Hazop steht für Hazard and Operability (Gefahr und Bedienbarkeit). Hazop-Analysen gehören zum Standard im betrieblichen Risikomanagement der chemischen Industrie. Sie nehmen alle sicherheitsrelevanten Details einer Anlage in den Blick. Potenzielle Gefahren werden identifiziert, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Bestimmte Richtlinien und Regelwerken fordern Bewertungen dieser Szenarien ein, so die Druckgeräterichtlinie DGRL 2014/68/EU. Die Richtlinie berücksichtigt beispielweise für unter Druck stehende Kessel technische und organisatorische Risiken sowie mögliche Fehlbedienungen und Störeinflüsse von außen bis hin zu Sabotagen.
Auch die Komplexität der in Erneuerbare-Energien-Anlagen eingesetzten Technik und Verfahrensabläufe verlangt indes längst breites Know-how in der Sicherheitstechnik. Gerade im „unkonventionellen“ Kraftwerksbau macht die zunehmende Komplexität der Technik und Verfahrensabläufe ein detailliertes Wissen über einschlägige Gesetze und Verordnungen sowie zur Abwehr von Gefahren und Risiken notwendig. Insbesondere für Biomasse-Heizkraftwerke oder Geothermieanlagen ließe sich durch Hazop-Analysen die betriebliche Sicherheit sinnvollerweise deutlich erhöhen.
Analyse-Gesprächsrunden mit System
Die Analyse findet als Gesprächsrunde statt. Beteiligt sind interne und externe Spezialisten wie Verfahrenstechniker und Sicherheitsingenieure, Konstrukteure und Techniker aus den Bereichen Anlagenplanung sowie Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik, Betrieb, Anlagenbau, Überwachung und Instandhaltung. Ein erfahrener unabhängiger Experte übernimmt die Moderation. Die Ergebnisse hält ein Hazop-erfahrener Schriftführer fest. Die Teilnehmer betrachten Szenarien und bewerten, wo kritische Störungen auftreten können. Sie prüfen, ob vorhandene und geplante Absicherungen ausreichen und entwickeln Konzepte für Gegenmaßnahmen. Am Ende steht eine für alle nachvollziehbare schriftliche Dokumentation, welche die Prozessabläufe erheblich erleichtert. Dazu zählen im Falle der üblichen Hazop-Sicherheitsbewertungen die Formulierungen präziser Lieferspezifikationen im Lastenheft, die Konformitätsbewertungen von Geräten und Baugruppen und die Inbetriebnahme. Zudem bildet die Dokumentation eine belastbare Grundlage für Verhandlungen und Verträge mit Versicherungen.
1.200 Grad-Celsius und höher ist die Temperatur, auf die der Brennraum im Biomasse-Heizkraftwerk Taufkirchen der Stadtwerke München für dessen Modernisierung ausgelegt sein muss. 85.000 Tonnen Holz pro Jahr verfeuert die Energieanlage. Die Hazop-Analyse des Tüv Süd prüfte Szenarien wie „Hoher Druck, schlagartig“.
Ist die Baugruppe richtig abgesichert?
Im Anlagenbau werden aus EU-konformen Komponenten komplexe verfahrenstechnische Systeme erstellt. Doch ist die somit prinzipiell nach Sicherheitskriterien der Europäischen Union (EU) positiv beschiedene Anlage auch als funktionale Einheit (Baugruppe) richtig abgesichert? Dazu ein Beispiel: In einer Anlage sind Druckgeräte vorgesehen, beispielsweise Dampfkessel, Druckbehälter, Rohrleitungen, Armaturen sowie Regel- und Sicherheitsventile. Gemäß DGRL ist die gesamte Baugruppe unter Berücksichtigung der einzelnen Komponenten und deren Zusammenwirken zu bewerten. Dafür muss der Hersteller eine „Bewertung von Risiken und Gefahren“ durchführen.
Hier lohnt sich die Hazop-Analyse. Sie stellt das sicherheitstechnische Gesamtkonzept, den Zusammenbau und die funktionalen Sicherheitseinrichtungen der Baugruppe auf den Prüfstand: wie alles zusammenwirkt und im Zusammenspiel auch sicher bleibt. Zudem kann der Arbeits-, Brand- und Explosionsschutz sowie der Gewässer- und Nachbarschaftsschutz durchleuchtet und bewertet werden. Darüber hinaus dient die Studie als Grundlage für die Festlegung von sicherheitsrelevanten Schaltungen, zum Beispiel der Prozessleittechnik mit Safety Integrity Level, dem SIL, gemäß den Normen IEC 61508/511 und VDI/VDE 2180. Wegen möglicher Änderungen im Bau- beziehungsweise Umbauverlauf sollte die Analyse wiederholt werden, um sicherzugehen, dass die Studie die tatsächlich errichtete Anlage widerspiegelt.
