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Kommentar

Sonderausschreibungen kommen - zu einem hohen Preis!

Tilman Weber

Die zentralen Eckpunkte der Vereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD erscheinen für beide Branchen verkraftbar: Im Koalitionsvertrag vereinbarte Sonderausschreibungsvolumen von jeweils vier Gigawatt (GW) werden innerhalb von drei statt zwei Jahren auf den Markt kommen. Und für einen begrenzten Anteil davon wird eine Innovationsklausel gelten. Die darunter siegreichen Anlagenparks erhalten bei Einspeisestopps aufgrund überfüllter Leitungen durch den Netzbetreiber keine Entschädigung mehr.

Sonder-Ausschreibungen für etwas weniger schnellere Energiewende

2019, 2020 und anders als im Koalitionsvertrag noch anvisiert noch 2021 sollen die Sonderausschreibungen erfolgen. Die Staffelung von einem Gigawatt (GW) zusätzlichem Ausschreibungsvolumen jeweils für Windkraft und Photovoltaik (PV) im ersten Jahr, 1,4 GW im zweiten und 1,6 GW im dritten Jahr trägt zwei Argumenten der Skeptiker in Sachen schnelleren Ausbaus der Grünstromerzeugung hier Rechnung: So berücksichtigen die Klimapolitiker der SPD den durch die CDU im Koalitionsvertrag eingenisteten Passus, dass aller Ausbau der Grünstromerzeugung unter dem Vorbehalt des rechtzeitigen Netzausbaus steht. Weil dieser um Jahre hinter ursprünglichen Planungen zurückliegt, sollen die Sonder-Tender nur langsam ansteigen. Vielleicht ist dieser Teil der Vereinbarung sogar richtig gerechnet: Bei zwei- bis dreijährigen Entwicklungsverfahren nach einer Ausschreibung bis zum rechtssicheren Netzanschluss würden diese Wind- und PV-Parks von 2022 bis 2025 online gehen. Dabei erwartet die Bundesregierung, dass die neuen Stromautobahnen 2025 fertig sind.

Außerdem berücksichtigt der am Wochenende in Berlin vorgestellte Fahrplan, dass die Windenergie-Tender 2018 keinen Bieterwettbewerb mehr erzeugten: Die Windparkprojektierer boten nur gerade soviel Erzeugungsleistung an, wie die Bundesnetzagentur in den Ausschreibungsrunden nachfragte. In der vierten Runde im Oktober kam es sogar zur massiven Unterzeichnung, als die Projektierer nur für die Hälfte der ausgeschriebenen Volumen neue Windparks anboten. Somit senkt die Streckung der Sonderausschreibungen die Gefahr, dass sich die Unterzeichnungen weiter verschärfen.

Windkraft kann sich mit langsamer Erhöhung ausgeschriebener Volumen anfreunden

Zwar moniert die Windenergiebranche öffentlich gerne, Schuld an der Langsamkeit der Projektentwickler hätten immer massivere gesetzgeberische und verwaltungstechnische Bremsmanöver der Bundesländer gegen den Windenergieausbau. Ohne diese – und mit einer erhöhten Ausbauperspektive durch die Sonderausschreibungen – könne die Windbranche rasch wieder zulegen. Doch nicht einmal mehr nur hinter vorgehaltener Hand hatten Windenergieorganisationen wie VDMA Power Systems in den vergangenen Monaten immer wieder angedeutet, dass ihren Unternehmen selbst eine Streckung der ursprünglich sogar als zwei Zwei-GW-Tender angedachten Sonderausschreibungen ganz gelegen käme.

