Erstmals seit dem ersten Halbjahr 2021 setzen Bauteams wieder Baukörper neuer Offshore-Windenergieanlagen in die deutsche See. Wie der Marktanalysedienst Deutsche Windguard bei seiner Halbjahresbilanz des Offshore-Windkraft-Geschäfts in Deutschland nun bilanziert, errichteten die Installationsfirmen im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits einen Großteil der Fundamente der Offshore-Turbinen des geplanten Windparks Kaskasi. Auch das Umspannwerk im Meer steht dort schon, das die zur Stromübertragung an Land benötigte höhere Spannung herstellt. Das Nordsee-Vorhaben Kaskasi soll nach den Plänen des projektierenden Energieversorgers RWE mit 342 Megawatt (MW) Erzeugungskapazität noch Ende 2022 in Betrieb gehen. Auch für Ostsee-Projekt Arcadis Ost des belgischen Energieunternehmens Parkwind mit 247 MW installierten die Errichtungsteams bis Ende Juni schon die Umspannstation. Nun findet die Errichtung der Anlagen mitsamt Fundamente statt. Die Inbetriebnahme sieht Parkwind für die erste Jahreshälfte 2023 vor. Und im Ostsee-Windfeld des 476-MW-Projektes Baltic Eagle dürfte der spanische Energiekonzern Iberdrola ebenfalls noch in diesem Kalenderjahr rasch Betriebsamkeit einkehren lassen. Hier soll die vollständige Einspeisung 2024 erfolgen.
Damit ist der knapp einjährige, eigentlich sogar fast zweijährige Stillstand beim deutschen Offshore-Windkraftausbau wohl endgültig Geschichte. Und er dürfte auf absehbare Zeit ein Ereignis ohne Wiederholung bleiben. Der Stillstand war die Folge eines ungenügend vorbereiteten scharfen Systemwechsels bei der Vergabe von Projektierungs- und Netzanschlussrechten und bei der Ermittlung der Einspeise-Vergütungshöhe. Ausschreibungen an die Bieter mit den geringsten Vergütungsforderungen lösten von 2018 an gesetzlich fixierte Vergütungshöhen ab. Viele Investoren und Projektierer mussten aufgrund der gänzlich neuen Regeln durch das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) von 2017 noch zuvor angeschobene Vorhaben ruhen lassen oder umplanen. Aber erst seit 2021 ist es wieder möglich, gänzlich neue Projektierungen bis zur Entscheidungsreife für die Investoren voranzutreiben. Denn erst dann fand die erste Ausschreibung nach dem 2017 eingeführten sogenannten zentralen System statt. Von 2018 bis 2020 hatten die Unternehmen im Rahmen von Übergangsregeln noch die letzten Offshore-Windparks aus alten Planungen verwirklicht. Anfang 2021 hatten sie noch ein paar Restturbinen dieser älteren Projektvorhaben errichtet.
Ab jetzt wird der Offshore-Windkraft-Ausbau vor deutschen Küsten bis wohl einschließlich 2027 stetig wenngleich auch unregelmäßig zunehmen. Der mittlere jährliche Zubauwert in diesem Sechs-Jahreszeitraum wird rund 850 MW betragen. Möglicherweise werden es im Mittel der nächsten fünf Jahre sogar 1.000 MW sein, sollte auch der vom Bremer Windparkprojektierungsunternehmen WPD geplante Ostsee-Windpark Gennaker mit rund 930 MW noch 2026 ans Netz gehen. Anfang Juli hatten WPD und Turbinenlieferant Siemens Gamesa den Zeitplan für das Vorhaben angekündigt. Gennaker soll in Küstennähe als Sonderprojekt außerhalb des Haupt-Ausschreibungssystems Zentrales Modell entstehen.
Wie Deutsche Windguard analysierte, kommen so im genannten Zeitraum zur bisher errichteten Nennleistung der deutschen Offshore-Windparks von 7,8 Gigawatt (GW) zunächst 4,1 GW an zumindest bezuschlagter oder auch schon im Bau befindlicher Offshore-Windkraft in neun Projekten hinzu. Weitere bis zu 1,9 GW folgen aus der Ausschreibung dreier Windkraftnutzungsflächen im September 2022 und durch das Küstenmeerprojekt Gennaker. Dies werden die letzten möglichen Windparks unter dem Regime des WindSeeG 2017 sein.
2027 würde die Erzeugungskapazität dann fast 14 GW erreicht haben. Ab 2028 dürfte das Tempo des Offshore-Windpark-Ausbaus allerdings noch wesentlich zunehmen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) veröffentlichte jüngst im Entwurf des fortgeschriebenen Flächenentwicklungsplans weitere Flächen, die zusätzliche 17,8 GW bis 2030 realisieren ließen. Deutsche Windguard und die Offshore-Windenergie-Organisationen werten deshalb das neue deutsche Regierungsziel für den Ausbau der Offshore-Windkraft für das Jahr 2030 als machbar: „Auf Basis dieser Planungen könnte das Ausbauziel von 30 GW bis 2030 knapp erreicht werden“.
