Der Bau einer Photovoltaikanlage ist inzwischen eine gut eingeübte Sache bei den Projektierern. Sie haben allerdings immer wieder Probleme, die Anlagen in Betrieb zu nehmen. Denn die Solaranlage muss mit den Kommunikations- und Anschlussregeln des jeweiligen Netzbetreibers zurechtkommen. Für Generatoren mit einer Leistung zwischen 135 und 950 Kilowatt wird dazu ein vereinfachtes Anlagenzertifikat B notwendig.
1.000 Anlagen in der Warteschleife
Inzwischen hat sich ein riesiger Rückstau gebildet. „Allein im Jahr 2022 konnten 1.000 fertig geplante Anlagen nicht ans Netz gehen, weil ihnen die Zertifizierung fehlte. Und 2023 waren viele Zertifizierungsstellen bereits im August überlastet, sodass keine weiteren Anträge mehr bewilligt werden konnten“, sagt Jelena Mrvelj von Certflow, dem Anbieter einer Plattform zur beschleunigten Zertifizierung von Solaranlagen.
Der Zertifizierungsstau kostet die Solarbranche jede Menge Geld. „Jeder vergeudete Monat kostet pro Anlage im Schnitt 1.500 Euro“, weiß Jelena Mrvelj. Das summiert sich, auf 1.000 Anlagen pro Jahr hochgerechnet, auf fast 100 Millionen Euro. Die Bundesregierung hat auf dieses Problem reagiert. So sollen in Zukunft nur noch Anlagen mit mehr als 500 Kilowatt Leistung der Zertifizierungspflicht unterliegen.
Zertifizierung hält auf, macht aber sicher
Im Bundeswirtschaftsministerium geht man davon aus, dass dadurch jedes Jahr etwa 17.000 Zertifizierungen wegfallen könnten. Die Daten basieren auf dem zu erwartenden Ausbau aufgrund der Ausbauziele der Bundesregierung. Für viele Projektierer ist dies ein guter Ansatz, um die Anlagen schneller ans Netz zu bekommen.
Marko Ibsch warnt allerdings vor zu viel Euphorie. Er ist Geschäftsführer von Carbonfreed, einem Bindeglied zwischen Zertifizierungsstelle, Projektierer und Netzbetreiber. „Es fehlt die Gegendarstellung, dass es nicht nur Aufwand, sondern auch Sicherheit ist, die wir mit einer Zertifizierung bekommen“, erklärt Marko Ibsch seine Kritik.
Er geht davon aus, dass das Problem nur verschoben wird. Wenn die Anlagen nicht richtig mit dem Netz kommunizieren, müssen sie später entsprechend nachgerüstet werden, damit das Stromnetz stabil bleibt. „Wir können aus unserer täglichen Arbeit das Ergebnis einer Umfrage unter den Zertifizierern bestätigen: Nur 20 Prozent aller Anlagen sind korrekt geplant“, sagt Marko Ibsch. „Das lässt darauf schließen, dass sich 80 Prozent der Anlagen nicht oder nur unzureichend an der Systemstabilität beteiligen, was im Falle von Netzstörungen zu Problemen führen wird.“
Schutzkonzepte müssen bleiben
Zudem wird es den Stau beim Netzanschluss nicht beheben. „Wenn die Zertifizierung wegfällt, bleibt ja trotzdem die Notwendigkeit, dass sich die Anlagen richtig am Netz verhalten“, erklärt Marko Ibsch. „Die Schutzkonzepte müssen trotzdem bleiben. Der Aufwand für die jetzt schon überlasteten Netzbetreiber steigt weiter, wenn die Vorarbeit der Zertifizierer nicht mehr gemacht wird. Deshalb mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass die Anhebung der Grenze zur Zertifizierung das Gegenteil bewirkt. Denn dann ist zu befürchten, dass der Netzanschluss für die Anlagen noch viel länger dauert, weil die Netzbetreiber nicht mehr mit der Bewertung des Schutzkonzepts und der Einspeiseüberwachung hinterherkommen.“
Tatsächlich geht die Bundesregierung davon aus, dass von den 17.000 Anlagen, die nicht zertifiziert werden, 15.300 von den Netzbetreibern nachgeprüft werden müssen. Deshalb plädiert Marko Ibsch für mehr Transparenz und eine konsequente Digitalisierung des gesamten Zertifizierungsprozesses, um schneller zu werden.
Transparenz und Digitalisierung
Denn das eigentliche Problem ist, dass die Netzbetreiber keine einheitlichen Standards haben. Dazu kommt noch, dass viele Anlagenerrichter vorher gar nicht wissen, welche Regeln sie eigentlich einhalten müssen. „Neben der fehlenden Transparenz ist auch die Bearbeitung der Anschlussanträge bei den Netzbetreibern sehr langsam, weil diese nicht hinterherkommen“, kritisiert Marko Ibsch.
Das liege auch daran, dass viele Netzbetreiber noch zu analog aufgestellt seien. Auf diese Weise können Softwarelösungen wie Gridcert von Carbonfreed oder die digitale Plattform von Certflow kaum ihre Stärken ausspielen.
Eine Sache von Stunden
Eigentlich kann ein solcher Zertifizierungsprozess schnell gehen. „Der gesamte Aufwand für eine manuelle Zertifizierung beträgt in Summe ungefähr 15 bis 20 Stunden. Diese 15 bis 20 Stunden ziehen sich aber teilweise über drei bis sechs Monate. Wenn alles gut vorbereitet ist und die Prozesse schlanker wären, könnte man das in ein bis zwei Tagen schaffen“, sagt Ibsch.
Dazu kommen noch die Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz in Zukunft bieten kann. Marko Ibsch geht davon aus, dass dann der gesamte Zertifizierungsprozess – komplette Digitalisierung vorausgesetzt – eine Sache von einer Stunde sein könnte.
Jeder vergeudete Monat kostet pro Anlage im Schnitt 1.500 Euro.
Es fehlt die Gegendarstellung, dass es nicht nur Aufwand, sondern auch Sicherheit ist, die wir mit einer Zertifizierung bekommen.