Errichtung des Mock-up-Testturms von Fuchs Europoles Wind
Hersteller und Entwickler von Türmen und dazugehörigen Technologien müssen immer höhere Nabenhöhen ermöglichen. Diese hier zeigen, wie.
Tilman Weber
Nummer Drei ist da. Im zweiten Jahr nach der öffentlichen Ankündigung auf der Windenergiemesse in Husum will das nordbayerische Bau- und Masten-Unternehmen Fuchs Europoles bereits 75 Fertigteile-Betontürme produzieren und ausliefern. Und bei genug Nachfrage am Windenergiemarkt nach den bis zu 100 und mehr Meter hohen Betonsockeln für Stahl-Beton-Windkrafttürme könnte die Firmengruppe erklärtermaßen ab Mitte 2026 nachlegen. Die neue Windsparte Fuchs Europoles Wind werde dann „bei steigender Nachfrage“ eine „erweiterte Fertigungskapazität in zweiter Produktionsstätte“ von 200 Türmen pro Jahr dazunehmen. Die Kunden, Windenergieanlagenhersteller und mitunter Projektentwicklungsunternehmen, sollen sich an marktüblcher „Projektvorlaufzeit“ orientieren: Sechs Monate nach einer Bestellung werde das Unternehmen mit den Errichtungsarbeiten im Windpark starten.
75 Betontürme will Neuling Fuchs Europoles Wind 2025 fertigen und ausliefern. 2026 könnten es bei entsprechender Nachfrage 200 Exemplare mehr der aus Fertigbetonsegmenten montierten unteren Betonturmhälften für Windrad-Hybridtür- me sein.
Hybridtürme aus oberer Stahlzylinder- und unterer Betonsockelhälfte haben sich zunächst in Deutschland als Standardbauweise für die moderne Großwindturbine mit wachsender Nabenhöhe durchgesetzt. Je höher hinauf sie die Nabe in wind- reichere Luftzonen strecken müssen, auf umso stärkerem Fuß mit größerem Radius stellen Hersteller das Windkraftwerk ab. Die Technik lässt bis zum Stahlturm hoch kegelförmig sich verjüngende Bauwerke entstehen, die schwingungsarm sind. Marktbeherrschend ist hierbei ein System, dessen Bauteams am Boden aus selten zwei, eher drei bis vier Fertigbetonsegmenten jeweils Ringabschnitte montieren, sie auftürmen und innen mit Stahlseilen verspannen.
Weil die Branche mit immer leistungsstärkeren Windenergieanlagen mehr und verlässlicher Strom pro Standort ernten will, haben die Hybridtürme Hochkonjunktur. Wachsende Nabenhöhen mit 2024 schon 143 Metern im Durchschnitt ermöglichen die dafür notwendigen sehr großen Rotordurchmesser. Wobei die Windparkbauer in küstenferneren windärmeren Bundesländern die Rotoren im Mittel auf 150 bis mehr als 160 Meter Höhe setzen, um energiereichere Höhenwinde zu nutzen. Und nun nimmt auch der Windparkbau dank der 2022 verabschiedeten Energiewende-Reformpakete wieder stark zu.
700 Turmsockel kann Max Bögl Wind bereits jährlich in die Windparkbaustellen für Windenergieanlagen auf Stahl-Beton-Hybridtürmen anliefern.
