Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Streitgespräch

"Müssen das Ausschreibungssystem auf jeden Fall ändern und erweitern"

Von Sven Ullrich und Tilman Weber

Herr Pfeiffer, Sie kommen direkt von der Haushaltsdebatte im Bundestag zur Wirtschafts- und Energiepolitik, wo die Rechtsaußen-Fraktion AFD mit provokativen Anträgen zur Geschäftsordnung für Aufregung sorgte, wie Sie gerade erzählten. War die Energie- und Wirtschaftsdebatte ruhiger?

Pfeiffer: Es war natürlich insgesamt eine wichtige Wirtschaftsdebatte, in der Schwerpunkte unserer Politik festgelegt wurden. Das große Thema war der internationale Handel. Dessen Multilateralität ist von allen Seiten in Gefahr. Da müssen wir in Deutschland und auch in Europa gegenhalten. Die EU muss federführend eine weltweite Koalition der Willigen bilden, die an Freihandel und offenen Märkten festhalten wollen. Es geht auch darum, dass wir zwar in Deutschland wirtschaftlich gut dastehen – und dennoch in vielem viel schneller und besser werden müssen. Zum Beispiel in Forschung und Entwicklung. Und hier sind wir schon bei den Energiefragen wie etwa dem Stromnetzausbau, wo wir keine weiteren Verzögerungen zulassen können.

Es mag verwundern: Der Windkraftausbau nimmt fast Jahr für Jahr gewaltig zu, die volkswirtschaftlich wirksamen Strompreise neuer Wind- und Solarparks fallen, der Strom-Großhandelspreis ist tief. Dennoch bereitet die Energiepolitik große Sorgen. Was stimmt nicht?

Pfeiffer: Energiethemen werden in Deutschland traditionell emotional verhandelt. Ich glaube aber, dass Energie- und Klimafrage sich nur international lösen lassen. Deswegen haben wir eine europäische Zuständigkeit für diese Frage. Und deswegen haben wir uns internationale Ziele gesetzt. Auch am Pariser Klimaschutzabkommen halten wir fest, als Europäische Union und als Deutschland. Da haben wir Verpflichtungen mit nationalem Burden-Sharing. Und da gibt es die europäischen Ziele beim Klima, etwa die 2020-Ziele oder das EU-Winterpaket.

Indem Herr Pfeiffer so auf die internationalen Ziele abhebt, Frau Kemfert, definiert er doch zugleich einen Hauptstreitpunkt mit Ihnen, richtig? Sie kritisieren heftig, dass die Bundesregierung ihre nationalen Ziele für 2020 nicht mehr erreichen will …

Kemfert: Ja. Es ist im höchsten Maße bedauerlich, dass man die 2020-Ziele politisch aufgegeben hat. Dass man sie noch erreichen könnte, steht außer Frage. Zugegeben, mit erheblichen Anstrengungen. Dennoch ist es gut, dass man nun den deutschen Klimaschutzplan hat, der für 2030 Sektorziele vorgibt. Nur wäre wichtig, heute schon die richtigen Schritte und Maßnahmen in diese Richtung zu machen. So finde ich auch schade, dass das EU-Winterpaket hinter den Möglichkeiten zurückbleibt. Die Fördersysteme, die man EU-weit jetzt wählt, begrenzen den Zubau sehr stark. Dennoch ist es an Deutschland zu zeigen, dass es funktioniert. Hier muss man nun zwei Dinge tun. Erstens, den Kohleausstieg einleiten. Das andere ist eine nachhaltige Verkehrswende: Die Europäische Kommission verklagt uns aufgrund der nicht eingehaltenen Grenzwerte bei Verkehrsemissionen. Das ist im höchsten Grade blamabel.

