese für Europa beunruhigende Konstellation zwingt die Staatengemeinschaft zu mehr Autonomie und Versorgungssicherheit. Die Selbstversorgung auf Basis erneuerbarer Energien rückt in den Fokus – und mit ihr die Frage nach einer resilienten Industrie für erneuerbare Energien inklusive Zulieferkette. Gleichzeitig liegt genau in dieser auch eine Chance, die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Statt über Jahrzehnte im Sinne von VW und Co. um den mobilen Verbrenner zu kämpfen, sollte die deutsche Politik erkennen, dass die Regenerativbranche längst Job- und Innovationsmotor vor allem durch mittelständische Unternehmen ist. Hier gilt es, eine Zukunftsbranche zu stabilisieren – vor allem aber, sie nicht länger zu destabilisieren.

Selbstversorgung mit sauberer Energie und die Herstellung der entsprechenden Technologie innerhalb Europas können nur gelingen, wenn die europäische und deutsche Politik die entsprechenden Weichen stellen. Stephan Frense ist CEO der Arge Netz (siehe Interview Seite 36), einer Gruppe von Regenerativplanern und -erzeugern aus dem hohen Norden. Wie beurteilt er als Technologienutzer die Chancen auf eine Erhöhung der Resilienz? Komponenten sind in China nun einmal nur halb so teuer. „Da müssen wir uns zusammentun und wirklich die Vereinigten Staaten von Europa denken“, betont er. „Wir müssen überlegen, wer was fertigen kann, und das dann zusammenbringen.“ Airbus sei ein schönes Beispiel – dort werde im europäischen Verbund gefertigt. „Das Thema Sicherheit wird ebenfalls immer wichtiger. Dezentrale Anlagen sorgen gegenüber zentraler Erzeugung für mehr Sicherheit. Das zeigt der Überfall der Russen auf die Ukraine – und deren Atomkraftwerk“, fügt er an.

Die Regenerativwirtschaft wäre stärker aufgestellt, wenn die Solarbranche nicht 2010 bis 2015 reihenweise in die Insolvenz getrieben worden wäre.

Stijn Stevens, Managing Director Meteocontrol

Europäische Steuerungstechnik

Bezüglich der Frage, wie sich der Aufbau einer Fertigung in Europa finanziell darstellen ließe, betont Frense, auch da müsse die Europakarte angeschaut und überlegt werden, wer was am besten an welchem Standort produzieren kann. „Wir sollten Abhängigkeiten von Russland, Amerika und China dringend vermeiden.“ Aber haben Planer so viel Spielraum, dass sie europäisch und somit 10 bis 30 Prozent teurer – je nach Transportkosten – einkaufen können? Wenn Anlagen gebaut werden, die möglicherweise aus der Ferne geschaltet werden können, dann sei es zudem eine wichtige Frage, wo diese Anlagen hergestellt würden, so Frense. „Oder man sagt: Was können wir selber, und was kaufen wir vielleicht noch in Teilen dazu? Es spricht zum Beispiel nichts dagegen, wenn man Flügel in China kauft, aber bei der Elektronik und Steuerungstechnik europäische Komponenten verbaut.“

Aber auch abseits solcher sicherheitsstrategischer Überlegungen ist das Thema einer resilienten Industrie schwierig. Die Firma Petzl ist beispielhaft für Zulieferer in der Regenerativbranche. „Wir sind ein vielfach marktführendes Unternehmen mit Vertretungen in über 50 Ländern weltweit“, sagt Dennis Oezkol. Für die deutsche Regenerativwirtschaft wünscht er sich eine stärkere politische Unterstützung für den Ausbau der Erneuerbaren sowie der dazugehörigen Infrastruktur und Industrie. „Sie könnte in mehreren Bereichen ansetzen, als da wären: Bürokratieabbau und Genehmigungsbeschleunigung, verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit, Arbeitskräfte- und Ausbildungsoffensive, Infrastruktur- und Netzausbau, faire Marktbedingungen und Innovationsförderung – um nur einige Bereiche zu nennen“, so der Petzl-Division-Manager.

