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Hochlauf im Südwestwind

Tilman Weber

Vielleicht ist es die ganz spezielle Perspektive eines Windparkentwicklers aus der katholischen Kleinstadt Ellwangen im schwäbischen Niemandsland, die Uhl Windkraft an der Flurwand mit einer lustigen Comic-Installation zeigt. Die 23 Mitarbeitenden und hier eintretende Geschäftspartner kommen auf dem Weg in die Planer-Büros unweigerlich an ihr vorbei. Vor dem Hintergrund ihres aufständischen gallischen Dorfes schenkt da Miraculix dem klügsten Kopf der Gemeinde Asterix den Zaubertrank für unbegrenzte Kräfte ein, dahinter reihen sich Micky Maus, Bugs Bunny, Minnie Maus, Daisy Duck, der softe Wildwest-Schurkenjäger Lucky Luke, der, Spinat sei Dank, muskulöse Popeye, Privatdetektiv Tim und ein Schlumpf. Ob Imagewerbung oder Selbstvergewisserung – es vermittelt: Klug, fürs Gute einstehend, beherzt und kundig lässt sich gegen alle Widrigkeit das Beste erreichen und Aufmerksamkeit und Sympathie gewinnen.

Gute Symbolik können die Windenergieexperten von der Schwäbischen Alb auch im Kerngeschäft. Im Mai 2023 war Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf ihre Baustelle des seit Jahresende einspeisenden Windparks Sulzbach-Laufen gekommen, mit Grünen-Parteifreundin Thekla Walker als Umweltministerin und Journalisten. Die auf dem Höhenzug Limpurger Berge entstehenden sieben Anlagen vom modernsten Enercon-Turbinentyp E-160 mit je 5,56 Megawatt (MW) Nennleistung kennzeichneten die Trendwende beim Windkraftausbau in dem südwestlichen Bundesland, sagte Kretschmann. Weil das 39-MW-Projekt in nur acht Monaten nach dem Antrag die Genehmigung erzielt hatte, lobte er das rekordverdächtige Tempo und diktierte in Blöcke und Mikros: „Der Hochlauf hat jetzt begonnen.“

Vor allem veranschaulicht das Projekt, wie es in einer vermeintlich traditionell windparkskeptischen Umgebung am Ende der dritten Kretschmann-Koalition im Stuttgarter Landtag von Grünen und CDU mit geplanten Turbinenstandorten auf einmal schnell gehen kann. Im Oktober 2024, eineinhalb Jahre nach dem Kretschmann-Auftritt, feierten die Akteure mit Anwohnenden nun die Parkeröffnung. Uhl Windkraft hatte sich mit dem auf Bürgerbeteiligung spezialisierten Tochterunternehmen ZEAG des baden-württembergischen Energiekonzerns EnBW zusammen getan. Beide haben gleiche Anteile. Nach der Genehmigung 2022 hatte Partner ZEAG eine Energiegenossenschaft zur Beteiligung von Anwohnern aktiviert, die Gemeinde Sulzbach mit kleinem Anteil dazugenommen und Transport und Logistik über bestehende Gemeindestraßen und Waldwirtschaftswege ohne Extra-Rodungen über die Turbinenbetriebsflächen hinaus organisiert. Ohne Einsprüche überstand die Planung ihre öffentliche Auslegung.

Baden-Württemberg ist in Sachen Windkraft auf dem Ausbaupfad, der zum Erreichen der Klimaschutzziele notwendig ist.

STAATSMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG im September 2024 zum Ergebnis einer persönlichen Bilanz von Umweltminis- terin Thekla Walker (Grüne)

Windparkprojektierungen blühen auf

Tatsächlich ändert sich etwas in der Großregion, die hier mundartlich Ländle heißt. Noch war sie zum Jahreswechsel mit 1.889 MW betriebener Turbinennennleistung die drittschwächste deutsche Windkraftregion. Nach kurzem Boom von 2015 bis 2018, ausgelöst von Reformen der ersten Legislaturperiode Kretschmanns in einer Koalition mit der SPD, war der Windkraftzubau zum Erliegen gekommen. Auch auf den Limpurger Bergen: Uhl Windkraft hatte sich Staatsforstflächen als Teil des Standorts schon 2013 durch einen Zuschlag der öffentlich-rechtlichen Forst BW gesichert. 2016 hatten zwei betroffene Gemeinden dann ihre Flächennutzungspläne für Windkraft geöffnet und die Windparkprojektierer neun knapp 4 MW leistende Anlagen geplant und gebaut. Doch die ebenfalls über einen Flächenanteil verfügende Gemeinde Sulzbach scheute die Planänderung zuerst – bis 2021: „Wir sind mit Sulzbach immer im Gespräch geblieben und konnten sie 2021 bei landesweit verbesserter politischer Stimmungslage für den Flächennutzungsplan gewinnen“, sagt Unternehmenschef Franz Uhl. Er wertet lokale Kenntnisse seiner Mitarbeitenden und einen langen Atem als die Erfolgsfaktoren.

