Nach wie vor gibt es viele offene Fragen rund um die Standortgüte nach Inbetriebnahme gemäß Technischer Richtlinie 10 (TR 10). Wind- und Ertragsgutachter sehen zahlreiche Risiken und Unsicherheiten. Lasse Blanke, Geschäftsführer der Anemos Gesellschaft für Umweltmeteorologie mbH Reppenstedt sagt, er sehe derzeit große Unsicherheiten bei den Kunden, ob alle benötigten Unterlagen übermittelt werden können. „Damit einhergehend besteht die Sorge, dass eine Bearbeitung innerhalb von vier Monaten nicht gewährleistet werden kann“, erklärt er. Diese könne ausgeräumt werden, indem eine frühzeitige Prüfung der Datengrundlage durch einen akkreditierten Gutachter erfolgt. Ebenfalls sollte nach Ansicht von Blanke in diesem Zuge bereits über eine Prognose der Standortgüte nachgedacht werden, um gegebenenfalls rechtzeitig Rückstellungen zu bilden.
Risiken und Unsicherheiten sieht Charlotte Zapfe, Teamleitung Betriebsdaten & Standortgüte bei der Geo-Net Umweltconsulting GmbH in Hannover, in Bezug auf die Datenvorhaltung seitens des Betreibers und des Herstellers. „Eine unzureichende Datenvorhaltung kann zeit- und kostspielige Konsequenzen haben, im schlimmsten Fall kann kein für die Fortführung der Vergütung notwendiges Gutachten erstellt werden“, warnt sie. Um diesem Risiko vorzubeugen, sei eine frühzeitige Kontaktaufnahme zum akkreditierten Gutachter des Vertrauens unabdingbar.
Eine unzureichende Datenvorhaltung kann zeit- und kostspielige Konsequenzen haben.
„Bei der erforderlichen Dokumentation sollten Betreiber darauf achten, dass diese möglichst einfach und aussagekräftig sowie gut auszuwerten ist“, betont Roman Friedl, Projektleiter Technische Due Diligence Windenergie bei TÜV Süd. Um Überraschungen zu vermeiden, sollten projektspezifische Besonderheiten im Betrieb oder in den Daten so früh wie möglich mit den Gutachtern besprochen werden. „Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die Standortgüte nur auf Basis der ersten fünf Betriebsjahre ermittelt wird – im Gegensatz zur Berechnung vor Inbetriebnahme, die meist auf 20 Jahre ausgelegt ist.“ Dadurch könne die Bewertung der Standortgüte zu deutlich höheren oder niedrigeren Werten führen und zum Beispiel auch zur Rückzahlung der EEG-Vergütung führen, gibt Friedl zu bedenken.
Martin Strack, Head of Site & Energy Assessment bei der Deutschen Windguard Consulting GmbH in Varel, weist darauf hin, dass die Bestimmung der Standortgüte nach Inbetriebnahme eine Aufgabe sei, bei der ganz verschiedene Aspekte und Daten bezüglich des Betriebs eines Windparks zusammenkommen. „Da wir im Bereich der Betriebsdatenauswertung schon über 20 Jahre Erfahrung haben und außerdem aufgrund unseres Dienstleistungsspektrums auch die Sicht des Betriebsführers, Softwareherstellers, Prüflabors und Zertifizierers gut kennen, haben wir unsere Erfahrung von Anfang an in die Gremienarbeit zur TR 10 eingebracht und eine führende Rolle eingenommen.“ Auch die Deutsche Windguard sieht in ihrer Arbeit vor allem die Herausforderung für Betreiber, die notwendigen Daten und Betriebszustandsinformationen vollständig und in geeigneter Form bereitzustellen. Man könne dabei gezielt unterstützen, „besonders wenn wir frühzeitig kontaktiert werden. Da wir bereits für mehrere Anlagenhersteller für die Validierung der TR-10-Zuordnungslisten aktiv waren, können wir auch in Fällen, in denen diese noch fehlt oder Schwächen hat, effektiv helfen.“
Optimierte Qualität dank Zusammenarbeit
Wie sich Qualität und Effizienz bei der Ertragsabschätzung verbessern lassen, weiß Roman Friedl vom TÜV Süd: „Neue Windparks werden oft an Standorten geplant, an denen es bereits bestehende Anlagen gibt. Damit liegen reale Daten vom Standort oder von der näheren Umgebung vor. In manchen Fällen können das auch Messdaten aus früheren Planprojekten sein. Wenn Planer und Betreiber enger zusammenarbeiten und ihre Daten sowie Informationen untereinander austauschen, könnte das die Qualität der Ertragsprognosen erhöhen und die Unsicherheiten verringern.“
Die Technologie spielt in puncto Kostenersparnis und Qualitätsverbesserung ebenfalls eine wichtige Rolle. Herbert Schwartz von der Anemos-Jacob GmbH aus Oldershausen erklärt, der seit etwa 14 Jahren zu beobachtende Trend zu stärkerem Einsatz von Windmessungen setze sich fort. Nach wie vor würden dabei überwiegend Sodar- und Lidargeräte verwendet. „Wir setzen weiterhin vor allem Sodargeräte ein, weil damit gleiche Ergebnisse mit deutlich niedrigeren Kosten erreicht werden.“ Nirgendwo sonst im Bereich von Windgutachten seien vergleichbare Kosteneinsparungen möglich. „Wo die Schallabstrahlung der Sodargeräte unerwünscht ist, verwenden wir Lidargeräte“, so Schwartz.
Wir setzen vor allem Sodargeräte ein, weil damit gleiche Ergebnisse mit niedrigeren Kosten erreicht werden.