Stijn Stevens ist Managing Director von Meteocontrol, einem weltweit tätigen Unternehmen im Bereich der Überwachung und Steuerung von Photovoltaikanlagen (siehe Interview Seite 34). Er betont, die Branche der Erneuerbaren zähle inzwischen rund 400.000 Jobs. „Doch das reicht bei Weitem nicht aus. Tatsächlich wäre die Regenerativwirtschaft heute deutlich stärker aufgestellt, wenn die Solarbranche nicht in den Jahren 2010 bis 2015 durch eine fehlgeleitete Förderpolitik reihenweise in die Insolvenz getrieben worden wäre.“ Davon hätten sich die Unternehmen in Deutschland bis heute nicht vollständig erholt – und seither seien links und rechts andere Staaten an uns vorbeigezogen. Ein stabiler politischer Rahmen sei essenziell. „Ein Vierjahresrhythmus, der sich an den Bundestagswahlen orientiert, ist dagegen kontraproduktiv.“

Keine Subventionen für fossile Kraftwerke

Die Node Energy GmbH (siehe Interview Seite 35) hat unter anderem die Energiedaten-Plattform Opti Node entwickelt, die es Betreibern von Wind- und Solarparks ermöglicht, ihre Anlagen effizient zu verwalten und Geschäftsmodelle im Bereich erneuerbarer Energien einfach und rechtssicher umzusetzen. Matthias Karger, Gründer und Geschäftsführer der Node Energy, wünscht sich von der Politik, dass es jetzt nicht zu einer Verzerrung der Preise durch eine neue Subvention fossiler Kraftwerke kommt: „Gerade wird wieder über die Einführung eines sogenannten Kapazitätsmarktes verhandelt – was zwar Kapazitätsmarkt heißt, aber tatsächlich eine Subvention von Gaskraftwerken ist. Und das ist sicherlich für eine kosteneffiziente Energiewende nicht der richtige Weg.“ Der Abbau von Bürokratie sei ebenfalls wichtig. „Der Verwaltungsaufwand ist inzwischen riesig – das merken unsere Kunden auf der Erzeugerseite. Wind- und Photovoltaikanlagenbetreiber sind gebeutelt, was politische und formelle regulatorische Auflagen anbetrifft.“

Die negativen und dann wieder hohen Preise sind die Signale, die es braucht, um die Energiewende voranzubringen.

Matthias Karger, Geschäftsführer, Node Energy

Gleichzeitig betont Karger, Deutschland sei auf einem sehr guten Weg. „Das ist zwar im Moment in der öffentlichen Meinung nicht ganz so präsent, aber man muss sich auch mal vergegenwärtigen, dass Deutschland eigentlich mit einem blauen Auge davongekommen ist, als 2022 die Energiekrise hier richtig reingeschossen ist – weil wir inzwischen deutlich über 50 Prozent erneuerbare Energien im Strommix haben.“ Es sei einerseits so, dass der aktuelle Weg mit „gewissen Anpassungsschmerzen“ verbunden sei. „Auf der Erzeugerseite spürt man das Problem negativer Preise mittlerweile deutlich. Unsere Kunden erhalten in diesen Stunden keine Förderung mehr.“ Andererseits stiegen die Preise, wenn Wind nicht weht und Sonne nicht scheint. Diese Preisspitzen seien für Verbraucher ein Problem. „Aber: Diese sehr negativen und dann aber auch sehr hohen Preise sind genau die Signale, die es braucht, um die Energiewende voranzubringen“, so Karger. „So werden Investitionen in Flexibilitäten wie Batteriespeicher angereizt.“

Fest steht: Die Energiewende kann nur gelingen, wenn Politik, Industrie und Gesellschaft gemeinsam Verantwortung übernehmen – mit Weitsicht, Mut zur Veränderung und einem klaren Bekenntnis zur Unabhängigkeit durch Erneuerbare. 

Dennis Oezkol, Division Manager Petzl Professional

Foto: simontoplak.com

Dennis Oezkol, Division Manager Petzl Professional

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