Landesweit blühen Windparkprojektierungen nun auf. Knapp 800 aktuell ans Netz angeschlossene Windturbinen sowie 777 entweder baugenehmigte oder vorerst noch in Genehmigungsverfahren eingebrachte oder wenigstens als Planung vorgestellte künftige Windturbinen zählte Umweltministerin Walker im September als angesammeltes Ausbaupotenzial bis 2030. Woraus die für Energiewende zuständige höchste Amtsleiterin ableitete, Baden-Württemberg sei „auf dem Ausbaupfad, der zum Erreichen der Klimaziele notwendig ist“. Sie verwies auf das sogenannte Sektorenzielgutachten von 2023: Forscher fünf umweltwissenschaftlicher Institute hatten von Ende 2021 an für die Landesregierung errechnet, dass für das 2030 fällige Klimazwischenziel des Landes 1.400 Windenergieanlagen in Betrieb sein müssen, um wie vorgegeben dann nur etwa halb so viel Treibhausgas wie 2021 auszustoßen.

1.063 Geplante Windturbinen zeigte das Dashboard Windenergie für Baden-Württemberg Mitte Februar an.

Und das Potenzial wächst weiter: Kein halbes Jahr später zeigt das landeseigene Internetportal „Dashboard Windenergie“ Ende Februar schon 178 baugenehmigte, 182 in Genehmigungsverfahren eingebrachte und für 704 Anlagen vorgestellte zusätzliche Planungen an. Nun sind es also schon 1.063 geplante Turbinen.

Den Anschub hatte die Landesregierung zu Beginn der dritten Amtsperiode Kretschmanns bewirkt. Im Koalitionsvertrag hatten Grüne und Christdemokraten im Mai 2021 versprochen, alleine durch eine Vergabeoffensive zu Staatswald- und Landesflächen den Bau von bis zu 1.000 neuen Windenergieanlagen zu ermöglichen. Die Kampagne soll mindestens die Hälfte der benötigten Planungsgebiete im Volumen von zwei Prozent des Landesgebiets einbringen. Außerdem nahm sich das Regierungsbündnis – parteifarbengemäß: Schwarz-Grün – die Digitalisierung, Vereinheitlichung und Qualitätssicherung sowohl der gemeindeeigenen Flächennutzungs- als auch der weiter ausgreifenden Regionalpläne vor. Und es kündigte ein aktualisiertes Klimaschutzgesetz an, einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren sowie eine Taskforce fürs Finden weiterer Maßnahmen.

Grün-Schwarz lieferte zügig. Das Klimaschutzgesetz verlangt seit Juni 2023, dass die Regionalverbände bis Ende September 2025 neue Windkrafteignungsflächen ausweisen. Schon Anfang 2023 legte die Taskforce einen Fahrplan für 25 Maßnahmen vor. Entsprechend öffnete das Land die Grünzüge und Landschaftsschutzgebiete, räumte im Schwarzwald planerische Hürden zum Auerhuhn-Schutz weg, richtete Stabsstellen an Regierungspräsidien ein, um Abläufe der Genehmigungsverfahren zu prüfen und zu vereinheitlichen, und setzte ein Monitoring zu den Effekten in jedem halben Jahr an. Es ließ Widerspruchsverfahren gegen Windprojekte abschaffen, Genehmigungsverfahren digitalisieren, Schwerpunkträume für durch Windparks gefährdete Vögel bestimmen, außerhalb derer Prüfungen zum Vogelschutz weniger akribisch ausfallen. All das verkürzte die Genehmigungsdauer schnell: So brauchten die Verfahren 2024 im Ländle noch im Schnitt 12,6 Monate, nach 25,6 Monaten 2022. Und vom Antrag bis zur Inbetriebnahme dauern Projektierungen komplett statt 7 nur noch 3,5 Jahre.

