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100 Prozent Erneuerbare

Projekt Grünes B: Brandenburger Grünstrom für Berlin

Oliver Ristau

Für viele Berliner ist die Liedzeile sprichwörtlich für ihre Stadt: „Dickes B oben an der Spree“, wie die Berliner Musikband Seeed die Metropole in einer Hommage besingt. Auf eine solche Strahlkraft hoffen auch die Initiatoren des Projekts Grünes B, dessen Ziel es ist, herauszufinden, wie sich Berlin künftig in Echtzeit rund um die Uhr mit Ökostrom versorgen lässt.

Berlin profitiert vom Windkraftland Brandenburg

Die Voraussetzungen sind gut, dass Berlin „die erste Hauptstadt der Welt mit einem Angebot für zeitgleichen regionalen Grünstrombezug“ werden könnte, sagt Simon Schäfer-Stradowsky, Geschäftsführer des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität IKEM. Denn Berlin könnte von seiner Lage mitten im Windkraftland Brandenburg profitieren. Nach Daten der Agentur Erneuerbare Energien hatten regenerative Energien 2015 in dem Bundesland einen Anteil am Bruttostromverbrauch von über 70 Prozent. Nur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ist die Quote höher. Bei den installierten Windkraftkapazitäten lag Brandenburg Ende 2017 im Bundesländervergleich mit rund 7.000 Megawatt (MW) hinter Niedersachsen auf Rang zwei.

Und das Land setzt auf weiteren Ausbau. Im Rahmen seiner Energiestrategie strebt Potsdam an, bis 2030 den Strombedarf Berlins und Brandenburgs zusammen rechnerisch zu 100 Prozent mit Ökostrom decken zu können.

Platz in Städten wird knapp und teuer

Berlin braucht die Unterstützung aus dem Umland. Denn gerade in wachsenden und sich verdichtenden Städten wird der Platz für regenerative Erzeugungsanlagen immer knapper und teurer. Zwar will die Hauptstadt auf Basis eines regionalen Energie- und Klimaschutzprogramms, mit dem die Klimaneu­tralität der Metropole erreicht werden soll, künftig konsequent die Dächer mit Photovoltaik und Solar­thermie ausrüsten. Doch eine Studie der Stadt zeige, dass das Potenzial begrenzt sei, so Schäfer-Stradowski. „Das theoretische Potenzial des Solarstroms liegt für Berlin bei etwa 30 Prozent“, sagt er.

Damit die volle Grünstromversorgung aus der Region künftig möglich wird, müssen Erzeugung und Verbrauch miteinander in Echtzeit verzahnt werden – zumindest auf Viertelstundenbasis. Denn das ist die Zeitspanne, mit der auch Netzbetreiber in ihren Bilanzkreisen Erzeugung und Verbrauch ausgleichen. Dort setzt das Projekt Grünes B an. Unter dem Konstrukt „Lokale Energie“ hat der gemeinnützige Verein – finanziert durch die Privatwirtschaft – eine Machbarkeitsstudie erstellt und dafür die Profile von Erzeugern und Verbrauchern abgeglichen.

Verbrauch öffentlicher Einrichtungen

Konkret haben die Forscher die Verbrauchsdaten aller öffentlichen Einrichtungen der Stadt zusammengetragen: sämtlicher Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Rathäuser, der Polizei, der Gefängnisse und anderer öffentlicher Liegenschaften – und zwar viertelstundenscharf. Deren Strombedarf lag 2017 insgesamt bei 682 Millionen Kilowattstunden (kWh). Der höchste Verbrauch fiel in den Hochschulen an, gefolgt von Schulen und Verwaltung. Dann hat das Institut von regenerativen Stromerzeugern in einem Umkreis von 50 Kilometern Erzeugungsdaten viertelstundenscharf abgefragt.

40 Prozent Erzeugung außerhalb der Verbrauchszeiten

Insgesamt reichte das Portfolio an Wind- und Solaranlagen mit 280 Millionen Kilowattstunden aus, um drei öffentliche Verbrauchergruppen weitgehend vollständig zu versorgen. Allerdings nur rechnerisch. 40 Prozent der Grünstrommenge fiel nicht zum Zeitpunkt des Verbrauchs an.

Interessant ist, dass bei einer deutlich höheren Zahl an Windkraftanlagen aus der Region Erzeugung und Verbrauch zusammenfallen. So hat das Ikem in einer zweiten Simulation die gesamte Strom­erzeugung aus regenerativen Energien von Berlin und Brandenburg dem Verbrauch beider Länder im Viertelstundentakt gegenübergestellt. Das Ergebnis: Von den 2017 insgesamt in Berlin und Brandenburg erzeugten rund 17,4 Milliarden kWh Grünstrom kann Berlin-Brandenburg knapp 17,1 Milliarden kWh zeitgleich verbrauchen. Das sind fast 50 Prozent des gesamten Strombedarfs beider Länder, der bei gut 37 Milliarden kWh lag.

CO2-Bilanz regional verbessern

Das zeigt, dass das Potenzial für „eine Echtzeitbilanzierung in der Region“ groß ist, so Schäfer-Stradowsky. „Das wäre gerade für Verbraucher interessant, die den CO2-Effekt direkt bei sich anrechnen lassen wollen, etwa die Industrie.“ Wer heute Ökostrom beziehe – häufig Wasserkraftstrom aus den Alpen ohne zusätzlichen Klimaschutzeffekt – könne das nicht. Verbraucher könnten beispielsweise CO2-Minderungsleistungen im Gebäudebereich dadurch erbringen, dass sie Grünstrom aus der Echtzeit­bilanzierung für ihre Wärmepumpen nutzten. Auch Regionalität an sich sei ein Wert, der sich mit dem Strom vermarkten lasse.

Noch fehlt es an Regularien und an ökonomisch tragfähigen Geschäftsmodellen. Es müsse sich auch noch „zeigen, ob seitens der Endkunden eine erweiterte Zahlungsbereitschaft im Zusammenhang mit Regionalität“ bestehe, heißt es in der Studie. In jedem Fall aber dürfte Grünes B brandenburgischen Windkraftanlagen, die künftig aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausfallen, eine Zukunft bieten.

Als Nächstes plant Schäfer-Stradowsky, Echtzeit-Projekte mit Industriekunden umzusetzen. „Ziel ist, für Berlin eine 100-prozentige Echtzeitversorgung mit Grünstrom aufzubauen. Dafür brauchen wir die Lastgänge von Industrie, Handel und Gewerbe, die nicht einfach zu bekommen sind.“

Regenerativstrom wird regionales Gas

Auch die Möglichkeit, regionalen Strom bei Auseinanderfallen der Gleichzeitigkeit zu speichern und etwa als regionales Gas oder für die E-Mobilität in Berlin zu nutzen und zu vermarkten, ist ein wichtiger Baustein für die Zukunft.

Und neben der energiewirtschaftlichen Seite des Projekts gibt es noch eine kommunikative Aufgabe, der sich das Institut verpflichtet fühlt. „In den Regionen ist es wichtig, dass die Leute miteinander in Kontakt kommen. Denn bisher ist es ja so, dass diejenigen, die etwa in Berlin für die Strombeschaffung verantwortlich sind, nicht unbedingt einen Windpark in Brandenburg kennen“, sagt Schäfer-Stradowsky. Wenn die Städte künftig 100 Prozent grün werden wollen, werden sich da in Zukunft noch viele neue Bekanntschaften ergeben.

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