Einschränkungen gelten für diese Kalkulation noch insofern, als für vier der neun bis zehn aktuellen Offshore-Windpark-Vorhaben mit zusammen 1,6 GW die Investitionsentscheidungen noch ausstehen. Und für Gennakers 0,9 GW haben WPD und Siemens Gamesa bisher erst einen bedingten Turbinenliefervertrag abgeschlossen, auch weil die zur zweiten Hälfte des kommenden Jahres 2023 erwartete Netzanschlusszusage noch aussteht.
Innerhalb der kommenden fünf Jahre wird allerdings das Topjahr 2015 weiter Bestand haben. 2025 wird das vorläufige beste Zubaujahr in dieser Phase mit 1,8 GW neu installierter Leistung werden. Es wird das Jahr mit der zweithöchsten in einem Jahr neu installierten Erzeugungskapazität, zehn Jahre nachdem die Windenergieunternehmen in deutschen Seegebieten fast 2,3 GW ans Netz gebracht hatten.
Ab 2028 soll die Beschleunigung der Offshore-Windpark-Installationen sprunghaft zu neuen Bestwerten führen. Dies scheint spätestens Anfang 2022 seit der damaligen Vorlage des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung abgemacht. Im April hatte das Kabinett der Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP dem entsprechend die Reform des WindSeeG eingeleitet. Das WindSeeG 2023 gehört dem sogenannten Osterpaket mit mehreren Gesetzen zur Beschleunigung der Energiewende an. Das Gesetzespaket hat der Bundestag nun, Anfang Juli, verabschiedet.
Allerdings sind sich die Windenergieorganisationen der Anschubwirkung des neuen WindSeeG nun offenbar nicht mehr ganz so sicher. Denn die Koalition hat insbesondere auf Betreiben der FDP kurz vor Abschluss der Gesetzgebung einige vorgesehene zentrale Neuregelungen zurückgenommen oder abgeschwächt. So stehen zwar weiterhin Ausschreibungen für rund 20 GW für die Jahre 2023 bis 2025 an. Schon 2023 und 2024 erfolgen Ausschreibungsrunden mit jeweils 8 bis 9 GW. Doch die Wettbewerbsregeln im WindSeeG 2023 versagen die von der Offshore-Windenergie-Branche erwartete bessere wirtschaftliche Kalkulierbarkeit.
Insbesondere steht im nun verabschiedeten WindSeeG keine Einführung mehr der von der Branche gewünschten Differenzverträge bevor: der international als Contracts for Difference (CFD) – zu Deutsch: Differenzverträge – bezeichneten Ausschreibungs-Vergütungszuschläge. CFD bestimmen einen gesicherten Stromeinspeisepreis. Windparkbetreiber erhalten im CFD-Rahmen eine Zusatzvergütung durch die Netzbetreiber bis zu einem Preisniveau, für das ihr Windpark in der CFD-Ausschreibung den Zuschlag erhalten hatte. Sie bekommen den Aufpreis, so lange sie für ihre Elektrizität am Stromgroßhandelsmarkt weniger einnehmen als ihr CFD-Niveau verspricht. Steigt der Stromhandelspreis über den CFD-Preis, geben die Windparkbetreiber ihre Mehreinnahmen an die Netzbetreiber beziehungsweise an einen Fonds zur Finanzierung der CFD-Vergütungen ab.
Von den Differenzverträgen hatten sich Investoren und Windparkprojektierer eine Abhilfe gegen die Tendenz zu immer häufigeren Null-Cent-Vergütungen erhofft. Um den Zuschlag im Bieterwettbewerb der Ausschreibungen zu erhalten, verlangen die Projektierer nämlich immer öfter keine Vergütungsabsicherung mehr und setzen alleine auf gute Stromhandelspreise. Dafür nehmen sie allerdings auch das Risiko negativer Handelspreise in Stromüberschussphasen in Kauf, wenn reichlich Wind die Stromerzeugung über den Bedarf anschwellen lässt, während der die Stromhändler die Stromkunden für die Abnahme der Elektrizität sogar bezahlen müssen. Die Branchenorganisationen kritisieren, dass die Null-Cent-Gebote in den Ausschreibungen dadurch unkalkulierbare Mehrkosten für das Stromsystem insgesamt verursachen. Die Risiken negativer Handelspreise erhöhten den Druck auf die Unternehmen, ihr Preisrisiko mit höheren Handelspreisen abzusichern.