Auch die „Innovationsregelung“ kann der Branche sogar von Nutzen sein. Zwar handelt es sich dabei einerseits um genau das Zuckerl, das den Zugpferden des energiewendefeindlichen Teils der CDU/CSU gilt. Diese Führungskräfte der Unionsparteien dürften darauf hoffen, den Schlüssel zum Einstieg in den Ausstieg einer Besserstellung der Grünstromeinspeisung zu bekommen. Doch andererseits sind Netzausbau, die intelligente Angleichung von Verbrauch und Grünstromerzeugung sowie der Ausbau von Speichern ja tatsächlich das übergeordnete Ziel der Bundesregierung. Erfolgen diese, kann eine Innovationsregel – so sie gut ausgestaltet ist – den Ausbau der Erneuerbaren gerade dort ermutigen, wo der Stromverbrauch am höchsten ist. Oder sie könnte zum Ausbau von Speichern und Sektorenkopplungsanlagen führen – Anlagen, die überschüssigen Grünstrom in Energieformen zum Antrieb von Fahrzeugen oder zur Wärmeversorgung umwandeln.

Photovoltaik: Klärung vertagt

Nur ist das Ergebnis eben auch ein unzureichendes Verhandlungsprodukt einer vom Aussterben bedrohten Partei SPD: Denn mehr Sicherheit und Perspektive für Investoren, Projektierer und Technologiehersteller entstehen nicht, weil Extra-Vereinbarungen im jetzt erzielten Kompromiss neue Unsicherheit schaffen.

Und das sind keine Kleinigkeiten: Bei PV sei versäumt worden, den bestehenden Ausbaudeckel von 52 GW installierter Leistung aufzuheben, beklagt der Lobbyverband BSW Solar. Zwar betont der CDU-Verhandler Carsten Linnemann, dass die Sonderausschreibungsvolumen von vier GW auf den Deckel von 52 GW hinzukommen und beim Erreichen des Ausbaulimits nicht mitzählen. Doch BSW Solar erklärt nachvollziehbar, dass den Zielen einer neuen Perspektive für die Solarbranche sowie der Beschleunigung beim Erreichen der Klimaschutzziele durch die Sonderausschreibungen nicht gedient sei. „Die für die Jahre 2019 bis 2021 geplanten Sonderausschreibungen großer ebenerdiger Solarstromanlagen von jährlich 1 bis 1,6 Gigawatt werden den durch den Solardeckel befürchteten Markteinbruch [kleinerer Anlagen meist auf Dächern] voraussichtlich nicht kompensieren können“, erklärte BSW Solar mit Verweis auf aktuell zwei GW jährlicher Installationen meist auf Dächern. Weil die 52 GW spätestens 2020 erreicht sein dürften, droht der Ausbau auf Dächern ohne Förderung auf wenige 100 Megawatt einzubrechen.

Für die Windkraft stört indes nicht nur, dass mit den gestreckten Sonderausschreibungen ein echter neuer Anschub-Impuls für die Windenergie-Branche in Deutschland ausbleibt. Ohnehin stopft das eine GW extra 2019 damit nicht die 2019 und vielleicht auch noch 2020 bevorstehende Delle im Windparkausbau. Sie tritt infolge einer verunglückten und inzwischen abgeschafften Regel in den Ausschreibungen ein, die zu spekulativen Projekt-Geboten mit erst in einigen Jahren verfügbaren verbesserten Anlagentechnologien geführt hatte.

Für mehr Akzeptanz: Neue Unsicherheit bis Ende 2019

Gänzlich neue Ungewissheit produziert die Einigung durch zwei scheinbar nebensächliche Zusätze: Zur Förderung der Akzeptanz des Windparkausbaus müssen ab 2020 die in die Ausschreibungen eingereichten Windparkprojekte eine bedarfsgerechte Nachtbeleuchtung beinhalten: Die sogenannten Anlagenfeuer – rote Warnleuchten – dürfen nur dann zum Schutz des Flugverkehrs leuchten, wenn sich wirklich ein Flugzeug nähert. Bis 2021 müssen sogar bestehende Windparks die bedarfsgerechte Befeuerung nachrüsten, wenn sie nicht in wirtschaftlicher Hinsicht zu klein dazu sind. Doch wer diese Extra-Ausstattung finanziert oder wie die Projektierer und Investoren sich die Extra-Investition von den Stromabnehmern bezahlen lassen können, darüber schweigen sich die Koalitionäre aus. Eine Erhöhung der schon jetzt bei den durchschnittlichen Vergütungspreisen wieder erreichten Gebotsobergrenze von 6,3 Cent pro kWh erwähnten sie jedenfalls nicht.