Pfeiffer: Zu den 2020-Zielen muss aber auch etwas geklärt werden. Auf nationaler Ebene kamen diese unter etwas anderen Voraussetzungen zustande, als wir sie heute haben. Sie waren da ja dabei, Frau Kemfert! Die Klimaziele wurden damals festgelegt bei der Diskussion um die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke. Im Ausgangsjahr 2010 hatten wir einen Erneuerbaren-Anteil von 15 Prozent. Wir hatten etwa 30 Prozent CO2-freie Kernenergie, was zusammen gut 40 Prozent CO2-freie Stromversorgung ergab. Damals habe ich gesagt: Ich will den volkswirtschaftlichen Nutzen der Kernenergie – mit einer Verlängerung der Laufzeiten - nutzen, um den Umbau der Energieversorgung ein Stück weit zu finanzieren. Und wir haben als weiteren Effekt für 2020 dann die Chance, beispielsweise 70 Prozent CO2-freie Stromerzeugung zu erreichen: 30 Prozent CO2-freie Kernenergie plus 35 Prozent bis 40 Prozent für die Erneuerbaren. Dann hat man in 2011 die Entscheidung durch den teilweisen Sofort-Ausstieg für die Atomenergie geändert. Natürlich war damals auch klar, dass jetzt nicht mehr automatisch die Kohlekraft die Resultierende sein kann. Hier waren wir beide übrigens damals gleicher Meinung. Aber die 2020-Ziele etwa beim CO2 waren damit seither immer schwer zu erreichen. Das nationale 2020-Ziel wirkt auf mich viel zu sehr wie ein Fetisch. Es hat auf das Klima weltweit de facto Null Auswirkung. Aus meiner Sicht kann Deutschland klimapolitisch nur ein positives Vorbild sein, indem wir Verfahren, Technologien, Modelle entwickeln – in den verschiedenen Sektoren und Sektor-übergreifend –, die andere übernehmen können und wollen.

Kemfert: Ich möchte an einem entscheidenden Punkt widersprechen. Wir verfehlen auch die europäischen 2020-Ziele, weil wir in den Bereichen Wärme und Verkehr unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben. Es kommt deshalb der 18-Prozent-Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtenergieversorgung nicht zustande, zu dem wir uns europaweit verpflichtet haben. Und die Entscheidung zum vorgezogenen Atomausstieg, die Herr Pfeiffer zu recht anspricht: Da hätte es dennoch immer auch darum gehen müssen, wie man den Stromsektor strukturell umbaut, und vor allem hätte der Anteil von Kohle an der Stromerzeugung massiv runtergefahren werden müssen. Stattdessen hat man komplett versäumt, Kohle durch effektive Maßnahmen runterzufahren. Schlimmer noch: Der Anteil von Kohle steigt! Außerdem, Herr Pfeiffer: Unsere statistisch geringe Bedeutung im Klimaschutz für die Welt ist ein Totschlagargument. Wir sind pro Kopf gemessen eines der Länder wie Amerika, Kanada oder Australien, die durchaus einen hohen Fußabdruck bei den Emissionen haben.

Offenbar ist Ihnen eine gemeinsame Grundlage abhandengekommen? Eine Einigkeit hätten Sie doch darin, den Kohleausstieg nun schnell anzupacken, den die von der Regierung eingerichtete Kommission zum Ausarbeiten des Ausstiegsfahrplans vorbereitet. Richtig?

Pfeiffer: Wenn der Kohleausstieg so stattfindet, ist die Kohle die nächste Resultierende, ja. Die Frage ist nur: wie schnell wird sie das. Ich sehe das entspannt, weil 2043 und 2047 sowieso im Braunkohlebereich die Genehmigungen für die Tagebaue auslaufen und andere Bedingungen ebenfalls enden. …

Frau Kemfert, Sie dürften hier an zumindest einer Stelle gleich entschieden widersprechen wollen vermutlich zur Aussage, dass ein ohnehin eintretender Kohleausstieg bis 2043 und 2047 rechtzeitig käme. Hat Herr Pfeiffer aber nicht zumindest damit Recht, dass man die Energiewende nicht mehr national steuern kann und deswegen viel falsch läuft? Etwa der riesige deutsche Erzeugungsüberhang beim Strom, der zum Export fast verschenkter Elektrizität führt und so ungebremste Kohlestromerzeugung trotz überfüllter Netze zulässt?

Kemfert: Ja. Natürlich denke ich beim Kohleausstieg nicht, dass er in dem von Herrn Pfeiffer genannten Tempo ausreichend wäre.

Pfeiffer: Wovon ich nichts halte, sind nationale Ziele, die zusätzlich zu europäischen Zielen gelten und noch teilweise darüber hinausgehen oder sich in den Instrumenten widersprechen. Die Kohleverstromung zum Beispiel unterliegt dem Emissionshandel. Was wir national zusätzlich einsparen, ändert am Cap des Emissionshandels aber überhaupt nichts. Nach der bisherigen Systematik können wir Kohlekapazitäten im Handelssystem selbst nicht stilllegen oder rausnehmen. Das Abschalten von Kraftwerken hat klimapolitisch somit keine Wirkung, weil Zertifikate wieder frei werden. Jetzt hat man das korrigiert, indem man nach 2020 in der vierten Periode Zertifikate entsprechend auch rausnehmen kann – insofern bleibt aber der Emissionshandel das richtige Instrument. …