Bei Uhl Windkraft können Chef Franz Uhl und der Leiter der Projektierung Matthias Pavel die Entwicklung nachvollziehen. Baden-Württemberg-weit zählen sie Anfang Dezember 9 genehmigte Anlagen in ihrer Projektpipeline, außerdem 40 in verschiedenen Planungsstadien. 2027, eher 2028 werde Uhl Windkraft die aktuell geplanten Anlagen an die Netze bringen könne, deren Projektierungen durchweg zu Beginn der neuen Legislaturperiode begonnen hatten. Weil noch keine Regionalpläne vorliegen, sind die Vorhaben vorerst aufwendig. „Das können ganz kleinteilige Strukturen mit 150 Grundstückseigentümern sein“, sagt Uhl. „Dabei lassen wir, um Akzeptanz zu bekommen, gerne allen Pacht zukommen, egal ob die Anlagen auf einem Grundstück entstehen oder daneben.“

Großprojekt mit Direktleitung zu Carl Zeiss

Die Belegschaft in dem schlichten, modernen Bau in einem nahe zur Autobahn günstig gelegenen Gewerbegebiet wächst langsam – zu unstet ist das Geschäft noch. Doch unbemerkt bleiben die erfahrenen Windkraftexperten nicht. Sie setzen am liebsten auf die größten und fortschrittlichsten Windturbinen. Aktuell bauen sie nahe am Bodensee den Windpark Hoßkirch mit sechs Vestas-Turbinen vom 7,2-MW-Typ V172. Um keine Verzögerungen durch schleppenden Netzausbau zu riskieren, wollen die Ellwanger in den nächsten fünf Jahren zehn eigene Umspannwerke bauen. Und mit einem Industriestromprojekt setzen sie erneut ein Ausrufezeichen: Für die Carl Zeiss AG projektieren sie ein Zehn-Turbinen-Windfeld mit zum Beispiel N175-Nordex-Anlagen und 68 MW zur Eigenversorgung des Stammsitzes des Optik- und Halbleiterkonzerns an der Schwäbischen Alb. Den Antrag will Pavel im Mai oder Juni einreichen, Inbetriebnahme soll 2028 sein. Carl Zeiss investiert inklusive Direktleitung zum Werk über 100 Millionen Euro.

Doch unterm Strich kommt es im Bundesland noch zu selten zum Bau. So muss der Ministerpräsident immer wieder öffentlich gegebene Zusagen zurückziehen. 100 Windturbinen sollten 2024 ans Netz gehen, kündigte er 2022 in einer Fernseh-Polit­talkshow an. Tatsächlich wurden es 24. Wäre das Sektorzielgutachten der Maßstab, müssten von nun an jährlich offenbar 100 Windenergieanlagen ans Netz. Damit nicht genug: Es bräuchte über die kommenden sechs Jahre verteilt etwa 180 zusätzliche Installationen, um die 23 Prozent der Altanlagen im Ländle zu ersetzen, die bis 2029 ihr 20. Betriebsjahr beendet haben werden und gemäß einer Branchenregel als dann unrentabel gelten.

8.000 Hektar Waldfläche hat das öffentlich-rechtliche Staatsforstunternehmen Forst BW als Windkraftplanungsfläche bezuschlagt. Sie sollen Raum für 40 Projekte mit 300 Anlagen bieten.

Bei solchen Berechnungen wechselt die Umweltministerin die Perspektive. Letztlich zähle nur die im Sektorzielgutachten für 2030 gesetzte Erzeugungskapazität 6,1 Gigawatt (GW), lässt sie eine Sprecherin auf eine Anfrage von ERNEUERBARE ENERGIEN antworten. Dank mutmaßlich rasch zunehmender Nennleistungen der Turbinentypen müssten vielleicht wesentlich weniger Anlagen als 1.400 bis 2030 ans Netz.

Doch bleibt die Diskrepanz zwischen den optimistischen Analysen Kretschmanns und Walkers und dem chronisch geringen Ausbaugeschehen. Mit neu genehmigten 298 MW und bezuschlagten 215 MW blieb Baden-Württemberg 2024 Schlusslicht unter den Flächenländern, abgesehen vom winzigen Saarland. Auch absolut ist das bei zeitgleich bundesweiten Rekordgenehmigungen von 14 GW und Zuschlägen für fast 11 GW glasklar zu wenig.