Szenarien-Check beschleunigt Projekte
Diese Analyse ist zeitaufwendig. Doch die Investition zahlt sich aus, weil alle Eventualitäten in den Blick der Beteiligten rücken. So gibt es keine unliebsamen Überraschungen, die oftmals aus Vorschriften, der Herstellung, der Übergabe an den Betreiber, der Inbetriebnahme und auftretenden Mängeln im laufenden Betrieb hervorgehen. Das frühzeitige Einbinden der prüfenden Institution vereinfacht und beschleunigt zudem den Projektablauf in allen Phasen: von der Planung, über die Hazop-Analyse und die Konformitätsbewertung als Baugruppe bis hin zur Inbetriebnahme der Anlage.
Fallbeispiel Bioenergie Taufkirchen
So hatten die Stadtwerke München (SWM) beispielsweise Tüv Süd Industrie Service beauftragt, bei der Modernisierung der Kesselanlagen und des Fernwärmesystems des Biomasse-Heizkraftwerks Bioenergie Taufkirchen die Anlagensicherheit zu prüfen. Die Anlage verwertet pro Jahr etwa 85.000 Tonnen Holz – Hackschnitzel, Grünschnitt, Rinde und Altholz der Klasse A1, überwiegend Biomasse aus der Region. Das Kraftwerk besteht aus zwei Linien mit je einer Feuerungs- und Kesselanlage sowie Rauchgasreinigungen. Beide Kessel speisen eine Gegendruck-Dampfturbine und einen Heizkondensator.
Die Hazop-Studie an der Linie 1 prüfte mögliche Anomalien bei Druck und Temperatur in der Feuerungskammer und der Kesselanlage, beim Durchfluss in der Rauchgasreinigung (Economiser) und beim Füllstand im Aschesystem. Die Feuerungskammer ist bei der Anlage im Abhitzekessel integriert. Der Economiser dient zur Vorwärmung von Kesselspeise- und Fernwärmewasser, das den Abgasen zur Verbesserung des Wirkungsgrades zusätzlich Wärme entzieht. Zur fiktiven Ausgangslage „Es herrscht eine zu hohe Temperatur im Kessel“ wurde die Hazop-Gesprächsrunde eröffnet. Dann wurden die infrage kommende Ursache „Fehlerhafte Wasserkühlung“ und mögliche Auswirkungen wie „Versagen der Wandungen“ und „Personengefährdung“ besprochen. Im weiteren Verlauf erfolgte die Benennung von Gegenmaßnahmen wie „Einbau eines Sicherheits-Temperaturbegrenzers“ und Empfehlungen wie „Prüfen, ob die Auskleidung des Brennraums für mehr als 1200 °C ausgelegt ist“.
An der Linie 2 standen ebenso die Prozessparameter Druck, Temperatur, Durchfluss und Füllstand im Fokus. Hinzu kamen Betrachtungen am Fernwärmenetz des Kraftwerks, das mit der benachbarten Geothermie-Anlage des Betreibers Geoenergie Taufkirchen verbunden ist. Die Hazop-Analyse ging die Szenarien hoher oder zu niedriger Druck an der Geothermie-Pumpe sowie Temperaturspitzen oder -senken beim Geothermie-Wärmetauscher durch.
Auch die hydraulische Weiche mit ihren Fernwärmepumpen war Gegenstand einer Hazop-Analyse. Die hydraulische Weiche entkoppelt den Kesselkreislauf vom Verbraucherkreislauf des Fernwärmenetzes. Das ist notwendig, damit die in beiden Kreisläufen vorhandenen Pumpen mit ihren unterschiedlichen Druck- und Volumenstromparametern sich nicht gegenseitig beeinflussen und womöglich Schaden nehmen. Ein Leitgedanke war „Hoher Druck, schlagartig“. Als Ursache wurde „schlagartiger Pumpenausfall“ und als mögliche Auswirkung „Druckstoß im Rücklaufsystem“ benannt. Die wirkungsvolle Gegenmaßnahme lautete: „Freilaufleitung um Pumpe installieren“.
Ganzheitliche Analysen
Hazop-Analysen sind als flexibles Werkzeug der Sicherheitsbewertung auf geplante und bestehende Systeme anzuwenden. Gegenstand der Untersuchungen können nicht nur technische Anlagen, sondern jede Art von zielgerichteten Handlungsabläufen sein. Das Verfahren ist ein systematisches und methodisches Sicherheitsgespräch unter den Mitgliedern des Prüfungsteams, wobei die Erfahrungen und die Ideen des Teams anhand von Leitgedanken gelenkt werden. Hazop-Analysen identifizieren potenzielle Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb eines Systems, decken mögliche Ursachen auf und erlauben, Auswirkungen abzuschätzen und wirkungsvolle Gegenmaßnahmen festzulegen. Während übliche Sicherheitsbestimmungen vorwiegend die Funktionssicherheit einzelner Bestandtteile eines Kraftwerks belegen lassen, fokussiert das Hazop auch auf ihr Zusammenwirken.