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Kommentar zum deutsch-französischen Kooperationsvertrag

Merkel, Macron, ihr Freundschaftsvertrag und die Offenbarung

Tilman Weber

Es ist ein bisschen unfair. Keine der führenden deutschen politischen Tageszeitungen und Magazine oder Wirtschaftsblätter hat nach der sonst medial viel beachteten Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrag am Dienstag über dessen Aussagen zu Klima und Energiewende berichtet. Dabei enthält der „Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration“ dazu tatsächlich zwei Artikel. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron signierten in Aachen 7 Kapitel mit zusammen 28 Artikeln, von denen ein Kapitel mit zweien seiner fünf Artikel auch in diesem Politikfeld mehr Zusammenarbeit andeuten.

Und schon im Vorspann der allgemeinen Erklärungen zu übergeordneten Zielen des Kooperationsvertrages heißt es unter anderem, die beiden befreundeten Saaten seien „der Überzeugung, dass Wohlstand und Sicherheit nur gewährleistet werden können, wenn umgehend Maßnahmen zum Schutz des Klimas und zum Erhalt der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme ergriffen werden, …“.

Aber weil sich journalistische Berichterstattung meist auf Kernaussagen und die großen Linien der aktuellen Politik beschränken muss, haben sich die deutschen Medien für andere inhaltlichen Schwerpunkte entschieden – und zwar richtigerweise. Denn im Kapitel 5 zu „Nachhaltige Entwicklung, Klima, Umwelt und wirtschaftliche Angelegenheiten“ steht neben einigen mehr oder weniger unverbindlichen schon vertrauten Absichtserklärungen als konkreteste Vereinbarung die von Kapitel 19: „Beide Staaten werden die Energiewende in allen einschlägigen Bereichen weiter vorantreiben; zu diesem Zweck bauen sie ihre Zusammenarbeit aus und stärken den institutionellen Rahmen zur Finanzierung, Vorbereitung und Umsetzung gemeinsamer Vorhaben, insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

Zu Energiewende und Klimaschutz einstweilen Schachtelsatzdiplomatie

Darüber hinaus haben die Unterhändler beider konservativ-wirtschaftsliberaler Regierungen ganze Arbeit geleistet und in Artikel 18 schöne Schachtelsätze aufgeschrieben, die jeden Inhalt wie Details auf einem Picasso-Bild nur kurz aufschimmern lassen – um ihn im nächsten Halbsatz oder, was das Picasso-Bild angeht, im gleich nebenanliegenden Detail sofort wieder ganz anders und aus anderer Perspektive erscheinen lassen. Solche Hütchenspieler-Sätze moderner Diplomatie versprechen dann Anstrengungen beider Staaten wie: Sie „arbeiten darauf hin, den Prozess der Durchführung mehrseitiger Übereinkünfte in den Bereichen … [hier fallen den Autoren gleich fünfe ein, um dann wabbelig mit einem Puddingwort zu enden:] … zu stärken“. Oder gleich anschließend: Man arbeite dafür „eng zusammen, um gemeinsame Ansätze und politische Strategien zu erarbeiten, wozu auch die Schaffung von Anreizen für den Umbau ihrer Volkswirtschaften und die Förderung ehrgeiziger Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel zählen“.

Was zählt aber wirklich noch in den beiden Artikel zu Klimaschutz und Energiewende? Da ist vage und doch von einem „regelmäßigen, sektorübergreifenden Austausch zwischen den Regierungen in Schlüsselbereichen“ des Klimaschutzes die Rede. Und eine „Berücksichtigung des Klimaschutzes in allen Politikbereichen“ ließe sich noch finden. Ob daraus Taten folgen müssen, lässt der Vertragstext aber anders als zu den Themen anderer Kapitel offen.

Das war es dann auch. Und das ist nicht einmal mehr enttäuschend, da im Vorfeld ohnehin nicht mehr zu erwarten war von diesem Vertrag, den die Medien feierlich und staatstragend als „Freundschaftsvertrag“ bezeichnen.

Die Offenbarung

Nein, es ist eine Offenbarung. Denn beide Staatsoberhäupter und ihre Regierungen sind sich seelenverwandt darin, dass sie zwar gerne vom Klimaschutz als einem ihrer hehrsten Ziele sprechen. Doch konkret – wie auch in diesem Vertrag – wird es nur bei militärischer Verteidigung, polizeilicher Zusammenarbeit, bei der machtpolitischen Absicht zur Erarbeitung immer einheitlicher Positionen in der Europapolitik sowie bei einer Verpflichtung zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Sogar die Zweisprachigkeit in den Grenzgebieten beider Länder, ein Bürgerfonds für kulturelle Partnerschaften und die gegenseitige Anerkennung von Schulabschlüssen stehen noch als konkrete Vereinbarungen fest. Immerhin darf das Kulturelle als ein Anliegen Macrons gelten. Noch 2017, frisch im Amt, sagte er auf der Frankfurter Buchmesse, durch Sprache, Übersetzungen und die Bücher sei der Dialog zwischen den beiden Ländern auch in Krisenzeiten ihrer nachbarschaftlichen Beziehung nie abgerissen. Als Erklärung verwies er indirekt auf die Kultur: In einem Europa, das nicht nur aus Demokratie, Marktwirtschaft und sozialer Gerechtigkeit bestehe, gelte: "Ohne Kultur kein Europa!"

Die Offenbarung lautet aber: Militarisierung, polizeistaatliche Aufrüstung, die Beibehaltung des bisherigen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurses mit wenig sozialpolitischen Haltelinien und etwas kulturelle Nachbarschaftspflege werden zum Kontinuum der deutsch-französischen Partnerschaft. Klimaschutz und Energiewende können da noch vorkommen, wo sie die anderen Ziele nicht stören.

Das ist aber dann wirklich enttäuschend: Beide Länder gehören zu den letzten verbliebenen Ländern in Europa, in denen starke Erneuerbare-Energien-Branchen gedeihen können – und die starke Märkte für die Energiewende mit vielen technisch spannenden Optionen für Sektorkopplungskonzepte oder beispielsweise neue Offshore-Windkraftkonzepte sind. Die historische Chance, die darin für die Entwicklung beider Länder steckt, ist der Politik hüben wie drüben offenbar nicht so wichtig. Oder sie traut sich nicht, sie wirklich wahrzunehmen – was auf dasselbe rauskommt: die jetzige Energiewende mit angezogener Handbremse wird fortgesetzt werden.