Stillgelegte 233 Megawatt (MW) im vergangenen Jahr deuten noch nicht auf die erwartet kräftige Modernisierung des deutschen Windenergieanlagenbestands hin. Das Potenzial zum Anlagenaustausch ist mit fast einem Gigawatt jährlich für Repowering geeigneter Altwindparks bei mehrfacher Zubauleistung weit höher. Doch ist das ein Nachteil? Dass so viele Altanlagen am Netz bleiben, ist nicht nur fehlenden Baugenehmigungen geschuldet. Aktuell hohe Stromhandelspreise machen den Weiterbetrieb lukrativ. Eine Vielfalt an Dienstleistern hilft und befähigt Betreiber zum klugen Repowern zur richtigen Zeit.
Wie umfassend diese Dienstleistungen sind, ist zum Beispiel in Varel an der niedersächsischen Nordsee zu erfahren. Von dort aus organisiert die Windguard Certification die Tests, Beratungen und Analysen für Altanlagen, die nach dem Ende der 20-jährigen gesicherten Einspeise-Mindestvergütung gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in die riskantere Stromvermarktung im freien Handel wechseln müssten. Die Tochterfirma des Dienstleisters Deutsche Windguard hatte 2015 als erster Anbieter weltweit die Akkreditierung der Zulassungsstelle DAKKS für eine Weiterbetriebszertifizierung von Windenergieanlagen erhalten. Nun analysiert Windguard Certification die Betriebsdaten der Windturbinen sowie technische Angaben der Hersteller, misst Lasten und berechnet am Turbinenstandort auftretende Windturbulenzen, schließt auf die für die Material-alterung verantwortlichen Lasten und inspiziert die Anlagen im Windpark. Dann berechnen die Vareler Gutachter die Restlebensdauer der Komponenten.
Auch einem Technical Due Diligence unterzieht Windguard den Altwindpark auf Kundenwunsch. Diese Analyse klärt beispielsweise die technischen Schwächen und Stärken des weiteren Windparkbetriebs und damit verbundene Ertragschancen sowie Kosten. Wo es schneller gehen soll, bieten die Vareler ein Poolverfahren an: Hierfür inspizieren sie ein Cluster an Wind-energieanlagen, um nach einer Schnellanalyse nur die schwächste Anlage genauer zu prüfen und den Windparkbetrieb auf ihre Daten einzustellen. Betreiber sparen dadurch Prüfzeit, können dafür aber das Potenzial der Altanlagen vielleicht nicht ganz ausschöpfen.
Die Nachfrage ist groß, wie Windguard-Certification-Geschäftsführer Lars Weigel erklärt (Interview Seite 43). Technical Due Diligence sei alleine 2020 an 1.600 Anlagen vollzogen worden.
Hanse Windkraft ist ein Akteur auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette. Die Hamburger Weiterbetriebsspezialisten sind eine 2018 gegründete Unternehmenstochter der Stadtwerke München (SWM). Sie kauft Altwindparks auf, auch wo solche außerhalb von Windkrafteignungsflächen oder zu nah an Siedlungen stehen und die Standorte die Mindestabstandsmaßgaben für neue Turbinen nicht erfüllen. Ob sie „repoweringfähig“ sind, was eine langfristige Nachnutzung mit fünf- bis sechsfach leistungsfähigeren Windenergieanlagen in Aussicht stellt, ist für die Hamburger Spezialisten nicht entscheidend: Nach Prüfung des Anlagenzustands handeln sie mit den Altwindparkbetreibern in einem flexiblen und zügigen Verfahren den Verkaufspreis aus. Sie verrechnen die den Alteigentümern entgehenden Einnahmen und zahlen einen Aufpreis, wo Repowering möglich ist (Interview links).