Lars Levermann von der Pavana GmbH rückt den Blick auf Machine-Learning und künstliche Intelligenz. „Tatsächlich arbeiten wir an der Entwicklung solcher Tools.“ Klar benannt werden müsse hierbei, dass große Datenmengen für das Trainieren der Software in guter Qualität vorzuhalten seien und diese Daten sich im eigenen Besitz befinden oder frei zugänglich sein müssten oder man berechtigt sein müsse, diese Daten zu verwenden. „Diese Voraussetzungen erfüllen wir und sind deshalb guter Dinge, hier weitere Schritte gehen zu können.“
Wir nutzen KI-Methoden vor allem im Bereich von Betriebsdatenauswertungen.
In Deutschland breite sich die Windenergie zunehmend nach Süden aus, wo noch wenig Betriebsdaten bereits existierender Projekte verfügbar seien, sagt Martin Strack von der Deutschen Windguard. Als Basis für belastbare Wind- und Ertragsprognosen seien Lidar-Messungen klar auf dem Vormarsch. Im Vergleich zu traditionellen Messverfahren ließen sich hiermit die Windbedingungen in den heute relevanten Nabenhöhen mit deutlich geringerem Aufwand bestimmen. „In komplexem Gelände können wir dank des von uns entwickelten Complex-Flow-Solvers (CFS) geländebedingte Unsicherheiten im Vorfeld von Lidar-Messungen ermitteln, die Unsicherheit durch eine geeignete Standortwahl minimieren und geländebedingte Unsicherheitskomponenten um bis zu 50 Prozent reduzieren“, so Strack. Oft sei der Zeitdruck der Projektplanung groß, sodass die Deutsche Windguard Werkzeuge entwickelt habe, mit denen frühzeitig das Ergebnis der Messung bewertet und laufend berücksichtigt werden könne. „Die wichtigen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) spielen auch bei Windgutachten zunehmend eine Rolle. Wir nutzen KI-Methoden vor allem im Bereich von Betriebsdatenauswertungen und beziehen weitere Bereiche mit ein, sehen dies aber stets als Ergänzung und nicht als Ersatz für eine ausreichende Datenbasis sowie das langjährige Know-how ausgewiesener Experten“, erklärt Martin Strack.
Klimawandel im Blick
Ein Aspekt drängt seit Jahren immer stärker in den Bereich der Windgutachten: der Klimawandel. Verändert er die Arbeit der Gutachter? Dominik Adler, Prokurist bei Geo-Net, sagt, sein Unternehmen untersuche seit Jahrzehnten klimatische Aspekte im Bereich der Stadtplanung und -entwicklung. „Insbesondere in Zeiten des Klimawandels rückt die Thematik der städtischen Wärmeinsel während sommerlicher Hitzewellen in den öffentlichen Fokus. Im Bereich Windenergie nutzen wir diese Erfahrung, um projektspezifisch den Einfluss des Klimawandels auf energierelevante Parameter, insbesondere die Windgeschwindigkeit, zu untersuchen.“ Damit lasse sich das Ertragsrisiko, das für den Betreiber aus dem Klimawandel resultiert, quantifizieren. Die Notwendigkeit dafür resultiere direkt aus den Anforderungen der finanzierenden Banken, gehe aber auch aus den Empfehlungen des Bundesverbandes Windenergie für einen gut geführten Windpark hervor.
Die Auswirkungen auf die Windgeschwindigkeiten sind weit schwerer zu simulieren als die Änderungen der Temperatur.
Laut Pavana-Chef Levermann ist Stand der Technik, das Klima der letzten Dekaden als Basis für die Ertragsermittlung von geplanten Windenergieanlagen zu verwenden. „Hier reden wir von üblichen Zeiträumen von 20 bis 30 Jahren. Dass sich das Klima wandelt, ist Fakt. Beim Blick auf aktuelle Klimamodelle zeigt sich jedoch, dass die Auswirkungen auf die Windgeschwindigkeiten auf Nabenhöhe weitaus schwerer verlässlich zu simulieren sind als die Änderungen der Temperatur.“ Noch schwieriger werde dies, wenn man die Entwicklungen der Windgeschwindigkeiten auf einzelne Länder und Regionen runterbrechen möchte. „Hier kann man aus unserer Sicht aktuell nur mit Annahmen zu Unsicherheiten der Ertragsermittlungen arbeiten. Ein Beispiel: Es gibt veröffentlichte Zahlen zur modellierten Entwicklung der Windgeschwindigkeit in Polen. Hier werden fünf bis zehn Prozent reduzierter Windgeschwindigkeit in den nächsten Dekaden genannt.“ Die Zahlen bezögen sich jedoch auf die bodennahen Geschwindigkeiten auf zehn Meter Höhe über Grund. „Außerdem geht als Randbedingung ein, dass Polen massiv aufforsten möchte. Dass Wald Einfluss auf die bodennahen Windgeschwindigkeiten hat, leuchtet sofort ein. Wie es sich auf Nabenhöhen von mehr als 150 Metern verhält, beantworten diese Studien aktuell nicht.“ Insofern ist laut dem Pavana-Chef Expertise gefragt, wie aktuelle Klimamodellierungen auf der kleinräumigen Skala zu interpretieren und zu verwerten sind. „Diese bieten wir“, so Levermann.
Unterm Strich sind die Anforderungen an Betreiber gewachsen, was die Dokumentation von Erträgen in Windparks anbelangt. Auch der Klimawandel sorgt für Unsicherheit. Gleichzeitig können Betreiber aber auch auf immer hochwertigere Gutachten setzen.