Flaschenhals Fachkräfte im Erneuerbarenausbau. Gespräch mit dem Hamburger Rekrutierer Arwid Detlefs zur Rolle der Unternehmenskultur beim Fachkräftegewinnen.
Der Fachkräftebedarf für den nun in Deutschland politisch befeuerten Windparkbau ist enorm – und übertrifft den Arbeitsmarkt. Geht es nur mit Headhunting?
Arwid Detlefs: Es geht nicht ohne. Das sogenannte Headhunting ist ein wichtiges Werkzeug, wo es ums Gewinnen von Spezialisten und Führungskräften geht. Gefragt sind spezialisierte Headhunter, die eine spezifische Klientel ansprechen. Während unsere Kunden beim Schalten einer Stellenanzeige auf das Glück setzen, dass die richtigen Spezialisten zur rechten Zeit trotz sogar bestehender Arbeitsverhältnisse da drauf blicken, sprechen wir das stille Potenzial an. Wir wollen Menschen von einer Alternative zum aktuellen Job überzeugen. Da ist das Bessere stets Feind des Guten: Der Wechsel ist in der Regel ein Karriere-, immer ein Entwicklungsschritt – und wir zeigen die Chancen auf.
Sie suchen nun aber auch Spezialisten ohne Führungsrolle – was ändert sich da?
Arwid Detlefs: Es gibt schon eine extrem große Nachfrage nach Spezialisten beispielsweise in der Projektentwicklung von Erneuerbare-Energien-Anlagen. Und diese beschränkt sich keineswegs nur auf die Windenergie. Sie gilt auch für Photovoltaik-Parks, Power-to-X – also Energieumwandlungsanlagen zur Kopplung der Stromerzeugung mit der Treibstoffversorgung im Straßenverkehr oder der Wärmeversorgung. Dass Headhunter nicht nur Führungs-, sondern auch Fachkräfte gewinnen wollen, ist kein neues Phänomen. Aber es hat in der Quantität fraglos zugenommen, dass Unternehmen auch auf diesem Weg ihre Spezialisten suchen müssen.
Inwiefern gelingt Headhunting gerade für Ihr Recruiting-Spezialgebiet Projektierung oder für Extremanforderungen wie Meereswindparks und Hochspannungsnetze?
Arwid Detlefs: Nirgends, wo der Wettbewerb so Fahrt aufnimmt wie in Ihren Beispielen, funktioniert es grundsätzlich anders. Wir als Headhunter nutzen dabei unser Netzwerk an Unternehmen, Akteuren oder Führungskräften zur klassischen Recherchearbeit. Wir schauen in Kanälen der sozialen Medien wie Xing oder Linkedin, welche dort kommunizierenden Spezialisten darin was gesagt haben. Wir gucken uns Kandidaten auf Messen oder in Kongressen selbst aus. Da gilt es, in die direkte Ansprache zu gehen und neben den fachlichen die sehr wichtigen persönlichen Qualitäten herauszuarbeiten.
„Dass eine Unternehmenskultur erlebbar wird, spricht sich sogar von alleine herum – wenn es glaubhaft ist.“
Es gibt ja viele Menschen im Handwerk zum Beispiel, die nicht aktiv einen neuen Arbeitgeber suchen, weil sie ohne vorherige Kenntnis der Bedingungen anderswo den Aufwand der Recherche scheuen …
Arwid Detlefs: Das lässt sich nur durch Öffentlichkeitsarbeit machen, durch Personalmarketing at its best. Hierbei sammeln die Unternehmen die Pluspunkte, die Quereinsteigern die Möglichkeiten einer anderen Branche aufzeigen können – oder dass diese durch einen Wechsel innerhalb der Erneuerbaren-Branche etwas bewegen können und die inhaltliche Breite dieser Branche ausnutzen. Unternehmensfilme können hier helfen, aber auch klassische Kampagnen der Branchenverbände …
Das Stichwort ist also die Unternehmenskultur: Auf was kommt es bei ihr an?
Arwid Detlefs: Wir haben im Moment einen klaren Arbeitnehmermarkt, in welchem aktuell das Angebot an offenen Stellen erheblich größer ist als die Menge an Kandidaten. Die Unternehmenskultur, die diese begehrte Gruppe gewinnen soll, muss zuvorderst durch Authentizität punkten. Ein Unternehmen, das mit Offenheit im Stil, im Umgang und in der Kommunikation wirbt, in dem aber eine solche Kultur gar nicht gelebt wird, dürfte damit nicht viel Erfolg erzielen. Natürlich ist auch die ganz andere Herausforderung für viele mittlere und kleinere Unternehmen ein Thema, wie diese ohne attraktive Großstadtlage überzeugen können. Doch bei der Darstellung ihrer Authentizität können mittelständische Projektentwickler mit ihrer Regionalität vielleicht sogar besser punkten als Konzerne.
Es dürfte nicht reichen, schöne Prospekte zur Unternehmenskultur zu drucken ...
Arwid Detlefs: Die Frage ist zuerst: Wie lässt sich eine unternehmerische Kultur als durchgängiges Strukturelement in den betrieblichen Prozessen durchsetzen? Vertritt ein Unternehmen die Devise einer bestimmten Art des Umgangs und der Kommunikation, muss diese gelebt und für Kandidaten erlebbar werden. Erfahren diese ein sehr formales und stringentes Bewerbungsgespräch in einem Unternehmen, das sich durch ungezwungenen Umgang profilieren will, ist es ein problematischer Widerspruch. Dass Unternehmenskultur erlebbar wird, spricht sich dann von alleine herum – wenn es glaubhaft ist. Diese Kultur ist aber Führungsaufgabe. Sie muss von oben nach unten vorgelebt werden.
Lassen sich durch Öffentlichkeitsarbeit, gutes Headhunting und stimmige Unternehmenskultur immer Spezialisten finden?
Arwid Detlefs: Die Besetzungsprozesse dauern erheblich länger als noch vor ein bis zwei Jahren. Es fehlt schlicht an Leuten. Arbeitnehmer und Führungskräfte werden wir nicht so schnell heranziehen können. Damit ist das Thema Quereinsteiger eines der wichtigsten für Personaler derzeit. Sie müssen auch Personen einbeziehen, die nicht annähernd auf die 100 Prozent der fachlichen Ansprüche der Stellenbeschreibung kommen. Sie müssen die Fortbildung dieses neuen Personals organisieren. Bei Führungskräften müssen sich die Recruiter noch viel, viel intensiver mit diesem Thema befassen. Ich lege vielen Unternehmen ans Herz, dass sie das Recruiting zur „Chefsache“ erklären und kurze Auswahl- und Bewerbungsprozesse sichern. Weiterhin höre ich nämlich Klagen von Kandidaten über sehr lange Response-Zeiten – die deshalb nicht wissen, ob sie überhaupt noch im Auswahlverfahren stecken oder schon ausgeschieden sind. Tilman Weber