Weil moderne Analyseverfahren die Restlebensdauer und den Wartungsbedarf der Altturbinenkomponenten berechenbar sein lassen, hatte Hanse Windkraft die Chancen im freien Stromhandel früh erkannt: „Mit unserem Geschäftsmodell zeigen wir deutlich, dass auch sehr viele ältere Windparks nach Auslaufen der staatlichen Förderung auf eigenen Beinen stehen können“, urteilte Hanse-Windkraft-Geschäftsführer Christoph Dany im Juni 2020. Als Vorteil schreibt sich das Unternehmen insbesondere seine kurzen innerbetrieblichen Entscheidungswege als kleine Einheit innerhalb des Stadtwerkeverbundes zu: Ein SWM-Team unterstützt als Dienstleister die Verkaufsverhandlungen.
Nun treiben die Kosten der Emissionshandelszertifikate für konventionelle Kraftwerke und globale Turbulenzen an den Energierohstoffmärkten den Stromhandelspreis. Im Januar betrug der Marktwert des Stroms aus Windparks an Land knapp 13 Cent nach einem Anstieg von gut 4 auf 16 Cent pro Kilowattstunde (kWh) von Mai bis Dezember 2021. Mit Repowering haben es Altanlagenbetreiber daher nun weniger eilig. Und ein breites Dienstleisterangebot sichert ab, dass Weiterbetrieb auch bei rückläufigen Stromhandelspreisen wirtschaftlich bleibt.
Ein großer Partner für den Instandhaltungs-Service an Altanlagen ist die Enertrag Service GmbH in Lübeck mit 150 Mitarbeitern. „Fast jede zweite Anfrage nach Wartung und Service bezieht sich auf Windenergieanlagen, die in den Weiterbetrieb gehen sollen oder gegangen sind“, beschreibt das Unternehmen die Nachfrage. Viele Altanlagen lassen verlässlich noch Erträge einspielen – notfalls bei lastreduzierter Fahrweise. Doch hohe Einmal-Ausgaben für den Austausch großer Komponenten lohnen sich hier teilweise nicht mehr. Je nach Restlaufzeit, aber auch gemäß dem Betriebs- und Stromvermarktungskonzept der Altwindparkbetreiber bietet Enertrag Service individuell angepasste Wartungsverträge an als Basiswartung sowie die Vollwartung mit oder ohne Austausch defekter Großkomponenten.
Auch Betriebsführung bieten die Instandhalter zusammen mit der Unternehmensschwester Enertrag Betrieb an. Speziell für die Altanlagen entwickelt Enertrag Service zudem eigene Methoden, um das Material von Komponenten auf der Maschine ohne Beschädigung auf seinen Zustand zu prüfen, und um Großkomponenten auf der Anlage zu reparieren, statt sie teuer durch Einsatz von Kränen und Straßentransporte herunter nehmen und tauschen zu müssen.
Die Beratungs-, Zertifizierungs- und Prüfdienstleistungsanbieterin Tüv Süd Industrie Service GmbH bietet durch ihr Wind Service Center ein standardisiertes dreigliedriges Analyse-Verfahren an: Die Site-Assessment-Analyse ermittelt die genauen Standortbedingungen aus Wind und Turbulenzen. Die Lastberechnung der Typenzertifizierungsstelle stellt die rechnerische Lebensdauer wichtiger Komponenten fest. Und Tüv-Süd-Prüfer inspizieren die Anlage vor Ort. Während die drei Analysebestandteile branchenüblich in die Weiterbetriebsprüfung einfließen, wirbt der Gruppenleiter Site Assessment beim Wind Service Center, Florian Weber, die für die Altanlagen passgenauen Puzzleteile aus allen drei Prüfbereichen zu einem „Produkt aus einem Guss“ zusammengefügt zu haben (Interview unten).
Durch die Weiterbetriebsberichte lassen sich auch eventuell Komponententauschaktionen auf später verschieben. Erfahrungen bei Tüv Süd zeigten, „dass die Weiterbetriebsanlagen gut gepflegt wurden, sodass wir meistens Weiterbetrieb über mehrere Jahre befürworten können“, sagt Weber. Das Gutachten diene zudem zur Wertermittlung der Altanlagen an ihrem Standort, auf der die Betreiber ihre Preisverhandlungen aufbauen.
Manche Dienstleistungsanbieter visieren auch die Chancen des Repowerings mit an. Immerhin gehen Branchenschätzungen davon aus, dass jede dritte Turbine eine Chance auf Repowering hätten.