Der Markt reagiert. Nach dem bislang unangefochten dominierenden Marktführer der Fertigbau-Turmring-Bauweise, Max Bögl, und dem schon 2022 auf der Windkraftmesse in Hamburg als neuer Anbieter angekündigten niedersächsischen Wettbewerber Oehm, jüngst umfirmiert in MFB, bringt Fuchs Europoles weitere Produktionskapazitäten dieser Technik ein. Die Baufirma mit 1.700 Mitarbeitern an mehr als 25 Standorten hat mit ihrem Entwicklungsteam von rund 30 Mitarbeitenden ein innovatives, eigenes Konzept geschaffen. Es setzt erklärtermaßen auf eine neu durchdachte Fertigung der Betonsegmente durch „innovative Maschinentechnologie“. Die Entwicklung fand im 2022 eröffneten Werk in Neumarkt statt. Dort feilte das Team – teils gebildet aus vom Wettbewerber Max Bögl hinübergewechselten Experten – in Zusammenarbeit mit unabhängigen Ingenieuren und technologischen Instituten an allen Entwicklungsphasen von der Betonrezeptur über Fugengenauigkeiten, Produktions- und Montagetests bis zum „Mock-up“ (siehe Interview vorige Seite). Im Sommer fand dieser Vortest der Kerninnovation statt: der Aufbau des Übergangsbereichs von Beton zu Stahl, bei dem die Entwickler die Herstellung der Betonsegmente, die Montage der oberen Betonringe bis zum Anschluss zur Stahlsektion probten. Um diesen Schnittstellenbereichgegen Lasten aus zunächst bei Fuchs Europoles anvisierten Turmhöhen von 140 bis 175 und später 200 Meter unverwundbar zu machen, schufen die Neumarkter ein dreiteiliges Design. Ein Stahladapter nimmt die Lasten aus dem Stahlturm auf, leitet sie über in einen Gussring, der sie gleich- mäßig in zwei massive Betonringe überträgt.
199 Meter Nabenhöhe stehen als nächste Marke der Turmhöhen in Deutschland an.
Die Adapter, wie die Übergangssegmente auch heißen, hätten bei kommenden Nabenhöhen zur Achillesferse der Hybridtürme werden können. Das Aufeinandertreffen zweier Materialien mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Schwächen ist eine ingenieurtechnische Herausforderung. Passt das Design nicht zu den Lasten, können Schwingungen der Stahltürme zu Rissen im Beton führen.
Auch Platzhirsch Max Bögl Wind hat das Übergangsstück durch ein Nachdesign angepasst. Vor allem aber hat er sich 2024 ein drittes Werk zugelegt – zusätzlich zur Turmsegmente-Produktion im nur 12,5 Kilometer Autostrecke vom neuen Wettbewerber entfernten Stammwerk Sengenthal und im schleswig-holsteinischen Werk Osterrhönfeld. Im Juli übernahm Max Bögl eine 2023 vom Baukonzern Bettels im eigenen Auftrag gestartete Betonturmteilefertigung in Emden und baute sie auf mehr als 200 Türme pro Jahr aus. Nun können die Sengenthaler 700 Türme jährlich für Windparks in Deutschland, aber auch im Ausland zuliefern.
Drittelschalen sind das Standardkonzept für das Zusammensetzen der Ringsegmente für die Fertigbetonteiltürme.
Bereits jetzt hat das Unternehmen die Fertigung für Nabenhöhen von bis zu 199 Meter ausgelegt. Dies ist das vom Windturbinenbauer Vestas 2022 angekündigte Rekordmaß für den künftig leistungsstärksten Vestas-Onshore-Typ V172, für das die Dänen mit Max Bögl kooperieren. Es wird den Prototyp der nächsten Nordex-Flaggschiff-Anlage N175 um 20 Meter toppen, dessen Rotor der Vestas-Wettbewerber im Januar mit einem eigenen Hybridturm auf erstmals 179 Meter Höhe setzte. Mit einem prämierten Konzept können die Max-Bögl-Leute zudem für große Baustellen im Ausland wie 2018 und 2019 auf einem 90-Anlagen-Feld in Thailand vorgeführt eine mobile Fertigung betreiben. Als jüngste Innovation bewirbt Max Bögl aber einen klimafreundlicheren Beton, mit dem die Turmherstellung nur halb so viel Treibhausgase verursacht wie ein herkömmlicher Stahlturm (siehe Interview unten). Das ist dringend, weil Zementproduktion viel klimawirksames Kohlendioxid (CO2) verursacht – und Stahllieferanten bereits die CO2-Emissionen für Stahltürme reduzieren.
