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Haiti bekommt Solarversorgung und Smart Grid

Weg von teuren Ölimporten

Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. 80 Prozent der knapp zehn Millionen Einwohner leben unter der Armutsgrenze, 54 Prozent sogar in extremer Armut. Dies wurde noch verschlimmert durch das verheerende Erdbeben vom Januar 2010, das über 300.000 Menschenleben kostete und die ohnehin nur rudimentär vorhandene Infrastruktur des Landes weiter zerstörte. Besonders die Stromversorgung der Katastrophengebiete, Flüchtlingscamps und von Dörfern und Kleinstädten ist weiterhin kritisch: Die Energie-Versorgung Haitis hängt bis heute fast ausschließlich an Schweröl-Kraftwerken und Diesel-Generatoren, die von teuren Erdölimporten abhängig sind und daher nur sehr unregelmäßig Strom erzeugen. Dabei hat Haiti mit vier bis sechs Kilowattstunden (kWh) pro Kilowatt (kW) und Tag ein riesiges Potenzial an der Energiequelle Sonne, die bei heutigen Marktpreisen für Solartechnologie schon die fossile Stromerzeugung verdrängen könnte. Dies anzustoßen und zu unterstützen hat sich die Biohaus-Stiftung daher zum Ziel gesetzt. Die Strategie ist dabei unter anderem, als Kooperationspartner gut laufender Hilfsprojekte für die solare Energieversorgung zu sorgen.
Erstes Projekt war daher das Berufsschulzentrum CCFPL in Léogâne, wo vom süddeutschen Verein Pro Haiti ein Ausbildungszentrum für Bauberufe mit angeschlossenen Produktionswerkstätten errichtet wurde: Tischlerei, Schweißerei, Betonstein-Produktion und andere. Dieses erhielt von der Biohaus-Stiftung eine große batteriegestützte Sunny-Island-Solaranlage zur bisher 100-prozentigen Stromversorgung und war gleichzeitig Ausgangspunkt für den Bau etlicher kleinerer Photovoltaik-Stromversorgungen für Gesundheitszentren, Schulen und kleinere Krankenhäuser.

Kooperation mit Kinderhilfswerk

Daraus entstand eine mittlerweile sehr enge Kooperation mit dem internationalen Kinderhilfswerk Nuestros Pequeños Nermanos, NPH, welches in Haiti in den vergangenen 26 Jahren medizinische und therapeutische Einrichtungen und Schulen implementiert hat. Der größte Komplex befindet sich in Tabarre, einem Vorort östlich der Hauptstadt Port au Prince. Hier leben rund 300 Kinder und Jugendliche in der Obhut von NPH, rund 2.500 besuchen die Bildungseinrichtungen. In 2012 wurden 99.000 Patienten im Kinderkrankenhaus von NPH behandelt, 36.000 Erwachsene im Krankenhaus St. Luc. Erschwert wird die Arbeit durch eine unzuverlässige Stromversorgung, die bis vor Kurzem nur durch Dieselgeneratoren bereitgestellt wurde.

Das öffentliche Stromnetz in Haiti ist nur bedingt verfügbar. Das ständige Zu- und Abschalten ist mit Spannungssprüngen verbunden, die im Krankenhaus in der Vergangenheit zur Zerstörung medizinischer Geräte führte. Aus diesem Grund wurde dort die Versorgung bereits vor Jahren auf Dieselgenerator-Inselbetrieb umgerüstet. Drei Generatoren mit jeweils 200 Kilovolt Ampere (kVA) laufen im Wechsel und versorgen den Komplex unterbrechungsfrei mit Energie. Das Kinderkrankenhaus benötigt im Jahresmittel eine konstante Leistung über 80 bis 100 kVA, wobei die Lastspitzen bei 170 kVA liegen. Abbildung 1 (Seite 70) zeigt den durchschnittlichen Energiebedarf des Krankenhausstandorts im Wochenverlauf grafisch.