Das neue WindSeeG könnte die Wettbewerbssituation noch verschärfen. Während im WindSeeG 2017 die Ausschreibungsbehörde bei mehreren Null-Cent-Geboten zu einer Auslosung des Zuschlags gezwungen war, sollen die Windparkprojektierer nun von vornherein eine Zahlung für das Recht auf einen Zuschlag anbieten. Dabei sieht das neue System sowohl eine Ausschreibung für Windparks auf wie bisher durch das BSH zentral voruntersuchten Flächen, als auch auf von den Projektentwicklern selbst voruntersuchten Flächen vor. Den Zuschlag für Projekte auf den zentral voruntersuchten Flächen erhalten die Bieter gemäß einem Punktesystem. Am meisten zählt die Höhe ihres Zahlungsgebots. Zusätzlich zählen auch von den Branchenorganisationen tatsächlich erhoffte qualitative Maße. Sie gehen nun allerdings mit einer geringeren Wertung einher, als es im Gesetzentwurf für das WindSeeGesetz 2023 zunächst stand. Anders als von der deutschen Offshore-Windkraft-Branche erhofft, schrieb die Regierung dabei keine Kriterien fest, die eine Systemdienlichkeit der Windparks unterstützen – also die Installation von Speichern beispielsweise vorsehen, um unregelmäßige Windstromerzeugung abzupuffern beziehungsweise durch das zusätzliche Ein- und Ausspeichern von Windstrom besser auf den Verbrauch im Netz abzustimmen. Auch die Eignung der Rotorblätter fürs Recyceln nach einem Abriss alter Turbinen fehlt nun. Dafür sollen die Anbieter mit einem höheren Anteil an Auszubildenden an der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten punkten. Diesen Anteil müssen sie auch bei ihren Zulieferern ausweisen. Ebenso zählt der im Verhältnis zur angebotenen Erzeugungskapazität geringste Kohlendioxidausstoß durch die Anlagenproduktion sowie durch den Betrieb des Windparks. Beide Regelungen sollen außereuropäische Konkurrenz und vor allem Wettbewerbsunternehmen aus China aus dem Markt heraushalten. Auch ein hoher Anteil der Stromvermarktung durch mehrjährige Lieferverträge mit großen Industrieunternehmen zählt. Durch diese Power Purchase Agreements (PPA) müssen die Bieter einen möglichst großen Anteil der Erzeugungskapazitäten des Windparks finanziell absichern.
Wo die Gebote allerdings auf dieselbe Punktzahl kommen und auch die Zahlungsgebote gleich hoch sind, zählt eine neu eingeführte so genannte zweite Gebotskomponente: Die Bieter müssen dann in einer nachfolgenden Auktionsrunde ihre Zahlungsangebote nachbessern.
In den Ausschreibungen für Windparks auf nicht zentral voruntersuchten Flächen hingegen bieten die Projektierer direkt und einzig mit der Höhe ihrer Zahlungsangebote. Auch die Windparkvorhaben auf den nicht zentral voruntersuchten Flächen müssen einen PPA-Anteil nachweisen. Hier ist die zweite Gebotskomponente zudem die Regel. Sie sieht eine Erhöhung der Zahlungsangebote in mehreren Gebotsrunden vor – so lange bis nur noch ein Bieter im Rennen bleibt. Allerdings soll das Verfahren dazu führen, dass die Windparkprojektierer nicht sofort mit spekulativen Höchstgeboten ins Rennen gehen, sondern ihre Gebote maßvoll erhöhen.
Die Offshore-Windenergie-Organisationen kritisieren das neue Verfahren nicht nur als schlecht kalkulierbare Erschwernis für die Investoren und Projektierer, sondern warnen auch vor einem Auftrieb bei den Industriestrompreisen: Diese könnten um bis zu 21 Euro pro Megawattstunde steigen, weil viele Windparkbetreiber die Unkosten über höhere Preise in den PPA zurückholen müssten. Eine Deckelung der Höhe der Zahlungen hat die Bundesregierung anders als von den Windenergieorganisationen verlangt, nicht ins Gesetz hineingeschrieben.
Allerdings soll eine Spezialregel es erlauben, dass ausnahmsweise Industriestrompreise durch eine Vergütung mittels des CFD-Mechanismus abgesichert werden können. Hierfür soll es dann doch staatliche Ausschreibungen geben. Im WindSeeG 2023 besteht diese Option freilich vorerst nur in Form einer Verordnungsermächtigung. Außerdem sieht die Neuregelung des WindSeeG nun sechs Jahre lang eine jährliche Ausschreibung von Wasserstofferzeugungskapazitäten im Zusammenhang mit Offshore-Windstromerzeugung schon ab 2023 vor. Das Volumen beträgt 500 MW. Damit auch für kleinere Projektierungsunternehmen eine Teilhabe am Offshore-Geschäft realistisch wird, sollen die Größen der Ausschreibungsgebiete von eher kleinen Ausschreibungsflächen für nur 500 MW bis zu großen 2-GW-Arealen reichen.
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