Die Betonsockel haben freilich einen weiteren großen Vorteil im Straßentransport: Reine Stahlrohrtürme dürfen auch im untersten Segment auf dem Fundament den Durchmesser von 4 bis maximal 4,5 Meter nicht überschreiten, damit sie beim Transport noch unter Autobahnbrücken passen. Die Drittelschalen der Turmringe verursachen dieses Problem nicht und benötigen abgesehen von den komplett gelieferten Adapterringen keine Sondertransporte. Und Bau-Unternehmensgruppen wie Max Bögl und Fuchs Europoles können den Turmlieferungen ihrer Windsparten voran auch die Fundamente gießen.
130 Meter Nabenhöhe und noch etwas mehr sind ein Maß, bei dem Turbinenbauer die Windenergieanlagen auch auf modularen längsverschraubten reinen Stahlsegment-Türmen aufstellen können.
Dennoch warnt Holger Lange davor, andere Entwicklungen zu vergessen. Lange ist Geschäftsführer des Ingenieurbüros PE Concepts. Es berechnet mit aktuell 30 Mitarbeitenden in seinen Büros in Essen und Bremen meistens kurzfristig Details auch für die Hybridturmerrichtungen wie Bodenverhältnisse, Windlasten und logistische Anforderung, um „unter Umständen auch standardisierte Türme an Standortbedingungen“ anzupassen, wie Lange sagt (siehe Interview vorige Seite). Zudem bietet es technische Beratung für Turminnovationen an. „Spannend“ findet Lange den Einsatz sogenannter weicher Stahlrohrtürme, denen bei schmalem Fußdurchmesser und ohne besonders verdickte Stahlwände ohne Innovationen beim Anfahren des Rotors stabilitätsgefährdende Schwingungen drohen würden. Dank neuer Steuerungseinstellungen lassen diese Turbinen den gefährlichen Schwingungsbereich beim Anfahren aber sofort hinter sich.
Zwar sieht Lange die Hybridarchitektur ab mehr als 120 Meter Nabenhöhe als „ohne Alternative“ an. Doch kann er sich auch Fachwerktürme unterhalb des Blattspitzendurchgangs vom Rotor vorstellen, Holzturmsockel oder längsverschraubte Stahlrohrtürme (international üblich: MST). Solche MST bestehen aus gewölbten beziehungsweise mehrfach geknickten Stahlplatten, die Montageteams auf der Baustelle an den Platten-Längsseiten zu hohen Turmsektionen verschrauben. Bislang setzt Anlagenbauer Enercon auf sie, insbesondere bei Turmhöhen bis knapp unter 140 Meter, allerdings wie an einem Standort in Südkorea 2024 auch für sehr leistungsstarke Großanlagen wie E-160. Der Trend werde sich nach Materialpreisen, Optik, Logistik und CO2-Preisen im als Klimaschutz betriebenen Emissionsrechtehandel richten, sagt Lange.
Schwingungen dürften freilich mit keinem Turmkonzept gänzlich aus den Großbauwerken zu verbannen sein. Die Heppenheimer Energie- und Schwingungstechnik Mitsch (ESM) entwickelt und produziert in Deutschland und China mit 130 Mitarbeitenden deshalb Schwingungstilger und Impulsdämpfer. Es setzt die Masse-Konstruktionen in Maschinenhäuser oder speziell in Türme von Windenergieanlagen, um Schwingungen durch gegenläufig bewegte Schwungmassen zu stören oder abzubremsen. Bisher geschieht dies fast nur in den am stärksten schwingenden reinen Stahlzylindertürmen. ESM liefert weltweit aus, bislang habe der deutsche Markt „nur einen geringeren Einfluss“ aufs Gesamtgeschäft, teilen die Südhessen mit.
Ob der hohe Hybridturm-Anteil am deutschen Markt die Bestellungen dämpft oder nicht, bleibt abzuwarten. Jetzt aber meldet sich ESM mit einer Empfehlung zum Einsatz insbesondere von Impulsdämpfern in größeren und weichen Stahlrohrtürmen (siehe Interview vorige Seite). Bei solchen Türmen insbesondere womöglich in Regionen mit geringeren Nabenhöhen wie den Küstenländern helfen die Dämpfer gegen wirbelerregte Querschwingungen. Diese extremen Schwingungen treten auf, wenn sich in extremen Windsituationen ungleichzeitig Wirbel an zwei Seiten des Turms lösen und so das Bauwerk abwechselnd zur einen und zur anderen Seite ziehen. Anders als die Tilger für hochfrequente Schwingungen aus dem Betrieb im Maschinenhaus lassen sich Impulsdämpfer so einstellen, so dass sie erst bei starken Auslenkungen arbeiten.