Der Emissionshandel ist bisher allein auf den Stromsektor und die Industrie limitiert. Es gibt Überlegungen, ihn im Luftverkehr einzuführen. Es gibt Ansätze, ihn in Verkehrs- und Gebäudebereich zu integrieren. Deshalb würde ich auch darüber nachdenken, wie man den Emissionshandel sektorübergreifend stärken kann. Das können wir nicht national, sondern müssen es mindestens europäisch machen. …

Wir müssen (außerdem, ERE) das bestehende Ausschreibungssystem auf jeden Fall ändern und weiterentwickeln. Wir haben bisher nur reine Leistung ausgeschrieben. Das muss ergänzt werden um Speicher, um Flexibilität, um Netzdienlichkeit. Man muss auch elektrische Arbeit ausschreiben und nicht nur Leistung. Wenn ich aber elektrische Arbeit ausschreibe, wäre es automatisch ein Mix, weil die Vollaststunden bei der Windenergie viel höher als bei PV sind und die sich dann in einer intelligenten Kombination ausbauen lassen.

Kemfert: Auch ich finde es sinnvoll, dass man die Ausschreibungen um Systemdienlichkeit und Demand response erweitert. Energieeffizienz muss man aus meiner Sicht noch einbinden. In den Kapazitätsmärkten anderer Länder funktioniert es. Ich würde auch die Netzanbindung einbeziehen. Denn im Moment findet ein überdimensionierter Netzausbau statt. Herr Pfeiffer warnt vor einem Zahlenfetisch. Ich kritisiere einen Netzfetisch, der immer nur auf Stromleitungen herumreitet, die erst einmal ganz üppig ausgebaut werden müssen. Unsere Szenarien zeigen: Sobald wir lastnah Kapazitäten und Speicher zubauen, kann der Netzausbaubedarf deutlich vermindert werden. Der Markt kann sehr viel mehr als wir ihm jetzt zutrauen. Solche Ausschreibungen dürften allerdings nicht technologieoffen geschehen, sondern müssten die erneuerbaren Energien als Teamplayer einstufen und sie in der Kombination ausschreiben.

Pfeiffer: Und sektorübergreifend.

Kemfert: Dann hat man auch vernünftige Lösungen. Früher hat man gesagt, der Staat scheint zu wissen, was er an erneuerbaren Energien will.

Pfeiffer: Und jetzt scheint er genau zu wissen, wie die Netze aussehen müssen.

Kemfert: Ja genau. Im Moment ist es die Bundesnetzagentur, die glaubt zu wissen, wo in Deutschland Stromnetze stattzufinden haben. Das wage ich im höchsten Maße zu bezweifeln.

Viel Konsens schlussendlich. Auf welche Maßnahme in der Energiepolitik hoffen Sie am meisten, wenn Sie nur einen Wunsch frei hätten?

Pfeiffer: Wenn man die Technologieentwicklung, die wir bei der Erzeugung der Erneuerbaren erreicht haben bei Speichern, Sektorkopplung und bei Flexibilität wiederholen könnten, dann könnten wir Zehnerpotenzen heben. Diese Lernkurve würde der ganzen Welt zugutekommen. So könnten wir die Forschungsförderung hier neu auslegen. Und hätte ich einen zweiten Wunsch frei, dann einen Emissionshandel, der sektorübergreifend als das zentrale Instrument wirkt.

Kemfert: Eine Ausweitung der Ausschreibungen, die dann die Energiewende als Ganzes behandeln inklusive der Sektorkopplung. Die Ausschreibungen müssten die erneuerbaren Energien als Teamplayer systemdienlich fördern und die Ausbauraten deutlich erhöhen, müssten zu Speicherlösungen führen, die auch für die Mobilität interessant sind und die wie Power-to-Gas die vorhandene Infrastruktur – hier die Erdgasversorgungsnetze – nutzen lässt.

Das Gespräch führten Sven Ullrich und Tilman Weber im Mai in Berlin in der vorletzten parlamentarischen Sitzungswoche vor der Sommerpause des Bundestags.

Claudia Kemfert lehrt als Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance, leitet die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW und berät im Sachverständigenrat für Umweltfragen die Bundesregierung.

Joachim Pfeiffer ist seit 2014 wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, für die er 2005 bis 2009 bereits Koordinator in Energiefragen war. Seit 2006 ist er auch Lehrbeauftragter für Energiepolitik der Uni Stuttgart.