Das Ingenieurbüro Jadewind ist für den praktischen Prüfteil der Weiterbetriebsgutachten im Einsatz und inspiziert die Anlagen. Hierbei kooperiert das ebenfalls in Varel ansässige Jadewind mit dem Berliner Windkraft-Designunternehmen Idaswind, das die Analyse zu Lasten und Standsicherheit übernimmt. Künftig könnten die niedersächsischen Experten den Weiterbetreibern Informationen mitliefern, die auch die Voraussetzungen ihres Standorts für ein gutes Repowering bewerten. „Eine Abwägung zwischen Weiterbetrieb und Repowering wäre eine denkbar gute Idee, um unser Leistungsspektrum in Zukunft zu erweitern“, sagt Jadewind-Geschäftsführer Christian Gripp (Interview Seite 49).
Bisher erstellt Jadewind auch Rückbaukostengutachten. Die Nachfrage danach kommt von Kunden, die aus wirtschaftlichen Gründen den Abriss der Altanlagen erwägen. Gripp sieht auch in einer Kombination von Alt- und Neuanlagen in einem Windpark ein interessantes Potenzial: „Es ist zu untersuchen, welche Anlagenkonfigurationen zu welchem Parklayout harmonieren. Ich halte es durchaus für denkbar, dass neue Anlagen mit 150 Meter Nabenhöhe auf einer Fläche mit Altanlagen von 50 Meter Nabenhöhe installiert werden und im Einzelfall eine Balance erzielt werden kann und die Perfomance aller Anlagen auf hohem Niveau bleibt.“
Jadewind-Kooperationspartner Idaswind führt bereits seit einigen Jahren eine Abteilung speziell für die Bearbeitung aller Aufträge und Themen mit Bezug zum Weiterbetrieb der Altwindparks. Der Geschäftsbereich vertrete schon etwa 60 Prozent der Dienstleistungen des Unternehmens, erklärt Idaswind. Das Unternehmen leistet darüber hinaus auch Lebensdauerberechnungen für Anlagen jedes Betriebsalters. Auch für Betreiber mit Repowering-Plänen erarbeitet es Weiterbetriebsgutachten, wo diese bis zum Start des Turbinentauschs noch die Altturbinen länger in Betrieb belassen wollen. Zusätzlich arbeiten die Berliner mit Techniken aus ihrem langjährigen Basisgeschäft, dem Anlagendesign, um die vor 20 Jahren in den Komponentenauslegungen überschüssig angelegten Materialreserven ausschöpfen und um die Restlebensdauer einzelner Komponenten im weiteren Windparkbetrieb regelmäßig abrufen zu können. So nutzt Idaswind die eigene Kompetenz zu so etwas wie einem Rückwärtsdesign der Komponenten auf Basis der in den Typenprüfungen erfassten Designdaten und Lastsituationen. Durch Abgleich des Rückwärtsdesigns mit den realen standortspezifischen Lasten ermittelt Idaswind, wie viel länger und mit welchen auch lastreduzierten Fahrweisen sich die Turbinen noch sicher betreiben lassen und schlüsselt dies nach Komponenten auf.
Derzeit entwickeln sie ein Monitoring, mit dem Altanlagenbetreiber zur Kontrolle das „strukturmechanische Betriebsalter“ der Komponenten abrufen können. Idaswind nennt es Component Lifetime Module. Es stehe „kurz vor der Fertigstellung“, sagt die Geschäftsführerin Sabine Scharobe. Und im zweiten Halbjahr wollen die Berliner auch als Vermittler langfristiger Stromlieferverträge, Power Purchase Agreements (PPA), auftreten.