Stehen viele Projekte nur auf dem Papier?

Es „existieren viele Anlagen nur auf dem Papier“, kritisierte im Januar ein ARD-Bericht der Frühstücksfernsehsendung Moma. Der Zubau konzentriert sich auf Musterprojekte, wo überzeugte Lokalpolitiker, innovative Windparkprojektierer und der von der Landesregierung mit der Taskforce entwickelte politische Druck auf Genehmigungsämter zusammenwirken. So setzen sich Großprojekte durch wie der 33,6-MW-Windpark Bingen aus acht Enercon-Turbinen des Stromerzeugers Alterric aus Niedersachsen. Frühe Überlegungen in der Kommune für einen Windpark schon 2010 hatten zu heftiger Gegenwehr durch eine Bürgerinitiative geführt. Alterric gewann in einem modernen Beteiligungsverfahren die Bürgerschaft für sich, die im Juli bei einer Befragung klar für die größere Variante des Windparks stimmte. Auch Eigenversorgung der Industrie mit preisgünstigem Windstrom zieht. So haben sich auch Badarmaturen-Hersteller Hansgrohe, Rohrefertiger Fischer Gruppe oder Gerätekonzern Bosch durch Projektierungsunternehmen mit ein bis zwei Eigenversorgeranlagen ausstatten lassen oder lassen die Anlagen noch planen.

Der Windpark Magolsheim mit sechs E-175 auf der Schwäbischen Alb lässt sich von der Genehmigung im März vorigen Jahres bis zur geplanten Inbetriebnahme im Herbst sogar binnen nur gut eineinhalb statt zweieinhalb Jahren stemmen. Projektentwickler ist hier das Stuttgarter Ingenieurbüro Schöller. Dessen Projektleiter Johannes Wild erklärte im Januar im TV-Interview, warum es in „Ba-Wü“ noch wenige, aber bald vielleicht mehr Magolsheims gibt: „Es ist so, dass hier die Weichen erst in den letzten zwei bis drei Jahren in Richtung Windenergie gestellt wurden.“

Vorher waren die Kommunen mit den Flächennutzungsplänen – kurz: FNP – vielerorts auch überfordert. Lange hatte Baden-Württemberg keine Regionalplanungen mehr neu ausgewiesen, weil sie die Kommunen über die FNP selbst bestimmen lassen wollten. In der Branche lautet eine von Planern hinter vorgehaltener Hand geäußerte These, dass inzwischen abgelöste konservative Landräte und Regionalverbände die FNP oft ausgebremst hätten. Eine andere These identifiziert bisherige Bremser eher in den Genehmigungsbehörden. Einigkeit herrscht darin, dass der große Ausbauschub nach der Ausweisung der Flächen in neuen Regionalplänen nun folgen wird.

„Die Landesregierung hat seit 2016 mit dem Hinweis, dass es demnächst kräftig aufwärtsgehe, etliche Jahre fast nichts getan“, sagt die umweltpolitische Sprecherin der oppositionellen SPD im Landtag, Gabi Rolland. „Und das CDU-geführte Agrarministerium hat viele Waldflächen für Windkraft vergeben, jedoch hintertreibt sie den Windkraftausbau, indem sie überhöhte Pachtpreise will und anscheinend auch untaugliche Flächen an untaugliche Investoren vergibt. Nach Jahren steht noch auf keiner dieser Flächen ein Windrad.“

Richtig ist, dass das Staatsforstunternehmen Forst BW seit 2021 im Rahmen der neuen Vermarktungsoffensive 8.000 Hektar Windkraftplanungsfläche neu für gut 40 Projekte mit mehr als 300 Anlagen bezuschlagte. Zeitnah nach der Ausweisung der Regionalpläne will Forst BW ergänzend weitere Flächen ausschreiben. In den ersten beiden Jahren bezuschlagte Projekte sehen Inbetriebnahmen für 2026 bis spätestens 2028 vor, ein Projektunternehmen hat den Zuschlag aber wegen höherer Kosten und fehlender Rentabilität zurückgegeben.

Ministerpräsident Kretschmann wird dann freilich nicht mehr regieren. Im Frühjahr 2026 sind die nächsten Landtagswahlen und Kretschmann will aus Altersgründen nicht mehr antreten.