300 Meter Nabenhöhe erlaubt das Gittermastturmkonzept von Gicon auf der Gemarkung der brandenburgischen Gemeinde Schipkau inmitten mehrerer Teile einesWindkraft-Solar-Parks.
Doch auch Art und Weise von Turminneneinbauten entscheiden über Stabilität und Wirtschaftlichkeit von Türmen. Angesichts unzähliger Schrauben ist die Sicherheit der Gewindekonstruktionen gegen Rissbildungen ebenso ein nicht zu vernachlässigender Kostenfaktor wie die Handhabbarkeit des Verschraubens bei Montage und Wartung. So hält etwa PE Concepts ein Patent auf angeschweißte Innengewinde mit einer speziellen inneren Ausformung, die eine Fehlleitung der Spannungen im Turm ans Gewinde vermeiden.
Flansche zum Aufmontieren von Stahlturmsegmenten mit bis zu 100 und mehr Schrauben sind entsprechend ein Ort, um offenbar viel Wirtschaftlichkeitspotenzial bergen zu können. Der deutsche Vertriebspartner des US-amerikanischen Verschraubungstechnikers Hytorc hat dies mit neuem Flanschdesign und mobilen Drehmomentschraubvorrichtungen in Angriff genommen. So gelang es dem bei München gelegenen Unternehmen, die Schrauben näher an die Turmwand zu rücken, um die Kraftübertragung zu verbessern. Auch dank Muttern, die eine kleinere Schlüsselweite erfordern, rückten die Schrauben um zehn Prozent nach außen, brauchen schmalere Flansche und sparen Stahl. So lassen sich zehn Prozent mehr kleinere und leichtere Schrauben einsetzen und die Krafteinleitung aus Lasten im Turm auf mehr Schrauben verteilen (siehe vorige Seite). Mit zudem einem „streckgrenzgesteuerten Anzugsverfahren“ lassen sich die Schrauben prozesssicher hydraulisch in den überelastischen Bereich anziehen. Das erlaubt höhere und gleichmäßiger verteilte Vorspannkraft von Schraube zu Schraube und macht Schraubverbindungen wohl wartungsärmer.
Ein spezieller halbautomatischer Montagewagen erübrigt zudem die Praxis, Schrauben zuerst für das Feinjustieren beim Aufsetzen der oberen Turmsegmente von unten einzusetzen, sie dann herauszunehmen und neu von oben einzusetzen, um sie von dort verschrauben zu können. Der Montagewagen erlaubt das Direktverschrauben von unten mit mobilen hydraulischen Drehmomentschraubern. So dauert eine Segmentmontage mit zwei Montagewagen nur etwa eine Stunde. Das Montagepersonal ist körperlich entlastet. Die Produktion erfolgt in den USA und in Deutschland – Lieferungen sollen je nach Produkt oder Dienstleistung der 50 Mitarbeitenden binnen einer bis vier Wochen erfolgen.
Foto: graupause I Filmkreation
Foto: HYTORC
Foto: ESM
Foto: FUCHS Europoles Wind
Windkraftturmbau als internationales,technologisch vielfältiges Geschäft: Mobile Beton-Fertigteile-Produktion in Thailand durch Max Bögl (oben links), innovative Schraubenmontage mit Hytorc-Technik (oben rechts), Impulsdämpfer gegen wirbelerregte Querschwingungen von ESM (links unten),Fuchs-Europoles-Wind-Chef Jürgen Joose beim Prüfen der Qualität (rechts unten).
Foto: P.E. Concepts
Anschweißkonstruktion für Turmeinbauten im Modell von PE Concepts