Schlimmer noch: Eine neue Kommission soll bis März 2019 klären, inwiefern oder wo Mindestabstände für neue Windparkvorhaben rings um Siedlungen oder Höhenbegrenzungen für Anlagen künftig wirken sollen. Auch zu Verpflichtungen auf verbindliche finanzielle Beteiligungen der Kommunen und zu Veränderungen in den Planungsverfahren soll diese Kommission dann Klarheit schaffen. Das Problem hierbei: Zunächst einmal hat die SPD nur neue Baustellen eröffnet und die Unklarheit einer ganzen Branche weit in die Zukunft verlängert. Zumal eine Entscheidung über solche weiteren Maßnahmen erst „im Herbst“ 2019 fallen soll – also vielleicht ganz am Ende 2019.

Nach der Kohlekommission eine Akzeptanzkommission

Mag sein, dass die Sozialdemokraten wirklich dem schnelleren Ausbau der Erneuerbaren endlich zum Durchbruch verhelfen wollen. Doch wie schon im Koalitionsvertrag die Abhängigkeit der Sonderausschreibungen vom Netzausbau haben sich die Genossen auch jetzt eine Abhängigkeit einbauen lassen. Die SPD mag darauf setzen, dass Entscheidungen über Höhenbegrenzungen und Mindestabstände sowie Kommunenbeteiligungen derzeit laufende Bundesratsinitiativen von Brandenburg und Nordrhein-Westfalen zum Ausbremsen des Windenergieausbaus noch einfangen. Sie mag darauf setzen, dass bundesweite Regelungen zu Mindestabständen und Höhenbegrenzungen oder kommunalen Beteiligungen die teilweise schon bestehenden restriktiven Länderregeln ersetzen oder immer neuen Vorstößen von windkraftfeindlichen Politikern einen Riegel vorschieben.

Doch sicher ist das alles nicht. Energiewendefeindliche Kräfte in der CDU und auch kohlekraftfreundliche SPD-Bundesländer könnten sogar durchsetzen, dass besonders strenge Mindestabstände bundesweit gelten. Oder dass die Vorgaben für Windparks generell Ländersache seien und daher den regelungstechnischen Flickenteppich im Land sogar noch kleinteiliger gestalten. Auch enthält die Einigung keine Versicherung, dass Nordrhein-Westfalen und Brandenburg ihre Initiativen im Bundesrat bis Herbst 2019 ruhen lassen wollen. Neuer Streit, neue Unsicherheit sind somit vorprogrammiert, ein weiteres Jahr lang. Das dürfte dann auch das Ergebnis der Kohlekommission überlagern, die Ende 2018 einen Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohlekraft vorschlagen soll. Dieser Ausstieg sollte immerhin für Windkraft und PV wieder Netzkapazitäten freimachen.

Unsicherheit Regierungsbeteiligung SPD

Ganz maßgeblich ist ein Zeitfaktor: Wer garantiert denn, dass die SPD so lange in der Bundesregierung noch durchhält, während sie nach Landtagswahlen in einem Bundesland nach dem anderen zur bedeutungslosen Kleinpartei schrumpft. Falls die SPD aber das Regierungsboot verlässt, muss sie das Aushandeln der offenen Fragen der CDU überlassen. Diese wiederum könnte ihre Positionen radikal neu definieren. Denn im Unionslager droht ein radikaler Positionswechsel. Nach einem sich abzeichnenden Abtritt von Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel, die phasenweise aus Pragmatismus für Klimaziele eintrat, könnte der marktradikale Christdemokrat Friedrich Merz zumindest CDU-Chef werden. Er hat seine Kandidatur dazu erklärt. Sympathien für eine radikale Energiewende sind von ihm – optimistisch formuliert – nicht bekannt.