Weitgehend von der Presselandschaft unbemerkt hat sich in der schwäbischen Universitätsstadt Tübingen so etwas wie eine Revolution ereignet – zumindest eine ökologische Revolution. Denn vor kurzem hat die Stadtversammlung beschlossen, dass auf jedes neu gebaute Haus eine Solaranlage gehört. Konkret geht es darum, dass in jedem Grundstücksverkauf, der mit der Stadt abgeschlossen wird, festgeschrieben ist, dass auf dem Gebäude, das auf diesem Grundstück errichtet wird, eine Photovoltaikanlage zu installieren ist. Das funktioniert, da nahezu neue Baugrundstück durch die Hände der Stadt geht, sind fast alle Neubauten von dieser Regel betroffen. Um hier kein Hintertürchen offen zu lassen, muss auch in städtebaulichen Verträgen die Pflicht einer Photovoltaikinstallation auf dem Hausdach festgeschrieben werden.
Nun ist es selbst unter den Verfechtern der Energiewende umstritten, ob so eine Pflicht der richtige Weg ist. Zielführend ist es allemal. Doch heiligt der Zweck die Mittel, dürfen Bürger zu ihrem Glück gezwungen werden oder haben sie das Recht dazu, Fehler zu machen? Es fällt in diesem Zusammenhang gern mal der Begriff der „Ökodiktatur“. Die dadurch steigende Investitionssumme für den Bau eines Eigenheims stehen dann vor allem jungen Familien im Wege. Sie könnten sich ihren Traum von den eigenen vier Wänden dann nicht mehr leisten. Vielmehr solle Überzeugungsarbeit geleistet werden und energetische Vorgaben müssen ausreichen, um die Bürger zur Investition in erneuerbare Energien zu bewegen. So zumindest die Argumentation von Karin Müller, Angeordnete der Grünen im hessischen Landtag. Mit diesen Worten hat sie 2010 als Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtparlament ihrer Heimatstadt Kassel einen ähnlichen Vorstoß des Stadtbaurates der hessischen Stadt, eine Solarpflicht einzuführen, abgebügelt.
Die Solaranlage mit einplanen
Denn Tübingen ist bei weitem nicht die einzige Stadt, die den Vorstoß einer solchen Pflicht gewagt hat, aber bisher die erste größere Stadt in Deutschland, die es auch durchgezogen hat. In Kassel hat das nicht einmal die Zustimmung des Stadtparlaments gefunden und Marburg, wo die Solarpflicht schon 2008 in die Satzung der Stadt geschrieben wurde, ist sie am Gericht gescheitert. Auch im schweizerischen Basel wurde im vergangenen Jahr ein Vorstoß zur Einführung einer Solarpflicht unternommen, fand aber in der Stadtverordnetenversammlung keine Mehrheit. Das ist in Kalifornien anders. Dort gilt die Solarpflicht sogar für den gesamten Bundesstaat – vielleicht auch eine Trotzreaktion auf den fossilen Diktator, der derzeit das Weiße Haus in Washington besetzt hält.
Doch zurück zur Frage, ob das eine sinnvolle Entscheidung ist. Zumindest so, wie es in Tübingen gehandhabt wird, ist eine Solarpflicht durchaus sinnvoll. Denn dann kommt niemand mehr drum herum, über die Installation einer Solaranlage zumindest nachzudenken, selbst wenn es vielleicht gerade nicht in den Kram passt. Denn die überwältigende Mehrheit der Deutschen – immerhin mehr als 90 Prozent – ist zwar dafür, dass die Energiewende schnell vorangeht. Doch mit Blick auf die Zubauzahlen der vergangenen Jahre ist da von einem persönlichen Engagement nur wenig zu spüren.
Für die Zukunft bauen
Selbst Architekten müssen jetzt endlich einmal die Solarenergie mit in Betracht ziehen und können sich nicht immer wieder auf den Standpunkt zurückziehen, dass sich das nicht lohnen würde und sie ohnehin keine Lust auf lästige Stromerzeugungsanlage auf den wunderhübschen Hausdächern haben. Hier liegt sogar nahe, dass die Solaranlage endlich zum integralen Bestandteil der Architektur wird, einer Architektur, die in die Zukunft weißt, die auch in 20 oder 30 Jahren noch modern ist und nicht einfach nur die gegenwärtigen Standards wiederkäut.
Auch die höheren Investitionskosten sind kaum ein Argument, mit dem hier vernünftig agiert werden kann. Denn zum einen schreibt Tübingen nur vor, dass die Solaranlage auf Dächern von Gebäuden zu installieren ist, in denen auch Strom verbraucht wird. Zum anderen gilt die Solarpflicht nur so lange, wie es in der Stadt auch ein Angebot gibt, dass Bauherren eine Solaranlage pachten können. Dieses Angebot wird derzeit unter anderem von den Stadtwerken abgedeckt.
Photovoltaik verschwindet in den Baukosten
Zudem sind die Preise für die Photovoltaik so weit gesunken, dass sie in der Gesamtsumme für einen Neubau nahezu verschwinden. Der Bundesverband Bauwirtschaft geht durchschnittlich von etwa 2.400 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche für ein Mehrfamilienhaus aus – ohne Nebenkosten und Kaufpreis für das Grundstück. Ein Gebäude mit zwölf Wohneinheiten mit einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 60 Quadratmetern würde dann allein an Baukosten mehr als 1,7 Millionen Euro zusammenkommen. Die Baukosten für einen Quadratmeter Einfamilienhaus sind noch höher. Berechnungen haben ergeben, dass ein durchschnittliches Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 120 Quadratmetern durchaus 270.000 Euro kosten kann. Nach oben sind da keine Grenzen gesetzt.
Eine wirtschaftlich sinnvolle Solaranlage auf einem privaten Hausdach ist hingegen derzeit schon für weniger als 8.000 Euro inklusive Installation und Inbetriebnahme zu haben. Im Mehrfamilienhaus liegen diese Kosten zwar höher, verteilen sich aber einerseits auf mehr Eigentümer und der Eigenverbrauch im Gebäude ist potenziell noch höher als im Einfamilienhaus. Denn mit dem Eigenverbrauch amortisiert sich die verpflichtend zu installierende Solaranlage innerhalb weniger Jahre und dann spielt das Kostenargument ohnehin keine Rolle mehr.
Jeder trägt eine Verantwortung
Ein Solarpflicht würde aber nicht nur die Bauherren treffen, die sich ihr Wohneigentum schaffen, sondern auch Unternehmen und vor allem Vermieter. Vor allem letztere drücken sich gern einmal um die sinnvolle Installation einer Solaranlage. Schließlich haben sie keinen Kostenvorteil, vor allem in Städten wie Tübingen, wo die Nachfrage nach Wohnraum das Angebot weit übersteigt.
Schon deshalb ist eine Solarpflicht durchaus ein Weg, den man beschreiten kann, um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen. Denn sie ist ein probates Mittel darauf hinzuweisen, dass jeder Einzelne eine Verantwortung für den Erhalt der Erde und das Stoppen des Klimawandels ist, auch wenn es vielleicht gerade nicht passt. Kritikern sollten sich hingegen fragen, warum es keinen riesigen Aufschrei gibt, wenn ein Neubau an die Verpflichtung geknüpft sind, dass weitere Parkplätze für Autos entstehen, aber die Solarpflicht als Hindernis diffamiert wird. (Sven Ullrich)