Der Energiebedarf pro Woche liegt zwischen 16.000 und 17.000 kWh, das entspricht durchschnittlich 73.000 kWh pro Monat. Die Kosten für die Bereitstellung lagen hier bisher monatlich bei rund 16.000 US-Dollar (etwa 11.660 Euro) nur für Diesel. Wenn bei dieser Rechnung die Kosten für Wartung und Abschreibung der Dieselgeneratoren und Anlagentechnik einbezogen werden, ergeben sich schnell Stromgestehungskosten von über 0,3 Dollar/kWh. Der Preis für Bezugsenergie aus dem Netz des haitianischen Energieversorgers EDH beträgt im Vergleich dazu derzeit 0,375 Dollar/kWh.

Seit Juni 2013 wird das Krankenhaussystem durch eine PV-Anlage mit 85 kW unterstützt. Der Solargenerator ist über fünf SMA-Wechselrichter vom Typ STP 15000TL und einen Drehstromtrafo angeschlossen. Durch die Solarenergie im Netz wird der Dieselgenerator bis auf ein Minimum gedrosselt, sodass sich der Kraftstoffverbrauch entsprechend reduziert. Zur Optimierung der beiden Energiequellen wird das von der Firma Donauer GmbH entwickelte D-Hybrid-Energiemanagement-Konzept zur Systemreglung eingesetzt. Diese überwacht im gleichen Zug Energieverbrauch und -bereitstellung und regelt die Einspeiseleistung der Solarwechselrichter bei Energieüberschuss ab. In der ersten Projektphase wurde auf dem größten elektrischen Verbraucher des Gesamtkomplexes in Tabarre, dem Kinderkrankenhaus St. Damien, die erste 85-kW-Anlage errichtet. Diese läuft nun parallel zum Dieselaggregat und reduziert den Dieselverbrauch um 20 bis 30 Prozent, in den ersten Monaten um über 35 Gallonen oder 100 Dollar pro Tag (Abbildung 2, Seite 70).

Das Energiemanagement ist skalierbar und kann um weitere Verbraucher und Energieerzeuger erweitert werden. Dies ist im aktuellen Projekt für die nächsten Standorte von NPH Tabarre geplant. Andere Standorte in Tabarre sind derzeit mit oft überdimensionierten Dieselgeneratoren ausgestattet. Sie sind also suboptimal der Last angepasst. Sie arbeiten ständig im Bereich schlechter Wirkungsgrade, verbrauchen mehr Diesel als notwendig und unterliegen höherem mechanischen Verschleiß.

Folgeprojekt intelligentes Solarnetz

In dem nun folgenden, weitaus größeren Projektabschnitt sollen alle Verbrauchseinheiten am Standort Tabarre zu einem Smart Solar Grid zusammengefasst werden. Die Dieselgeneratoreinheit soll zentral geregelt, weitere dezentrale und netzgekoppelte PV-Anlagen sollen errichtet werden. Im ersten Schritt wurde von Ende 2013 bis Mitte Februar diesen Jahres hierzu eine Situationsanalyse aller potenziellen Standorte, die im späteren Netzverbund zusammengeführt werden sollen, durchgeführt. Ergebnis: Jeder Standort war völlig überdimensioniert und aufgrund der Kosten nur stundenweise in Betrieb. So wurden zunächst einige Standorte elektrisch miteinander verbunden, mit einem halbwegs passenden Generator versehen und, wo immer das später ins Smart Solar Grid eingebunden werden kann, mit einer Photovoltaik-Anlage mit drei bis fünf kW plus Batterien optimiert.

Eine erste Kostenschätzung für das Gesamtprojekt ergibt einen noch ausstehenden Investitions-Bedarf von über 500.000 Dollar, davon fast die Hälfte für die geplanten PV-Anlagen. Trotz der großen Menge bereits gespendeter Module fehlen noch gute 200 kW sowie die dazu gehörigen Haltesysteme, Wechselrichter, Kabel und so weiter. Das neu zu errichtende AC-Netz schlägt mit 135.000 Dollar zu Buche.