Auch Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) könnten einen Schlüssel für effizienten Weiterbetrieb der über 20 Jahre alten Anlagen liefern. Der Digitalisierungsspezialist Turbit Systems bietet Scada Due Diligence an: Durch digitale Analyse der langjährigen Betriebsdaten ermitteln die Berliner bei einem Verkauf von Altwindparks den Zustand der Anlagen schnell und kostengünstig. Mit einer künstlichen Intelligenz will Turbit darüber hinaus einen effektiveren Betrieb gewährleisten. Der Kern der Software ist eine Machine Learning Pipeline, die automatisiert aus den Scada-Daten zum Beispiel der Umgebungstemperatur, Windgeschwindigkeit, Turbulenzen und Windrichtung das normale Leistungsverhalten pro Standort lernt und schon Minderleistungen im zweistelligen Kilowattbereich abliest und gleichzeitig komplexeste Umweltauflagen sowie diverse Status Codes berücksichtigen kann.
Temperaturabweichungen in den Komponenten während des Anlagenbetriebs von ein bis zwei Grad Celsius kann die KI ebenso detektieren. Die Software zeigt dann frühzeitig mit umfangreichen Analysen an, wo durch kleinere Instandhaltungsmaßnahmen größere Schäden verhindern ließen. Zur KI wird die Software durch ihre Lernfähigkeit, Betriebsführer können Alarme bewerten und einordnen. Die KI von Turbit bezieht dieses Feedback in die nächsten Alarme für spezifische Anlagen mit ein.
Das Gutachter-Netzwerk 8.2 bietet für den Besitzerwechsel insbesondere großer Altturbinenbestände individuelle Analysen an. Dazu gehören Trend-analysen, die unter anderem die Zuverlässigkeit der Windenergieanlagen über 20 Jahre hinaus abbilden. 8.2-Sprecher Philipp Stukenbrock betont: Die Analysedienste bei 8.2 sollten sowohl den Altwindparks als auch den Planungen für späteres Repowering zu Gute kommen (Interview unten).
Die Weiterbetriebsexperten des Netzwerks erstellen Rückbaukostengutachten, optimieren den Betrieb für eine höhere Nutzungsdauer oder bauen das 8.2-eigene Sensoren-System Eco CMS ein, das kontinuierlich den Zustand der Komponenten überwacht. Wenn Windparks in ausgewiesenen Wind-energievorrangflächen stehen, arbeiten sie mit daran, einzelne Interessen gut gegeneinander abzuwiegen. „Ist ein Repowering-Projekt möglich, passen wir unsere analytischen Berechnungen an und stimmen uns direkt mit dem Kunden ab, welches Vorgehen am besten passt“, sagt Stukenbrock.
Eines der flexibelsten Angebote für Weiterbetrieb mit Repoweringoption unterbreitet Pionext Service. Die kommunale Projektierungs- und Betriebsführungssparte vereint das Wind-, Solar- und Wasserkraftgeschäft der Stadtwerke in Mainz sowie der kommunalen Regionalversorger EWR in Worms und Pfalzwerke in Ludwigshafen. Sie haben Pionext 2019 gegründet. Die Gesellschaft berät Altanlagenbetreiber, übernimmt auf Wunsch ihre Betriebsführung, vermittelt die Stromvermarktung – auch über ein PPA, projektiert das Repowering und steigt als Mitgesellschafter ein. Die bisherigen Turbineninhaber können auf Wunsch beteiligt bleiben.
Pionext besteht aus 23 Mitarbeitern. Eine Abteilung kümmert sich um Betriebsführung und Weiterbetrieb und eine Abteilung um das Repowering. Dabei erstellt Pionext zunächst eine Windpark-Analyse. Dann empfiehlt das Unternehmen, ob ein Weiterbetrieb sich lohnt, ein Repowering anzustreben sei oder die Kombination aus beidem das Beste wäre: das Teil-Repowering bei einem Betrieb neuer und vorerst nicht abgebauter alter Anlagen. Auch Repowering-Finanzierung bietet Pionext an.
Bevor die bundesweite Repoweringwelle aber kommt, werden Stromhandelspreise auf ein Normalmaß zurück müssen. Branchenvertreter vermuten 4,5 Cent pro kWh als Niveau, unterhalb dessen sich Weiterbetrieb nicht mehr lohnt. Bis dahin machen die Dienstleister den Weiterbetrieb mit Sicherheit zum gut kalkulierbaren Geschäft.