Das Projekt ist auch Initiator für neue Geschäftsmodelle, um lokale Unternehmen an neue Technologien heranzuführen und Know-how-Transfer nachhaltig zu implementieren.
Im geplanten Solar Smart Grid geht es um Gästehäuser, Kindergärten und Schulen, Wohnheime, Einrichtungen der Gesundheitspflege sowie Verwaltungsgebäude in Tabarre, die sich geographisch im näheren Umfeld des Krankenhauses befinden.

Klassifizierung der PV-Module

Die für das Projekt benötigten Solarmodule befinden sich in Hochseecontainern bereits auf dem Gelände von NPH. Nach dem Bau der 85-kW-Anlage auf dem Kinderkrankenhaus stehen noch rund 1.500 Module oder 270 kW zur Verfügung. Es sind PV-Module verschiedener Technologien, aus B-Ware- oder Gebrauchtbeständen, die vor dem Einsatz vermessen und systematisiert werden.

Dafür wurde in Zusammenarbeit mit der Berufsschule Tabarre vor Ort ein Teststand zur Modulklassifizierung (Strom-Spannungs-Kennlinienmessgerät, Thermographiekamera, Multimeter) aufgebaut und die Module wurden vermessen und klassifiziert. Das globale Ziel des gesamten Projekts ist der sukzessive Aufbau eines zuverlässigen Energieversorgungssystems mit steigendem Anteil regenerativer Energien. Falls das öffentliche Stromnetz in Tabarre in Zukunft einmal zuverlässig zur Verfügung stehen sollte, kann das Gesamtsystem ohne technische Veränderungen den überschüssigen Solarstrom in das öffentliche Netz einspeisen. Wichtiger Teil des Projekts sind auch Maßnahmen zur Energieeinsparung. Deren nachhaltigen Erfolg sichern Schulungen, in denen die Mitarbeiter für das Thema sensibilisiert werden. Dadurch soll langfristig ein Einsparpotenzial von rund zehn Prozent erzielt werden.

Besonders wichtig ist natürlich die nachhaltige Implementierung der Technologie und der damit verbundenen Prozesse im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit. Die Anlage muss auch nach der Inbetriebnahme tadellos funktionieren und von lokalen Verantwortlichen betrieben und gewartet werden. Dies soll durch haitianische Techniker umgesetzt werden. Sowohl Energieminister René Jean Jumeau als auch die wenigen haitianischen Solarfirmen sind daran höchst interessiert. Der Bau ähnlicher Systeme wird zum Beispiel von Green Energy Solutions angestrebt, dessen Gründer Jean Jacques Sylvain schon in Deutschland zu Besuch war und hier über sein Land berichtete. Darüber hinaus ist mittlerweile eine Entwicklungshelferstelle für einen Solartechniker eingerichtet, der drei Jahre lang an der Berufsschule in Tabarre unterrichten soll. Diese Stelle wurde zuletzt mit einem erfahrenen deutschen Solartechniker besetzt, der im Sommer seinen Dienst in Haiti antreten wird. Mit theoretischem Unterricht in Verbindung mit Praxis in Form kleinerer Projekt-Realisierungen und Wartungen wird er jedes Jahr mehr als ein Dutzend Haitianer auf ein Berufsleben in der Solartechnik vorbereiten und damit helfen, diese mittelfristig und nachhaltig in Haiti zu etablieren.

Dieser Fachbeitrag von Willi Ernst von der Biohaus-Stiftung für Umwelt und Gerechtigkeit ist in der Printausgabe von ERNEUERBARE ENERGIEN im März erschienen. Wenn er ihnen gefallen hat, bestellen Sie jetzt ein kostenloses Probeabo.